Das neue Bildformat:Ein Hoch der High Definition

Kommt mit den viel gepriesenen neuen Standards die Zwei-Klassen-TV-Gesellschaft? Von Tobias Kniebe

Es ist, alle Jahre wieder, dasselbe Spiel auf den Elektronik- und Entertainmentmärkten: Neue Inhalte kündigen sich an, die nach neuen Geräten verlangen, und neue Geräte werden präsentiert, die quasi um passende Inhalte betteln. Umrüsten, Aufrüsten, Geldausgeben, das ist der kategorische Imperativ aller Trend- und Hoffnungsthemen der Industrie - und der aktuelle Medienhype auf allen Kanälen zeigt an, dass sich die Strategen des deutschen Weihnachtsgeschäfts wieder mal auf eine Story geeinigt haben: Sie heißt High Definition TV (HDTV), verheißt klarere, schärfere und störungsfreiere Bilder im Wohnzimmer, Fernsehen ohne das Matt in der Mattscheibe - und ist doch keineswegs die sichere und unausweichliche Erfolgsgeschichte, als die sie präsentiert wird.

Desperate Housewives

Bald noch besser zu erkennen: Eva Longoria.

(Foto: Foto: rtr)

Das Ziel der Vermarkter ist klar: In diesem Herbst, beginnend auf der gerade laufenden Berliner Funkausstellung, muss ein zentrales Gefühl im Herzen des Konsumenten verankert werden: Dass er sofort einen neuen, besseren, technologisch überlegenen Fernseher braucht, wenn er die Bilder der Zukunft nicht verpassen will. Dafür preist der Premiere-Chef Georg Kofler HDTV als "weltweit bedeutendste Entwicklung der TV-Industrie" und kündigt drei neue superscharfe Programmkanäle an, dafür verspricht die ProSieben-Sat1-Gruppe, ihr Programm ab Oktober auch in HDTV zu senden, dafür reden alle schon jetzt von der Fußballweltmeisterschaft 2006, bei der man dank hochauflösender Bildtechnik praktisch jeden einzelnen Grashalm auf dem Rasen sehen soll, und das auch noch im 16:9-Kinoformat, in dem man für die Verfolgung einer Bananenflanke nicht einmal mehr die Kamera schwenken muss. Und in den Mediamarkten türmen sich schon die Riesenfernseher.

An diesem Punkt allerdings schleicht sich ein gewisses Déjà-vu-Erlebnis aus dem Neuigkeitsspeicher des Kleinhirns ein: Gab es nicht schon einige Funkausstellungen zuvor, auf denen HDTV das große neue Ding werden sollte? Haben wir nicht schon vor zehn oder noch mehr Jahren fasziniert auf die superscharfen Bildschirme der Zukunft gestarrt? Und wurden nicht Ende der Achtziger sogar Millionen an europäischen Subventions-Steuergeldern ausgegeben, um beim Thema High Definition Standards zu setzen und ganz vorn dabei zu sein? Jawohl, so war es - aber es hat nie funktioniert, die Zuschauer haben nicht mitgemacht, und alle Pläne liefen ins Leere. Man muss schon sehr schnell vergessen und verdrängen können, um jetzt noch einmal loszulegen und HDTV als brandneue Entdeckung zu verkaufen. Oder man betet die Beschwörungsformel nach: Schon wahr, es gab einige Fehlstarts - aber diesmal muss es klappen. Die Zeit ist reif.

Das zumindest ist wahr: Die Zeit wäre reif. Alle Bilder, die derzeit im Wohnzimmer flimmern, flimmern auf dem Stand der Sechzigerjahre. Damals wurde die Fernsehnorm PAL definiert, mit einer vertikalen Auflösung von nominell 625 Zeilen pro Bild, und an dieser Grenze kam seitdem niemand mehr vorbei - nicht einmal die vielgepriesene DVD, die auch nur so scharf sein kann wie der uralte Standard es eben erlaubt. Was läge also näher, als endlich eine neue Ära zu starten, die Bildschärfe digital auf 720 oder sogar 1080 Pixel hochzusetzen, das technisch längst Machbare zu machen und Millionen alter Fernseher zum Schrottplatz zu tragen? Eigentlich nichts - die Wahrheit aber ist, dass der PAL-Standard schon bei seiner Erfindung von schwer visionärer Qualität war, und wenn wir heute eine DVD einlegen, kommt uns das Bild ja auch nicht lächerlich unscharf vor. Das ist der Grund, warum High Definition in Europa bislang nicht funktioniert hat - die alten Geräte waren einfach noch zu gut, um sie massenweise auf den Müll zu werfen.

Verzweifelte Arbeitslose

An diesem Punkt ringen High-Definition-Apostel dann schon leicht verzweifelt die Hände und sagen: Ja, verdammt, aber die Japaner und die Amerikaner haben es doch auch geschafft! Wohl wahr, aber die hatten stärkeren Leidensdruck: Wer je in den USA einen Fernseher angemacht hat, kennt ein spezielles Old-Europe-Triumphgefühl: Dieses leicht verwaschene, verschwommene Bild mit den komischen Farbrändern, das sollte Fernsehen sein? Es war die Bildqualität der amerikanischen NTSC-Norm, die auch in Japan Verwendung fand und PAL in jeder Hinsicht unterlegen war. Kein Wunder also, dass dieses Bilderlebnis immer unerträglicher wurde, je mehr die Bildschirmdiagonalen wuchsen - und der Amerikaner oder Japaner, der sich freiwillig einen kleineren Fernseher kauft, wenn er sich auch einen größeren leisten kann, muss erst noch erfunden werden. So kommt es, dass man HDTV in den USA heute auf allen Distributionswegen empfangen kann, über Kabel, Satellit und sogar Antenne. Es ist dennoch ein Fernsehen der Reichen geblieben: Laut einer Studie der Leichtman Research Group liegt das Einkommen des HDTV-Zuschauers aktuell 73 Prozent über dem Durchschnitt der Bevölkerung - und auch die Programmierung der Sender reflektiert das: Aufwändige und eher gehobene Programme, von "E.R." über "Desperate Housewives" bis "Letterman", werden in High Definition angeboten - der Daytime-Trash für Hausfrauen und Arbeitslose dagegen muss verwaschen und verschwommen bleiben.

Das ist der erste Punkt, der einer deutschen HDTV-Erfolgsstory im Wege steht - dass der Verkauf logischerweise vor allem auf die Besserverdienenden zielt, und faktisch eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft des Fernsehens schaffen soll: Einerseits eine Premium-Zielgruppe, die teure neue Geräte kauft und dann sogar noch einmal für Inhalte bezahlt - das Fußballfeld im Breitwand-Look oder den aktuellen Hollywood-Film, der plötzlich schärfer daherkommt als die schärfste DVD; und andererseits ein Publikum zweiter Klasse, das die Technik-Investition verweigert und am Ende rund um die Uhr Big Brother sehen darf, in niedriger Auflösung, dafür aber auf zwanzig verschiedenen Kanälen. "High Definition ist längst nicht die wichtigste Entwicklung für uns", sagt denn auch Herbert Tillmann, Vorsitzender der Produktions- und Technikkommission der ARD - und weist darauf hin, dass Ende des Jahres rund 90 Prozent der Bevölkerung HDTV noch nicht empfangen können.

Kein Aufzeichnen mehr?

Der zweite Punkt, der alle High-Defition-Träume auch diesmal wieder begraben könnte, ist noch gravierender, weil er die Kernzielgruppe der Gutverdienenden und Kaufbereiten betrifft. Auf Druck von Hollywood-Studios und weltweiten Rechtehändlern dürfen sowohl Premiere als auch ProSieben und Sat1 nur High-Definition-Programme senden, die mit einem neuen Kopierschutz namens HDCP (High Bandwidth Digital Content Protection) verschlüsselt sind. Das bedeutet unter anderem, dass der Endkunde Sendungen im Zweifelsfall gar nicht mehr aufzeichnen kann. Der Hightech-Enthusiast muss dann schon persönlich vor der Kiste sitzen, wenn sein Lieblingsfilm gerade läuft, ganz wie vor zwanzig Jahren, vor dem Siegeszug der VHS-Cassette - und wird dies angesichts seiner Investitionen sicher als Schmach und als Zumutung empfinden.

Noch schlimmer wird es, wenn er zu schnell gekauft hat: Wer so mutig war, schon letztes Jahr für tausende von Euro einen High-Definition-Fernseher zu erwerben, schaut jetzt möglicherweise in eine Röhre, die schwarz bleibt - denn längst nicht alle Geräte unterstützen die radikale Sicherheitscodierung. Das Bild, das die Elektronikbranche mit solchen Maßnahmen erzeugt, ist katastrophal: Immer weniger Leistung, immer mehr Kopierschutz-Paranoia, jedes Jahr eine neue Strategie, nichts passt zusammen, die teuersten Geräte können schon morgen praktisch wertlos sein. Wer da beschließt, erst einmal gar nichts zu kaufen, trifft vielleicht die weiseste Entscheidung: Er kann in Ruhe schauen, ob sich auch der neueste HDTV-Boom in Luft auflöst - oder frohgemut zugreifen, wenn tatsächlich vernünftige Lösungen auf den Markt kommen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: