Das Hörbuch:Ein Anarchist

Manfred Steffen liest den "Professor Unrat" von Heinrich Mann. Und so, wie er das in der Aufnahme von 1982 macht, löst sich der Schul- und Kleinstadtroman von der Verfilmung "Der blaue Engel". Man kann ihn als Hörer neu entdecken.

Von Jens Bisky

Wenn ein Pauker, der seine Schüler mit innerem Jubel niederringt, Raat heißt, dann nennt die ganze Schule ihn "Unrat". "Nichts konnte einfacher und natürlicher sein", schrieb Heinrich Mann am Anfang seines Romans "Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen". Und nichts mag einfacher und natürlicher erscheinen, als auf dem Cover dieses Hörbuchs Emil Jannings abzubilden, der im Film "Der blaue Engel" 1930 einen Professor Unrat spielte und darin allerlei aufreizend sentimentale Szenen mit Marlene Dietrich absolvierte. Doch haben, wie man in den Schulen lernt, beide Meisterwerke, der Welterfolg Josef von Sternbergs und Heinrich Manns Gesellschaftsroman aus dem Jahr 1905, nur wenig miteinander gemein; die Künstlerin Fröhlich, die Rosa Fröhlich des Buches hat wenig vom Großstadtcharme Lola Lolas.

Die scheinbar natürliche Gestaltung des Covers führt in die Irre. Hoffentlich erfüllt sie wenigstens den Werbezweck. Die ungekürzte Lesung des "Professor Unrat", der seine Klassikerexistenz im Schatten der Dietrich und im Schattenreich der Lehrpläne fristet, bietet eine schöne Gelegenheit, den satirischen Roman neu zu entdecken. 1982 hat Manfred Steffen (1916-2009) den Text eingelesen, als Geschichte einer kleinen Stadt und des Zweikampfs zwischen dem Lehrer Raat und dem Schüler Lohmann. Teil dieses Zweikampfs ist das Ringen um die Künstlerin Fröhlich, und er wird so erbittert, deutsch und ernsthaft geführt, dass er - wie später "Der Untertan" - nur in einer grotesk komischen Szene enden kann.

Manfred Steffen spricht mit passend norddeutscher Stimmfärbung, rasch, ohne sich zu übereilen; er folgt dem Rhythmus der Prosa, dem Wechsel einfacher, natürlich klingender Sätze und hypotaktischer, gedrängter Umständlichkeiten. Leichte Variationen der Tonhöhe charakterisieren Schüler, Lehrer, Rosa Fröhlich, die Städter. Er lässt die Hörer miterleben, wie Heinrich Mann Szenen baut, aus der Perspektive erst des einen, dann des anderen berichtet, um die Spannung in direkter Rede zu lösen, wobei den Figuren das treffende Wort oft fehlt. Am Ende ist der Pauker zum Anarchisten geworden, der Schüler ruft die Polizei. Auch das eine Erzählung vom Ende des Bürgertums.

Heinrich Mann: Professor Unrat. Gelesen von Manfred Steffen. Der Hörverlag, München 2015. 7 CDs, 460 Minuten, 24,99 Euro.

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