Das Hörbuch:Keine seelischen Fluten

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Wirtschaftswundermenschen im Hotel, unter ihnen Thomas Mann und dessen einstiger Schwarm Klaus Heuser - davon erzählt Hans Pleschinski in "Königsallee". Nun wurde der erfolgreiche Roman zu einem Hörspiel verarbeitet.

Von Florian Welle

Die Fünfzigerjahre erfreuen sich in letzter Zeit beachtlicher Aufmerksamkeit, in der Geschichtswissenschaft, aber auch in der Literatur. Immer mehr Autoren schreiben Bücher über die Zeit nach dem Krieg, die Formierung der west- und ostdeutschen Gesellschaft. Mal autobiografisch wie Karl Heinz Bohrer in "Granatsplitter", mal in Romanform wie Julia Franck mit "Rücken an Rücken".

In diese Reihe gehört auch Hans Pleschinskis jüngster Roman "Königsallee" von 2013. Im Zentrum des mit wohlkalkulierter Ironie gewobenen Buches steht die Begegnung Thomas Manns mit seiner einst großen Liebe Klaus Heuser. Oder besser: die Nicht-Begegnung. Im Sommer 1954 weilt der kränkelnde Nobelpreisträger in Düsseldorf, um einen Vortrag zu halten. Die Manns residieren im noblen "Breidenbacher Hof", und wie es der Zufall oder eben Pleschinski will, wohnt dort auch Heuser - 1927 hatten sich der Dichter und der damals 17-Jährige kennen- und lieben gelernt. Die Familienentourage, allen voran die resolute Erika, will ein erneutes Aufeinandertreffen nach über zwanzig Jahren mit allen Mitteln verhindern; es wäre zu nervenaufreibend für den alten Zauberer. "Keine seelischen Fluten", fordert Erika.

Wirtschaftswundermenschen im Hotel versammelt der Autor in seiner biografischen Fiktion

Die Begegnung mit Heuser ist verbürgt, Tagebucheintragungen Manns erzählen von ihr. Darüber hinaus haben Aussehen und Charakterzüge des schönen Jünglings Eingang gefunden in die "Joseph"-Bücher, den "Felix Krull". Das Szenario von 1954 hat sich der Münchner Autor allerdings fein hinzugedacht: Wirtschaftswundermenschen im Hotel. Es ermöglicht Pleschinski vor dem Hintergrund von Aufbau-Boom und Vergangenheitsverdrängung eine nierentischbeschwingte, mit zahllosen literarischen Anspielungen gespickte Versteckspielsatire zu erzählen, bei der vor allem die Familie Mann auf die Schippe genommen wird.

Nun ist "Königsallee" als Hörspiel in der Regie von Uwe Scharek erschienen. Die Inszenierung hat Stärken und Schwächen. Ihre Stärke sind die Sprecher, allen voran Wolf-Dietrich Sprenger als gebrechlicher, in sich versponnener Thomas Mann. Wie ein Faktotum aus vergangenen Tagen lässt Sprenger seinen Thomas "Tommy" Mann wirken. Dann sind da noch Lena Stolze, die als Erika gouvernantenhaft auftrumpft, und Matthias Bundschuh als Golo Mann. Bundschuh fistelt mehr als zu sprechen. Kann man seelisches Leiden, das Gefühl der Minderwertigkeit gegenüber dem schier übermächtigen Vater überzeugender zu Gehör bringen? Schließlich muss man den Klaus-Heuser-Sprecher Barnaby Metschurat erwähnen. Denn er legt so viel Schmelz in seine Stimme, dass vor dem inneren Auge sofort das Bild eines attraktiven jungen Mannes entsteht.

Die Schwächen des Hörspiels, das seinen musikalischen Rhythmus Wagners abgenudeltem "Walkürenritt" verdankt, rühren vom Manuskript her. Die Adaption ist auf zwei Teile angelegt und dauert gerade mal etwas mehr als eineinhalb Stunden. Der Roman, immerhin fast 400 Seiten stark, hätte durchaus drei oder mehr Teile verdient. Zu viel von Pleschinskis aufs Genaueste inszenierter Situationskomik vermisst man nun beim Hören. Ein Beispiel: Die Ansprache des Kulturdezernenten zu Ehren von Thomas Mann. Pleschinski lässt ihn im Buch eine hochnotpeinliche Rede halten, in der dieser die Nerven des Nobelpreisträgers allen Ernstes erst mit Ernst Jünger und dann auch noch mit Ina Seidel strapaziert, ehe er schließlich ein paar lieblich-lasche Worte über den Ehrengast verliert. Böser kann man die Mächtigen nicht darstellen.

Und was macht Hörspielregisseur Uwe Scharek? Er streicht die komplette Jünger/Seidel-Passage und zieht damit der Satire ihren Giftstachel. Wer wahrhaft in den Genuss von Pleschinskis Roman kommen will, der sollte ihn lesen und erst dann zum Hörspiel greifen.

Hans Pleschinski: Königsallee. Mit Barnaby Metschurat, Wolf-Dietrich Sprenger u.a. 2 CDs, Laufzeit ca. 106 Min. Der Audio Verlag, Berlin 2015. 16,99 Euro.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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