Das ist schön:Stotternde Motoren

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Werkstatt-Kalender sind von Gestern

Von Karl Forster

Der Kalender ist ein Spiegel der Seele. Zeige mir Dein Monatsblatt, und ich sage Dir, was Du bist. Ein Freund der Frühlingsblume, die, zart und zerbrechlich, sich doch hoffnungsfroh einer sonnigen Zukunft zuwendet? Ein Verehrer der Vergangenheit, der sich mit Bildern flämischer Meister versichert, früher sei alles besser gewesen? Oder ein Liebhaber schöner Frauen, so wie sie Henri Marie Raymond de Toulouse-Lautrec gemalt hat? Da wäre man (als Mann) zwar in Eugen Gomringers Sinne ein "admirador", ein Bewunderer von Frauen, was derzeit manchem das Blut ins kleine Hirn treibt. Aber erstens gibt es auch Frauen, die Lautrecs Frauen bewundern; und zweitens: Wofür hat der Maler aus dem südfranzösischen Albi sie denn sonst gemalt?!

Kalender hängen meist so, dass man sie träumend betrachten kann. Im Klo, im Gang neben der Garderobe, im Büro über dem Bildschirm, wo die von Franco Pace fotografierten Yachten einen für ein paar Minuten wegbeamen vom Schreibtisch nach Saint Tropez oder St. Barth. Und sie hängen in Autowerkstätten. Nicht mit Bildern von Franco Pace, auch nicht von Toulouse-Lautrec. Obwohl: Frauen sind auch drauf zu sehen, schöne Frauen, meist mit noch weniger an als beim Franzosen. Sie stehen, knien, sitzen, liegen vor, auf, an Geräten, die man im allgemeinen als Potenzschleudern bezeichnet. Also vor Autos, die sich von anderen Autos dadurch unterscheiden, dass sie besonders schnell aussehen. Und die Frau? Hier ist sie nacktes Accessoire.

Man nennt das dann Werkstattkalender. Der Reifenproduzent Pirelli produziert sie. Oder auch der Ölhersteller Liqui Moly. "Geschmackvoll kombiniert er wohlgeformte Kurven in Blech mit hübschen Frauen" steht bei Letzterem geschrieben. Er wirbt nun damit, dass die Bilder für das 2019er-Œuvre erstens in München geschossen werden, und zweitens, dass man eines der zwölf Monatsbilder verlose. Das Auto des glücklichen Gewinners wird dann mit Model fotografiert. Und er mit Model auch. Aber nur fürs Zuhause, vielleicht fürs Klo.

Auch dieser Gewinner ist ein "admirador", ein Bewunderer. Von wohlgeformten Kurven. Der Motoröllieferant und sein Kalender aber stehen für mehr als nur den ganz gewöhnlichen Autowerkstatt-Machismo. Hier zeigt sich der verzweifelte Kampf um die Pflege des Gestrigen. Um eine Ära, in der Autos noch mit Potenz gleichgesetzt wurden und Frauen solche Potenz angeblich genossen. Doch die Zeiten ändern sich. Motoröl kommt aus der Mode. Und das Auspuffrohr hat als Sexsymbol ebenso ausgedient wie der stilisierte silberne Hodensack an der Anhängerkupplung eines Dodge Ram. Das ist schön.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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