Das Projekt Elbphilharmonie:"Architektur ist Marathon"

Das Baseler Büro Herzog & de Meuron hat den Konzertsaal entworfen. Ein Gespräch mit Jacques Herzog über Planungsprozesse, öffentliche Auftraggeber und gute Architektur.

Inverview von Gerhard Matzig

Das Architekturbüro Herzog & de Meuron (HdM) befindet sich mitten in Basel direkt am Fluss, Rheinschanze 6. Das HdM-Reich ist im Grunde eine kleine Stadt, bestehend aus vielen unterschiedlichen Gebäuden. 420 Mitarbeiter aus 38 Nationen arbeiten insgesamt bei HdM, das eines der erfolgreichsten und innovativsten Büros der Welt ist. Um zehn Uhr ist Frühstückspause. Das Büro hört sich jetzt an wie ein internationaler Airport. Und ein Drehkreuz der Ideen ist HdM ja auch. Jacques Herzog, 66, sitzt an einem Tisch im Erdgeschoss - mit weitem Blick auf und über den Rhein.

SZ: Herr Herzog, die Elbphilharmonie ist endlich fertig - sieben Jahre später als geplant. Haben Sie je so lange an einem Projekt arbeiten müssen wie an diesem?

Jacques Herzog: Die Idee für ein Konzerthaus in der Hafencity stammt ja vom Projektentwickler Alexander Gérard. Der kam zu uns nach Basel im Dezember 2001. Und einen Monat zuvor kam mein Sohn zur Welt, im November. Der ist jetzt 15. Die Elbphilharmonie ist also genau so alt wie mein Sohn . . . erst ein Baby, jetzt ein Pubertierender. Aber wir haben auch schon an anderen Projekten lange gearbeitet. Die Kramlich-Residenz, ein Privatmuseum für eine der wichtigsten Medienkunstsammlungen der Welt, gelegen im Nappa Valley, dauerte sogar noch länger, von 1998 bis heute, also bald zwanzig Jahre.

In der Zeit kann man ja halb Berlin umbauen. Was war das Problem mit dem Kramlich-Haus in den USA?

Das Haus wurde zuerst als reines Privathaus, welches von Medienkunst quasi durchdrungen wird, geplant, dann als eine Art Forschungsinstitut und zuletzt als eine Mischung von beidem. Bei der Programmierung, Bestimmung und auch der Finanzierung dieses sehr umfangreichen, privaten Projekts kam es also immer wieder zu Verzögerungen. Einerseits mag dies für einen Architekten mühsam sein, aber es ist auch lehrreich und interessant. So viele Faktoren, wie die Politik, die Ups und Downs an der Börse, die Rolle von Beratern und Galeristen in der Kunstszene spielen in so einen Planungs- und Bauprozess hinein. Man kann dies beklagen oder faszinierend finden. Wahrscheinlich erlebten wir da beide Gefühle.

Muss man als Architekt die Gabe der Geduld besitzen?

Bauen ist wie ein Marathon - und nicht wie ein Sprint. Architektur hat sehr viel mit Zeit zu tun. Es ist ja auch wichtig, dass man Architektur als etwas Langlebiges begreift. Anders als die Mode, wo du Lust auf kurze oder lange Röcke haben kannst, auf enge oder weite Hosen. Das ist unmittelbarer Ausdruck der jeweiligen Zeit und das ist auch okay so, denn das sind eben Hosen. Aber Häuser sind keine Hosen. Architekturen, vor allem öffentliche Gebäude oder Kulturräume sollten über Generationen hinweg funktionieren. Gute Architektur hat ja immer etwas Zeitloses. Das ist wahre Nachhaltigkeit.

Das ist ein Begriff, der meistens mit dem Energiesparausweis einhergeht. Könnte man aber auch sagen: Nachhaltig ist Architektur dann, wenn sie akzeptiert wird von der Öffentlichkeit?

Absolut. Du kannst ein Haus aus Papier bauen oder aus Holz oder aus massivem Stein - aber das bestimmt noch nicht die Nachhaltigkeit oder die Dauerhaftigkeit. Nachhaltig ist ein Haus erst, wenn es angenommen, gerne benutzt und vielleicht sogar geliebt wird, dann wird es beschützt und erhalten. Von Generation zu Generation. Häuser müssen deshalb auch schön sein. Sie müssen den Menschen gefallen - aber nicht in einem dekorativen, sondern in einem politischen, gesellschaftlichen Sinn. Schönheit hat ja auch ein subversives Potenzial. Das Schöne oder auch das Sinnliche: Darin stecken große Energien. In der Moderne wurde der Begriff der Schönheit lange aus dem architektonischen Diskurs herausgehalten. Das war ein Fehler.

Architekt: Jacques Herzog

Jacques Herzog begreift Architektur als etwas Langlebiges - im Gegensatz zur Mode, die rasch wechseln kann. Gemeinsam mit Pierre de Meuron gründete er 1978 das Architekturbüro Herzog & de Meuron in Basel, das nun zu den wichtigsten der Welt zählt.

(Foto: Ullstein Bild)

Als bei der Elbphilharmonie die Kosten explodierten, fanden das viele Hamburger erst mal gar nicht so schön. Erst jetzt wird der Bau als "Elphi" ins Herz geschlossen und dient den Magazinen als glamouröses Covergirl. Vom Hassobjekt zur Geliebten: eine seltsame Karriere.

Die Reihenfolge ist etwas anders: Zuerst gab es ja eine Begeisterungswelle für das Projekt, das ganz unerwartet aus der Bevölkerung kam, und ohne welche das Projekt gar nie aufgegleist worden wäre. Erst danach kamen Zweifel, Kritik und Wut auf. Jetzt ist die Stimmung wieder positiv - zum Glück. Am Anfang gab es ja nur eine Skizze, aber dieses Bild von einer so noch nie gesehenen Architektur hat die Menschen verzaubert, ja berührt und verführt. Die Hamburger sagten sich: "Wir wollen das!" Das ist die Kraft der Schönheit und der Architektur.

Schönheitsbegriffe unterliegen dem Zeitgeschmack. Der Eiffelturm galt den Parisern zum Zeitpunkt seines Baus als monströses Schandmal. Jetzt ist er das gefeierte Wahrzeichen der Stadt.

Das berührt ein Thema der Urbanität. Städte sind aus Orten gebaut, die mit positiven wie negativen Emotionen verbunden oder aufgeladen werden können. Identifikation ist hier an Zeit und Raum geknüpft. Insofern können sogar hässliche Architekturen identifikatorisch wirksam sein, denken Sie nur mal an die englischen Stadien, die oft hässlich oder zumindest unfreundlich wirken - aber gerade dies gibt ihnen manchmal ihre spezifische Ausstrahlung. Die Menschen einer Stadt lieben sie und deshalb verwandeln sich diese Stadien durch die Präsenz der Menschen und deren Emotionen in unverzichtbare Orte dieser Stadt. Architektur ist dann gar nicht mehr so wichtig. Die Menschen verkörpern und prägen dann so einen Ort mehr als das Design des Architekten. Das ist für Pierre und mich mit der Erfahrung der vielen Jahre stets wichtiger geworden: Öffentliche Orte wie Stadien, Museen oder eben auch Konzertsäle sind für die Menschen gemacht und man muss sich vor allem überlegen, wie man es schafft, dass der Raum angenommen und so zum Teil der Stadt und der Gesellschaft gemacht wird.

Wie haben Sie das bei der Elbphilharmonie geschafft oder versucht?

Da haben wir vom Umbau der Tate Modern in London gelernt. Das war vielleicht überhaupt das Projekt, durch das wir in unserer Karriere am eindrücklichsten verfolgen und begreifen konnten, wie öffentlicher Raum entsteht und was wir dazu beitragen wollten. Bei der Tate Modern ist es die Turbine Hall, welche einen solchen neuartigen öffentlichen Raum verkörpert - bei der Elbphilharmonie kann man mit einer Rolltreppe, die selbst schon ein eindrückliches räumliches Erlebnis darstellt, auf eine öffentliche Plattform hinaufgelangen und sich dann dort aufhalten - unabhängig davon, ob man Beethoven oder Brahms mag. Das öffentliche Moment in der Architektur ist extrem wichtig. Die Plaza . . . hoffen wir, dass sie von den Besuchern und Hamburgern geliebt wird.

Die Plaza ist . . .

. . . der Bereich zwischen Backsteinsockel und Glasaufbau. Sie dient als Zugangsebene für das Foyer der Konzertsäle, für Restaurants und Bars, und es hat auch Verbindungen zum Hotel sowie zu den Eingängen der Wohnungen. Von hier kann man auch den Hafen überblicken. Im Konzertsaal entscheidet sich, ob die Elbphilharmonie gelungen ist als Ort, der Musik und Architektur miteinander verschmilzt, aber auf der Plaza entscheidet sich, ob die Elbphilharmonie auch als Stadt taugt, als Teil der Stadt. Viele unserer großen Projekte sind wie kleine Städte gedacht.

Um das hier abzuschließen, ein für alle Mal, Ihr Architekturbüro ist schuldlos an der Verzehnfachung der Baukosten für die Elbphilharmonie?

Das möchte ich nicht noch einmal aufrollen, es gibt dazu ja einen ausführlichen, für alle einsehbaren Bericht über das Ergebnis eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Das Bauen wird komplexer, schwieriger, aber zugleich meidet die Gesellschaft Risiken. Gibt es eine Vollkaskomentalität am Bau?

Das Projekt Elbphilharmonie: Zu den Projekten des Architekturbüros Herzog & de Meuron zählt die Tate Modern London. Dafür wurde ein einstiges Elektrizitätswerk umgebaut.

Zu den Projekten des Architekturbüros Herzog & de Meuron zählt die Tate Modern London. Dafür wurde ein einstiges Elektrizitätswerk umgebaut.

(Foto: Hayes Davidson and Herzog & de Meuron)

Es ist doch verständlich, dass die Bevölkerung und die verantwortlichen Politiker irgendwann wissen wollen: Wie teuer wird es? Wann ist es fertig? Im Fall der Elbphilharmonie hat man aber zu früh Zahlen genannt, bevor das Projekt die dazu ausreichende Planungstiefe hatte.

Elbphilharmonie, Flughafen Berlin, Stuttgart 21 - ein Bauskandal jagt den nächsten. Brauchen wir eine andere Planungskultur?

Staatliche Strukturen sind nicht primär gemacht, um solche Bauprozesse zu steuern und kontrollieren, weil die eigentliche Funktion der "Bauherrschaft" ja an eine Gesellschaft weiter delegiert werden muss. Dennoch funktioniert es ja in den meisten Fällen und nur die schlecht aufgestellten Projekte, wie die von Ihnen erwähnten, werden in den Medien ausgebreitet. Diese Medienpräsenz ist nachvollziehbar und wichtig für unsere demokratische Kultur. Noch wichtiger ist aber, dass solche Projekte, vor allem mit langfristiger Auswirkung auf das kulturelle Leben in unseren Städten weiter gefördert werden. Keine einfache Aufgabe in einem zunehmend populistischen politischen Klima.

Rund 150 Gebäude haben Sie zusammen mit Ihrem Büropartner Pierre de Meuron schon realisiert, überall auf der Welt. Aber die Elbphilharmonie ist Ihr erster Konzertsaal. Wissen Sie schon, wie er klingt?

Wir haben ein sehr gutes Feedback von den Musikern erhalten. Einmal konnten wir auch das Orchester hören - aber noch ohne Streicher und ohne Publikum. Erst zur Generalprobe vor dem ersten Konzert in einigen Tagen werden wir die Akustik endgültig beurteilen können, das ist der entscheidende Moment.

Nervös?

Nein, ich freue mich darauf. Außerdem können wir uns auf die für die Akustik zuständigen Experten verlassen. Wir hatten mit Herrn Toyota einen der besten Akustiker der Welt. Ohne solche Experten kann man heute gar nicht mehr bauen. Wir Architekten sind ja "professionelle Ahnungslose". Wir bauen Museen, ohne Künstler zu sein, wir bauen Kirchen, ohne Gläubige zu sein und wir bauen Musiksäle, ohne Musiker zu sein. Als Architekten sind wir es gewohnt, Menschen zusammenzubringen, ihr Wissen zu vereinen. Wer als Architekt meint, er könne alles besser machen, ist am Ende nur der Dekorateur seiner vermeintlichen Visionen. Erst aus dem Wissen und der Expertise anderer ergibt sich auch die Chance, Neues in der Architektur zu schaffen.

Werden Sie sich auch in München am Wettbewerb zum neuen Konzerthaus beteiligen?

Ja, wir werden ein Projekt einreichen.

Das fragliche Grundstück hinter dem Ostbahnhof gilt als unattraktiv. Viele Kritiker hätten sich den Konzertsaal lieber in die Mitte der Stadt gewünscht.

Ein verständlicher Wunsch. Aber, es ist viel interessanter und wichtiger für München, einen neuen Ort zu schaffen, welcher der Stadt eine neue Dimension, nicht bloß ein neues Gebäude, hinzufügt. Hätte man in Hamburg die Elbphilharmonie an die Alster - also auch mitten die Stadt - gesetzt, wäre es ein ganz anderer Bau geworden. Projekte an den Rändern, an bisher wenig vertrauten Orten einer Stadt sind immer auch eine Chance, dieser Stadt zu einer neuen Dimension zu verhelfen. Wir werden uns jedenfalls das Grundstück in München sehr gut anschauen - und ich glaube, dass auch dort etwas Großartiges entstehen kann. Wie in Hamburg.

In Berlin haben Sie gerade den Wettbewerb für ein neues Museum am Kulturforum gewonnen. Es soll zwischen der Philharmonie von Scharoun und der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe liegen. Kritiker befürchten nun, Ihr Entwurf werde zum "größten Aldi der Stadt" - weil Sie ein Haus planen, das wie eine große Gewerbehalle aussieht.

Das ist eigentlich ein ziemlich großes Kompliment. Das Museum, das wir in Berlin für diesen Ort planen, entspricht einem Urtypus der Architektur. Die stadträumliche Situation ist heute geprägt durch viele Leerstellen und zwei starke, aber isoliert stehende Bauten: auf der einen Seite die Nationalgalerie von Mies van der Rohe, ein Bau, wie er an radikaler Abstraktion nicht mehr übertroffen werden kann; auf der anderen Seite: etwas Spielerisches, fast Frivoles - die Philharmonie von Scharoun. Wir lieben beide Bauten und wollen sie besser einbinden in einer neuen außenräumlichen Gestalt des gesamten Kulturforums. Unser Vorschlag versucht keineswegs, die beiden wichtigen Zeugen deutscher Nachkriegsarchitektur zu übertrumpfen, aber will sich auch nicht unterwerfen und in der Erde verstecken. Und deshalb schlagen wir eine Urform der Architektur vor, welche nicht zu allererst auf den Architekten/Autor und die Entstehungszeit verweist, und so etwas "Selbstverständliches" ausstrahlt. Das kann man dann als Lagerhalle oder Bahnhofshalle, als Tempel oder gar als "Aldi" wahrnehmen. Uns gefallen alle diese möglichen Assoziationen der Menschen. Es wird ein Museum des 20. Jahrhunderts, eine Zeit, wo Pop, Straßenkultur, Industrieästhetik und Medien wichtige künstlerische Ausdrucksmittel wurden und Eingang ins Museum fanden.

Das Thema wird jetzt schon so kontrovers diskutiert, da können Sie sich wieder auf ein längeres Projekt einstellen.

So soll es auch sein. Wie gesagt: Architektur ist Marathon - und kein Sprint.

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