Das ist schön:Papierfliegerlyrik

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Die Rückkehr der Flugblätter

Von Bernhard Blöchl

Flugblätter von heute flattern nicht, sie ploppen auf. Als Benachrichtigungen bei Facebook, als Einladungen mit den eigenwilligen Klick-Optionen "Zusagen", "Interessiert", "Ignorieren" respektive "Absage". Um auf Aktionen oder Veranstaltungen aufmerksam zu machen, nutzt jeder digitale Kanäle, der nicht zum bröckelnden Haufen der Totalverweigerer gehört. Längst sind sie die Aulen der Netzgeneration, die Marktplätze für Smartphone-Wischer und Bildschirm-Glotzer.

Das war freilich einmal anders. Die ältesten Flugblätter sind seit 1488 nachweisbar, damit kennt sich Wikipedia aus, also knapp 500 Jahre bevor Mark Zuckerberg sein erstes Wort quäkte (womöglich war es "Like"). Jedenfalls waren die Einblattdrucke das erste Massenkommunikationsmittel, eines, das es im Laufe der Geschichte zu starker politischer Relevanz gebracht hat, man denke nur an die eine oder andere Propaganda und den Widerstand der Geschwister Scholl.

Nun darf man sich in diesem Sommer über eine kleine Renaissance freuen. Vor Kurzem hatte das Zentrum für Politische Schönheit Münchner Schüler dazu aufgefordert, regimekritische Papiere zu gestalten, das offensive Motto: "Flugblätter sind Unterschallexplosionen in totalitären Staaten". Als greifbares Ergebnis von "Scholl 2017" spuckte vor ein paar Wochen ein ferngesteuerter Drucker Erdoğan-kritische Flugblätter aus einem Hotelzimmer in die Luft über dem Gezi-Park in Istanbul. Mutig war das allemal.

Und vergangene Woche regnete es erneut Handzettel: Bei der 50-Jahr-Feier der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) segelten, in Papierfliegerform, unzählige Zettel auf die Festgäste herab, unter ihnen Filmemacher wie Uli Edel und Sönke Wortmann, Staatsmänner und Journalisten. Das war zwar nicht direkt politisch, zumal es sich bei den Wurfgeschossen um Prosa, Lyrik und Kurzexposés von Creative-Writing-Studenten von Doris Dörrie handelte. Andererseits halt eben doch. Dem Autor dieser Zeilen flatterte der Steckbrief einer Drehbuchautorin in spe auf die Rübe, der unter anderem die klangvoll-magischen Sätze enthielt: "Spricht mit ihren 3 E-Gitarren, um irgendwie zu musizieren", "würde gerne hoch hinaus fliegen, ohne sich den Kopf anzuhauen". Außerdem die ehrliche Ansage: "Sucht nen Job als Autorin!" In Zeiten von Facebook-Overkill, Kreativmenschen-Überangebot und Job-Sorgen eine freundliche Empfehlung in Form eines Papierfliegers zu bekommen, das ist sehr wohl schön.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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