Das System Doping:Wie es euch gefällt

Wird ein neuer Dopingfall im Sport bekannt, wird oft mit dem Finger auf den Sportler gezeigt. Schön einfach. Die ARD-Dokumentation "Blut und Spiele" dagegen macht als Teil des Übels das System der Sensation aus, dessen einer wichtiger Bestandteil der Zuschauer ist.

Hans Hoff

Am Anfang des Films liegt eine weibliche Leiche auf einem Seziertisch. Die Kamera fährt an ihr entlang und stoppt bei den extrem langen, kunstvoll gefärbten Fingernägeln. Es ist der Körper von Florence Griffith-Joyner, der begutachtet wird. Gestorben ist sie 1998 im Alter von 38 Jahren, zehn Jahre nachdem sie als Läuferin bei den Olympischen Spielen von Seoul dreimal Gold gewann. Ihr Ruhm hat die Zeit überdauert, aber auch jene Gerüchte sind nicht verstummt, die ihren Tod als Spätfolge hemmungslosen Dopings deuten.

Natürlich ist es nicht die echte Leiche der Athletin, die da zu sehen ist. Die nachgestellte Szene soll lediglich eine Art Paukenschlag sein, der den Zuschauer hineinzieht. Hinein in eine Dokumentation, die verdeutlichen möchte, dass es bei Doping um mehr geht als nur um ein paar kurze Sensationsmeldungen, ein paar Blutbeutel und zögerlich verordnete Sperren und Mannschaftsausschlüsse.

Nicht ohne Grund heißt der zweiteilige Film, den der WDR schon vorigen Herbst in Auftrag gegeben hat, Blut und Spiele. Gewollt erscheint die Assoziation mit "Brot und Spiele", mit jenen Elementen also, die den altrömischen Herrschern das Regieren einfacher machten, weil sie das Volk einerseits ruhig stellten, andererseits unterhielten.

Auch darum startet der Zweiteiler an diesem Mittwoch nach den Tagesthemen nicht mit den aktuellen Vorgängen bei der Tour de France. Es geht nicht um die Bloßstellung des nächsten Radsport-Sünders, es geht um ein System, das Doping erst möglich macht, vom Doping lebt, es vielleicht sogar braucht. Und es geht um die wahren Schuldigen. Nicht um den Athleten, der erwischt wird, sondern um jene, die ein Interesse daran haben, dass sich nicht viel ändert oder wenigstens nicht ganz so schnell.

Die Anklage dieses Films richtet sich gegen Funktionäre, die Höchstleistungen fordern und gerne mal wegschauen, wenn diese mit nicht ganz sauberen Mitteln erreicht werden. Solange kein Sportler aus dem eigenen Land erwischt wird, ist alles genehm. Angeklagt sind aber auch die Zuschauer, die nur mit Höchstleistungen zu ködern sind und nur dabeibleiben, wenn mehr als das eigentlich Menschenmögliche geboten wird.

Der Fußball steht oben auf unserer To-do-Liste

Die Verführbarkeit des Zuschauers demonstriert der Film überdeutlich, wenn er Szenen von 100-Meter-Läufen einstreut, sie musikalisch mit Bedeutung auflädt und auf diese Weise für etwas mehr als zehn Sekunden ein packendes Drama inszeniert, für das die Zuschauer gerne ihre Aufmerksamkeit opfern. In diesen suggestiven zehn Sekunden spielt es plötzlich keine Rolle mehr, ob gedopt wird oder nicht. Es gilt nur noch die alte Fußballregel: Wichtig ist auf'm Platz.

In bewundernswerter Fleißarbeit haben die Autoren Petra Höfer, Freddie Röckenhaus (der auch Autor dieser Zeitung ist) und Francesca D'Amicis Zeugen befragt. Im ersten Teil sind das vor allem Amerikaner. Es sind vor allem jene, die das Doping-Spiel mitgespielt haben, Sportler, Trainer, Ärzte. Der des Dopings überführte Läufer Ben Johnson ist nur einer aus der Riege, die Autor Röckenhaus mehr oder minder scherzhaft "die dunkle Seite" der Angelegenheit nennt.

Es sind verwirrend viele Aussagen, die sich allerdings im Laufe der 45 Minuten verdichten und das System Doping zumindest ansatzweise durchschaubar machen. Es funktioniert, weil es so viele Interessen bündelt. Doping ist eben auch das, was geht. Die Sportler wollen Anerkennung und Geld, die Funktionäre Erfolg für ihr Land, die Zuschauer Dramatik - während Ärzte und Labors gute Geschäfte machen. Die Gesundheit der Gedopten wird da zum Randthema.

Dass es im ersten Teil vor allem um Vorgänge geht, die bald 20 Jahre zurückliegen, wird damit zu tun haben, dass der Film auch in zwei Jahren vorzeigbar sein soll. Man muss heute ja ständig auf neue Doping-Enthüllungen gefasst sein.

Noch ist der zweite Teil, der am 15. August ausgestrahlt werden soll, in Arbeit. In ihm wird auch die Affäre um den Doping-Arzt Fuentes und die Tour de France eine Rolle spielen, und es soll auch um Fußball gehen. Allerdings nicht um den deutschen. Da könne man erst berichten, wenn man es auch beweisen könne, sagt Röckenhaus, was die deutschen Sportler indes nicht als Entwarnung werten sollten, denn WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn verspricht: "Der Fußball steht oben auf unserer To-do-Liste."

Blut und Spiele, ARD, Mittwoch, 22.45 Uhr. Teil 2, 15. August, 22.45 Uhr.

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