Das ist nicht schön:Hintern für alle

Die Münchner Kammerspiele gewähren tiefe Einblicke

Von Eva-Elisabeth Fischer

In der Kunst erlebt man so manchen überraschenden Einblick. Deshalb geht man ja hin - zumindest, wenn damit Erkenntnis verbunden ist. Bei Gesangsdarbietungen hingegen materialisiert er sich gelegentlich, indem er tiefe Einsichten in Mund und Schlund gewährt. Zahnstatus? Mandel-OP? Leicht zu diagnostizieren.

Als das "National Endowment of the Arts" Anfang der Neunzigerjahre den Puritanismus neu entdeckte, drohte es, allzu freizügigen Künstlerinnen und Künstlern die sowieso spärliche pekuniäre Unterstützung zu streichen. Als drastische Antwort verordnete die New Yorker Performerin Penny Arcade, bekannt durch ihre Antidiskriminierungs-Show "Bitch! Dyke! Faghag! Whore!", dem Publikum die denkbar härteste Radikalkur. Sie bot ihre Vagina zur Inspektion mittels Spekulum dar und unterlief mit dieser Konfrontation jede schlüpfrige sexuelle Konnotation. Das war ebenso wirksam wie klug.

Jetzt, in queren Transgender-Zeiten, ist jede Körperöffnung öffentlich geöffnet. Für den Amerikaner Jeremy Wade zum Beispiel, einen wackeren, in Berlin lebenden Tänzer und Performer, gilt in dieser Hinsicht der alte zweideutig-eindeutige Spruch "Der Schwule lässt die Arbeit ruh'n, und freut sich auf den Afternoon!" zumindest partiell. Als bekennender Schwuler mag er Hintern. Seine Freude auf den Afternoon teilt er, schwer arbeitend, allerdings eher spät abends, zum Beispiel in den Kammerspielen anlässlich des Festivals "Body Talk", seinen ultraoffenen Zuschauern in der Kammer 3 der Münchner Kammerspiele mit. Und dabei reißt Jeremy Wade nicht nur den Mund weit auf. Ach ja. Er offenbart: den Spaß am Analsex, und dass, wenn es hart auf hart kommt, die sozial Benachteiligten immer den, na man weiß schon wen, hinhalten müssen.

"Death Asshole Rave Video" heißt das Programm und ist auch Programm: Irgendwann, noch ziemlich am Anfang von 70 Minuten, blitzt uns im Film eine Rosette entgegen. Wades Anus? Pulsierend, wie auf Crack, sich rosa der Kamera öffnend. So tief waren wir im Theater noch nie drin. Was stinkt, was manchmal unkontrolliert rauskommt, Wade lässt nichts unerwähnt. Um (altersbedingte) Undichtigkeiten zu vermeiden, speziell die im Tod, demonstriert er Schließmuskelgymnastik als Mitmach-Übung für alle. Nebenan, in der Kammer 2, haben Frauen gerülpst und blutige Tampons gelutscht. Die haben doch, der eine wie die anderen, den Arsch offen. Und das ist nicht schön.

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