"Das Original" von John Grisham:Mit John Grisham auf die Insel der Liebe

"Das Original" von John Grisham: John Grishams "Original" beschreibt die Jagd nach dem Manuskript von F. Scott Fitzgeralds "Der große Gatsby". Hier zu sehen: Leonardo di Caprio in der Romanverfilmung von 2013

John Grishams "Original" beschreibt die Jagd nach dem Manuskript von F. Scott Fitzgeralds "Der große Gatsby". Hier zu sehen: Leonardo di Caprio in der Romanverfilmung von 2013

(Foto: Warner Bros. Pictures)

Das geraubte Manuskript von der "Der große Gatsby", eine paradiesische Insel und ein bibliophiler Playboy: "Original" klingt nicht nach einem typischen Grisham - aber er liest sich so.

Von Andreas Zielcke

Das Buch zum spätnachmittäglichen ersten Drink, gut gekühlt. Am besten zu einem Glas Chablis. Auf einer schattigen Veranda eines schön in die Jahre gekommenen Holzhauses mit Blick über einen endlosen Strand. Die Hitze müsste groß sein, der Himmel auch und tiefblau, und der Abend sollte wieder mit ausgefallenen Reizen locken wie die letzten Abende auch.

So beginnt die Besprechung eines Kriminalromans von Grisham? Da ist der Wurm drin, ein Bücherwurm der falschen Sorte. In der Tat, nicht wenige Leser maulen. Grisham schreibt ein beach book, eine Lektüre für den Sommer am Meer? Warum bleibt er nicht bei seinen Leisten, den kaltblütigen Justizthrillern, die er beherrscht wie kein Zweiter und von denen er inzwischen mehr als 300 Millionen Exemplare verkauft hat? Nimmt er sich jetzt eine Auszeit von dem harten kriminalistischen Drive? Ja und nein.

"Das Original", dessen amerikanischer Titel "Camino Island" nicht zufällig eine fiktive Inselidylle vor der Küste Floridas meint, ist ein echter Grisham in Gestalt eines hingebungsvollen Anti-Grisham. Unsentimental wie gewohnt baut Grisham seine Strafverfolgungsstory auf, deren packender Sog nie nachlässt. Aber so trocken und ausgebufft sie auch daherkommt, folgt sie diesmal einer Passion. "Das Original" ist eine Liebeserklärung Grishams an die Welt der Bücher und ihre Autoren.

Wer, wenn nicht Grisham, der nahezu allein ein ganzes Segment des Weltmarktes von Massenbüchern bedient, könnte unbefangener von den Qualen des mit Stoff, Stil und Selbstzweifeln kämpfenden Schriftstellers sprechen, von posthum unerschwinglich gewordenen Erstausgaben erfolgloser Dichter, überhaupt von Euphorie und Enttäuschung des Literaten? Und so ist dieses Buch, das beim Monopolisten Amazon unter den ersten zehn weltweit geführt wird, auch eine Hommage an den untergehenden Stand des kleinen engagierten Buchhandels.

Leseprobe

Am Anfang aber steht die Tat, die Untat. Ein Team schwerer Jungs bricht in die Bibliothek der Princeton University ein und stiehlt die Originalmanuskripte der fünf Romane von F. Scott Fitzgerald, die dort seit dem Tod des Schriftstellers lagern. Der Wert seiner Manuskripte gilt als unermesslich. Mit entsprechend immensem Aufwand an Stahl und Elektronik sind sie im Keller der Bibliothek geschützt. Doch der Raubzug gelingt, die Manuskripte verschwinden mit den Dieben. Wer nichts als das meisterliche Handwerk Grishams erleben will, muss nur die ersten zwanzig Seiten lesen, auf denen er minutiös den komplizierten Einbruch schildert - eine verbrecherische Delikatesse.

Grisham lässt dem Treiben der Literatur-Aficionados freien Lauf

Doch dann geht es erst richtig los. Ein winziger Patzer beim Einbruch bringt das FBI auf die Spur, zwei der fünf Einbrecher sind schnell aufgegriffen, aber nicht die mit 25 Millionen Dollar versicherten Manuskripte. Das FBI tappt im Dunkeln. Schließlich taucht eine elegante Mitarbeiterin einer obskuren Agentur "für Sicherheit und Ermittlungen" bei einer sehr jungen, sehr talentierten, sehr attraktiven Schriftstellerin auf, die unglücklicher-, aber passenderweise unter hohen Studienschulden leidet, noch dazu unter einer heftigen Schreibblockade. Sie besticht die Literatin, ein Strandhaus auf Camino Island zu beziehen, um sich dort frei von Geldsorgen Inspiration für ihr festgefahrenes Romanprojekt zu holen, genauer, um sich dort in das Leben des Buchhändlers Bruce Cable einzuschleichen. Der soll, heißt es, mit gestohlenen Buchraritäten handeln ...

Und er soll außerordentlich empfänglich sein für weibliche Reize. Das alles wäre durchsichtig genug, würde nun nicht ein schillerndes Katz- und Mausspiel einsetzen. Um den Buchhändler herum hat sich auf der Insel ein Zirkel von Schriftstellern und Buchliebhabern gebildet, in den die junge Dichterin als Novizin eingeführt wird. Grisham lässt, was er sonst in seinen kurzgetakteten Romanen nie tut, dem Treiben der Literatur-Aficionados freien Lauf, jedenfalls fast. Denn das strategische Sinnen und Trachten nach dem ungeheuren Schatz bleibt natürlich stets präsent. Aber hinter welcher spitzen Bemerkung, hinter welchem Schweigen? Welcher Satz der Debütantin, die eine Spionin ist, die eine Dichterin ist, meint, was er sagt?

Erweckt die verwegene Liebe zum physischen Buch am Ende die physische Liebe?

Der Belustigung des Lesers, an der skurrilen Autorenkoterie auf der sonnenverbrannten Insel teilzuhaben, tut Zweideutigkeit keinen Abbruch, im Gegenteil. Versoffene Figuren, Produzenten schlüpfriger Schundromane, ambitionierte, aber schwer gehemmte Lyriker, begabte Erfolgsautoren, alle finden sich lästernd oder katzenjammernd an den gemeinsamen Tafeln ein. Bücher bringen an jedem Ort die Typen hervor, die er verdient.

Unter diesem Aspekt besonders interessant ist jener höchst charmante Buchhändler Bruce Cable, Herz und Seele und Hahn im Korb dieser um sich selbst kreisenden Szene. Grisham porträtiert ihn als äußerst belesenen, anregenden Kenner vor allem der amerikanischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine wahre Liebe allerdings gilt deren Erstausgaben und Autografen, mögen sie auf sauberen oder weniger sauberen Wegen in den Handel gelangt sein. Kann denn Liebe Sünde sein?

Großer Verführungskünste braucht es daher gar nicht mehr, um reihenweise Autorinnen in das Schlafzimmer des Bibliophilen zu locken. Auch die als Spionin eingeschleuste Literatin ist, gegen ihren Willen, nicht gefeit. Grishams lakonische Sprache ist weiß Gott nicht geeignet, erotische Subtilitäten zu beschreiben. Darum lässt er das auch bleiben und begnügt sich damit, Bruce Cable die Züge eines Playboys zu verleihen, genauer der Südstaaten-Provinzausgabe eines Playboys, der sich nicht geniert, im hellblau gestreiften Seersuckeranzug mit gelber Fliege im Cabriolet über die Mainstreet des Inselstädtchens zu kurven. Was bei einem Banausen oberpeinlich wäre, geht beim Connaisseur der Wortkunst als optische Steigerung durch.

Ist es in Wahrheit die schöne Literatur, die verführt? Oder ist es vielmehr die Zwielichtigkeit verwegener Liebe zum physischen Buch, die auch die physische Liebe weckt? Keine Sorge, wie alle Grisham-Thriller ist auch "Das Original" nicht durch Gedankenschwere angekränkelt. Sämtliche Ambivalenzen, mit denen der Roman reichlich aufwartet, sind allenfalls angedeutet oder bleiben gleich zwischen den Zeilen. Aber wer wen verrät und dabei selbst hinters Licht geführt wird, diese Spannung hält die Jagd nach dem "großen Gatsby" und den anderen vier millionenschweren Manuskripten bis zum Ende. Kommen sich schließlich die Liebe zum Buch und die Liebe zum Geld ins Gehege oder decken sie sich - im Glücksfall? Wer meint, seinen Grisham zu kennen, kann sich vorweg auf die Wette einlassen, ob sich Verbrechen in dem Roman auszahlt oder nicht. Aber selbst der sollte sich für die Antwort auf die Folter spannen lassen und das Buch von vorne bis hinten lesen.

John Grisham: Das Original. Roman. Aus dem Englischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. Heyne Verlag, München 2017. 368 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.

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