"Das Bourne Vermächtnis" im Kino:Abhängig von bunten Kapseln

Im neuen "Bourne"-Film kämpft Held Aaron Cross mit phänomenaler Gleichgültigkeit um sein Überleben - und gegen die Angstindustrie. Dass Jeremy Renner bislang nur Nebendarsteller war, macht gerade seine Qualität aus.

Fritz Göttler

Es beginnt ganz sportiv, im Nachklang zum olympischen Sommer, ein Mann, der allein sich durchschlägt in einsamer, eiskalter Berglandschaft. Er durchquert Wälder und Flüsse, gerät in Schnee und Stürme, droben in Alaska, ein Ertüchtigungsprogramm. Es geht gegen Wölfe und schließlich auch gegen Drohnen, die von dunklen heimeligen Kontrollräumen irgendwo in der Heimat aus kontrolliert und gesteuert werden, zielgenau auf ihren Mann programmiert. Ein undurchsichtiger Wettkampf. Doping ist im Spiel.

Themendienst Kino: Das Bourne Vermaechtnis

Ein bisschen sportiver als James Bond, ein bisschen weniger verbissen als Jason Bourne - Jeremy Renner ist der neue Actionheld in dem Film "Das Bourne Vermächtnis".

(Foto: dapd)

Der einsame Mann ist ein Junkie, ist abhängig von seinen blauen und grünen Kapseln, die er regelmäßig nehmen muss, um seine Dynamik, seine körperliche und geistige Kraft zu bewahren: Aaron Cross aus Reno, zum Superagenten herangezüchtet, Nr. 5 von neun aus dem dubiosen Regierungsprogramm Outcome. Eins von vielen, ein anderes, Treadstone ist vor einiger Zeit aus den Fugen gegangen, das wissen wir aus den drei bisherigen Bourne-Filmen, und ist in der Öffentlichkeit gehörig in Verruf geraten. Bad Publicity. Einer der darin verwickelten Agenten wird immer noch vermisst, Jason Bourne. "Das Bourne Vermächtnis" ist ein Film im Schatten der erfolgreichen Bourne-Trilogie, nach den Romanen von Robert Ludlum. Keine wirkliche Fortsetzung, der Bourne-Darsteller Matt Damon und Regisseur Paul Greengrass, der den zweiten und dritten Teil inszeniert hatte, wollten nicht mehr weitermachen.

Quälend absurde Verfolgungsjagd

Tony Gilroy, der bei den drei Filmen die Drehbücher schrieb, ist nun der Nachlassverwalter der Serie, übernahm Buch und Regie. Bekannt wurde er mit "Michael Clayton", den er 2008 drehte und der für sieben Oscars nominiert wurde - eine traurige kleine Ballade über die Verfilzungen von Politik, Justiz und Wirtschaft, mit George Clooney und Tilda Swinton. Wie die meisten Buch-Regie-Zwitter gilt auch Tony Gilroy als intellektuell und distinguiert, ein Krawattentyp. Die Filme, die er nach seinem Erfolg mit "Clayton" zu machen gedacht, so erinnert er sich, dieser Mittelbereich des Kinobusiness ist in den letzten sechs Jahren verschwunden. "Das Fernsehen ist im Moment so gut wie noch nie, um den Leuten einen Grund zum Rausgehen zu geben, muss man einen hohen Grad von Spektakel haben." Tony Gilroy hat sich angepasst, macht einen Actionfilm, einen Blockbuster. Die letzte halbe Stunde von "Bourne Vermächtnis" ist denn auch eine jener quälend absurden Verfolgungsjagden, die nicht enden wollen. Den Schnitt hat der Bruder John Gilroy besorgt. Am Buch hat Dan Gilroy mitgearbeitet. Ein Familienunternehmen.

Der Bourne-Skandal hat die CIA-Leute in ihrer geheimen Kommandozentrale aufgeschreckt. Das Outcome-Programm soll eliminiert werden, alle neun Agenten, also schicken sie ihre Killer und ihre Drohnen los. Der Chef ist Edward Norton, ein Ex-Armee-Colonel, der zum Geheimdienstler mutierte, das ist die schlimmste Entwicklung. Kalte Intelligenz, Paranoiaschübe, eine Tendenz zum religiösen Flagellantentum. Er ist mit angewidertem Stolz bei der Sache. Wir sind die sin eaters, hat er Aaron bei der Ausbildung erklärt, das heißt: moralisch nicht zu verteidigen und absolut notwendig. "Wir fressen so viel Scheiße wie nur geht, damit der Rest der Sache seine Reinheit bewahrt." So ähnlich klang das damals auch bei der Elite der SS.

"Furcht verändert alles"

Jeremy Renner ist Aaron Cross, er ist vor zehn Jahren bekannt geworden, als er den perversen Serienkiller Dahmer im gleichnamigen Film spielte. 2008 war er der verschlossene Irak-Sprengstoffexperte in Kathryn Bigelows "Hurt Locker", danach assistierte er den Stars in Großproduktionen wie "Mission Impossible 4" und "Avengers". Ein Nebendarsteller in einer Starrollle, haben amerikanische Kritiker moniert, aber gerade das macht natürlich die Qualität dieses Bourne-Zwillings aus. Aaron Cross zeichnet eine phänomenale Gleichgültigkeit aus, er ist kein Kämpfer für eine Sache, er setzt sich zur Wehr, primär um sein eigenes Überleben zu sichern.

Das tut auch die Wissenschaftlerin Marta (Rachel Weisz), die sich Aaron Cross anschließt - sie war beim Outcome-Projekt dabei und ist nur knapp der Liquidierung entgangen. Auch ihre Begründung für ihr Tun klingt erschreckend vertraut - das habe sie alles nur für die Wissenschaft getan. In ihrem schönen neuenglischen Haus in den Wäldern von Maryland sieht man Aaron die Verfolger erledigen in einer atemraubend schönen Choreografie, vom Keller hinauf durch alle Stockwerke.

Das Agentengenre ist gewaltig mutiert in den letzten zehn Jahren, an den Bourne-Filmen hat man das erschreckend deutlich beobachten können, sie sind allemal Geschöpfe der Post-9/11-Zeit. "Furcht verändert alles", sagt Tony Gilroy. "Wir sind Tiere, und wir haben Angst, uns wie Tiere zu verhalten. Ich kann mich da selber nicht ausnehmen. Ich war in New York am 11. September. We live in a fearocracy today . . ." Wenn Aaron und Marta sich aufmachen nach Manila, dann nicht, um für den genreobligatorischen exotischen Szenenwechsel zu sorgen - in Manila ist die chemische Fabrik angesiedelt worden, die die Präparate für das Projekt herstellt. Der Film verwendet - eine der aufregendsten Sequenzen, mit gutem alten Suspense - viel Zeit darauf, wie die Verfolgten für diesen Trip sich falsche Pässe besorgen müssen und wie mühsam die Männer in den Kontrollräumen versuchen, die falschen Identitäten zu knacken. "There's a whole fear industry been built up", sagt Gilroy.

Der neue amerikanische Traum ist genetisch fundiert. Den Helden wird die neue Handlungsfreiheit gespritzt, jenes Ineinander von physischen und intellektuellen Reflexen, das das Geheimnis des Actionkinos ausmacht. Am Ende der Verfolgung tritt Aaron schon gegen die nächste Generation an, gegen den mysteriösen Killer Larx. Ein Todesengel, der kaum noch Menschliches an sich hat. Eine Killermaschine. Auch Aaron hofft, in Zukunft unabhängig zu werden von seinen Kapseln - eine Spritze soll seinen Organismus endgültig verwandeln. Ihm die Furcht nehmen, wieder in die alte Existenz zurückzufallen, das alte Dumpfbackendasein. Danke, sagt er, als Marta ihm die Spritze setzt, in einem schäbigen Hotelzimmer in Manila; und das ist eine wunderschöne Liebesszene.

The Bourne Legacy, USA 2012 - Regie: Tony Gilroy. Buch: Tony und Dan Gilroy. Kamera: Robert Elswit. Musik: James Newton Howard. Schnitt: John Gilroy. Mit: Jeremy Renner, Rachel Weisz, Edward Norton, Stacy Keach, Oscar Isaac, Joan Allen, Albert Finney, David Strathairn, Scott Glenn, Louis Ozawa Changchien. Universal, 134 Minuten.

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