Das Leben der Anderen:Kulturkampf am Zebrastreifen

Spätestens seit der Fusion von YouTube und Google ist die Unterhaltungskultur um ein Genre reicher: den kleinen schmutzigen Internetfilm. In "Das Leben der Anderen" rezensieren wir den Clip der Woche. Heute: "oma v mercedes"

Christian Kortmann

Es beginnt mit einer Szene, wie wir sie jeden Tag auf der Straße sehen: Teenager fahren Skateboard und sie können es nicht besonders gut. Das ist verzeihlich, denn Skateboardfahren gehört zu den schwierigsten Sportarten der Welt. Und auch für die Skater selbst ist es nicht schlimm, denn beim Skateboardfahren geht es immer auch um den wilden Lebensstil, der damit verbunden ist. Der Skater versteht sich als Bürgerschreck, ist libertinärem Outlawtum ebenso zugeneigt wie dem "Epater le Bourgeois". Aus dieser Haltung ist etwa die anarchische Situationskunst der Gruppe Jackass rund um Johnny Knoxville entstanden.

Das Leben der Anderen: Sollten Sie hier kein Video sehen können, liegt es daran, dass Youtube sich gerade neu erfindet. Sagt jedenfalls die Webseite von Youtube - oder das, was von ihr übrig blieb.

Sollten Sie hier kein Video sehen können, liegt es daran, dass Youtube sich gerade neu erfindet. Sagt jedenfalls die Webseite von Youtube - oder das, was von ihr übrig blieb.

(Foto: Foto: Youtube)

Auch die Skater in unserem Clip "oma v mercedes" filmen sich gegenseitig, weil sie hoffen, dass ein spektakulärer Trick gelingt. Doch dann hört man Reifenquietschen, das das Interesse des Kameramanns auf sich zieht. Und die antibürgerliche Spaßguerilla schlägt diesmal nicht in jugendkultureller Gestalt, sondern als geriatrische Lässigkeit zu:

Ein Mercedes-Cabriolet mit einem jungen Schnösel am Steuer hat eine Vollbremsung am Zebrastreifen hingelegt, weil eine alte Frau die Straße überqueren will. Sie bewegt sich nur langsam vorwärts. Der ungeduldige Mercedesfahrer entlädt seine Aggressionen in Hupe und Gaspedal: Sein aufheulender Motor soll die Zebrastreifenprozedur beschleunigen. Doch die alte Frau hört sich das nicht lange an und rächt sich mit einem gezielten Einkaufstaschenschlag vor Kühlergrill und Nummerschild. Und die Wucht ihres Schlages löst den Airbag aus, der sich tuffig-prall entfaltet.

Hinter seinem Mercedes-Lenkrad eingeklemmt wirkt der Schnösel sichtlich irritiert, weiß aber nicht, was er gegen solch eine Kontrahentin unternehmen soll: Hätten die Skateboardfahrer an seinem Wagen randaliert, wäre er sofort explodiert, jetzt aber ist er ein wehrloses Opfer des Methusalem-Komplotts!

Hat eine alte Frau genug Kraft, um einen Airbag auszulösen, und fallen schwere Handtaschen von nun an unter das Waffengesetz? Das sind legitime Fragen, wenn man die Echtheit des Clips anzweifeln will, zumal er sich einer offensichtlichen Authentifizierungsstrategie bedient: Das Lachen des Kameramanns und der Skateboardfahrer, das in einem Spielfilm die Fiktionalität verraten würde, verweist beim Amateurclip auf dessen dokumentarischen Charakter.

In jedem Fall haben wir es mit einer ästhetisch gelungenen Miniatur zu tun. "oma v mercedes": Der Titel stellt zwei Lebenskonzepte gegenüber - ewige Jugendlichkeit versus Frühvergreisung, Fußgänger versus Autofahrer, Rock'n'Roll versus Neospießertum - und zeigt uns in 33 Sekunden, wie man die Belästigungen des Alltags mit wahrer Coolness meistert. Das schlechte Benehmen und protzige Gehabe des Mercedesfahrers wird von der alten Dame mit Stil widerlegt. Wir lachen, weil am Ende des Konflikts die schwächere Partei durch körperliche Stärke obsiegt.

Seit diesem Kulturkampf am Zebrastreifen fürchten sich auch die Skateboardfahrer nicht mehr vor dem Altwerden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: