Damals und heute:Der alte Seebär

Von den "Rattles" zu Theodor Fontane: Achim Reichel ist seit fast 60 Jahren Musiker

Von Dirk Wagner

"Wer der Masse immer in den Arsch kriecht, hängt ihr bald zum Halse raus", sagt Achim Reichel. Seine Hamburger Band The Rattles wurde in den Sechzigerjahren sogar in England gefeiert. Damals tourten sie fünf Wochen mit Bo Diddley, Little Richard und den noch unbekannten Rolling Stones durch Großbritannien. "Wir reisten alle in einem Bus, weswegen alle pünktlich zur Abfahrt da sein mussten. Nur Little Richard, der Star der Tournee, kam ständig zu spät, weil er sich noch die Fingernägel machen oder das Haar richten musste", erinnert sich Reichel, der 1966 mit seinen Rattles auch die großen Beatles auf einer dreitägigen Blitztournee durch Deutschland begleitete.

Das Wiedersehen mit den Fab Four, die er noch aus deren Anfängen in Hamburg kannte, fiel allerdings weniger freundschaftlich aus. "Die Beatles waren jetzt Getriebene, die einen strengen Zeitplan hatten. In dem waren Treffen mit Journalisten wichtiger als wir", erzählt Reichel. Und dann ärgerte sich der Manager der Beatles auch noch über die Begeisterung, mit der die Rattles im Vorprogramm gefeiert wurden. Waren sie im Circus Krone noch die letzte von drei Vorgruppen, mussten sie danach als erste Band auf die Bühne.

Damals und heute: Der Musiker Achim Reichel heute.

Der Musiker Achim Reichel heute.

(Foto: Hinrich Franck)

Wenig später verließ Reichel die Gruppe, um zur Bundeswehr zu gehen. Eine Rückkehr gelang danach nicht mehr. "Da waren vier Köpfe. Die sprachen zwar alle die selbe Sprache, aber jeder meinte was anderes", erinnert sich Reichel, der längst auch als Solist erfolgreich war. Vergessen schienen da bereits die kleinen Erfolge, die er 1968 mit der von James Last produzierten, psychedelischen Beatband Wonderland feierte, in der neben Reichel auch Les Humphries mitwirkte.

Reichels 1971er Solo-Album "Die grüne Reise", das er unter dem Namen A.R. & Machines veröffentlichte, wird viel zu selten in der Reihe stilprägender Schallplatten eines neuen Pop-Bewusstseins gelistet. Dabei hatte der englische Musiker Brian Eno es später mal als das Album gerühmt, bei dem ihm zum ersten Mal Gitarren-Loops aufgefallen seien, die Reichel mit Hilfe eines Tonbandgeräts spielte.

"Irgendwann muss man aufhören, immer nur mitzulaufen, sondern auch die Traute haben, sich auf eigenen Füßen zu bewegen und dem eigenen Kopf zu folgen", sagt Reichel, der keine Lust mehr darauf hatte, als gelungene Kopie einer englischen Popmusik gefeiert zu werden. Der Band Ougenweide, die Reichel produzierte, riet er, sich auf alte deutsche Dichter wie Walther von der Vogelweide zu besinnen.

Damals und heute: Wie die Zeit vergeht: Achim Reichel in den 1980er-Jahren.

Wie die Zeit vergeht: Achim Reichel in den 1980er-Jahren.

(Foto: Hinrich Franck)

Nachdem Reichel selbst 1978 mit der Vertonung von Fontanes "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" vom Album "Regenballade" ein weiterer Hit gelang, fand er in dem Autor Jörg Fauser einen Mitstreiter, dessen Texte er auf vier Alben vertonte. Als Fauser ihm Mitte der Achtziger seinen Text "Herz der Dinge" mit der Zeile "Wach auf, wer weiß, wie lange wir noch haben", zeigte, war Reichel irritiert. "Was soll das denn, Jörg? Wir sind noch nicht mal Vierzig", sagte er dem Dichter. Auf seinem neuen Album "Raureif" hat der mittlerweile 71 Jahre alte Reichel den Text des 1987 tödlich verunglückten Jörg Fauser doch noch veröffentlicht.

Es ist Reichels erstes Album seit 16 Jahren mit neuen eigenen Songs. Und weil Reichel damit bloß in kein Formatradio passen mag, ist es vielseitig, sperrig und fordernd. Es präsentiert eben nicht nur einen reifen Reichel, sondern auch einen rauen, der sich wie der von ihm besungene alte Seebär auf die letzte Fahrt begibt. Auf dass diese wie Dylans Never Ending Tour nie enden möge. "George Harrison hat mal gesagt: Natürlich haben wir das auch für Geld gemacht. Für sehr viel Geld sogar. Aber wenn du dann das Geld hast, kommt die Frage auf: Wofür machen wir das jetzt?", erklärt Achim Reichel seine Motivation, eine Musik zu machen, die schon lange nicht mehr massenkompatibel sein will.

Achim Reichel: Raureif; Mittwoch, 18. November, 20 Uhr, Freiheiz, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1

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