Testballon für Theateröffnung:"Wir können das"

Panikherz/BERLINER ENSEMBLE/Regie/Bearbeitung: Oliver Reese

So ähnlich wie auf diesem Foto vom September 2020 könnte es im Berliner Ensemble bald wieder aussehen - dann aber in richtiger Schachbrettbesetzung. Auf dem Foto ist es noch eine Mischform, daher sieht man auch Zweier-Plätze.

(Foto: Moritz Haase)

Licht am Ende des Lockdowns: Ein Berliner Pilotprojekt erprobt die Öffnung der Theater und Opern mit vorher getestetem Publikum.

Von Peter Laudenbach

Spricht man derzeit mit Intendanten und Künstlern, ist die Wut über die komplizierte - manche sagen auch: konfuse - Öffnungsstrategie der Bundesregierung groß. Der Pianist Igor Levit twittert: "Niemand, wirklich niemand kann so in eine seriöse Planung gehen. Das wissen alle, die unsere Welt kennen." Oliver Reese, der Intendant des Berliner Ensembles, ist kein Mann, der zu schrillen Tönen neigt. Aber den Stufenplan der Bundesregierung nennt er eine "Mogelpackung" und ein "Placebo zur Beruhigung der Nerven". Vor allem bietet der Stufenplan für die Kulturinstitutionen in Reeses Augen "keine Planungsgrundlage". Die Vorgabe, dass vor dem Öffnungsschritt für die Theater 14 Tage lang die Inzidenz stabil sein muss, sei nicht sehr realistisch. "Im Ergebnis entsteht für uns eine völlig unübersichtliche Situation und maximale Unsicherheit." Ein Berliner Pilotprojekt versucht einen anderen Weg der vorsichtigen Öffnung, vorerst mit neun Veranstaltungen in neun Kultureinrichtungen.

Den Anfang macht am 19. März das Berliner Ensemble, wobei der Titel der Aufführung nicht ohne Ironie ist: "Panikherz", eine Inszenierung von Reese nach der Autobiografie von Benjamin von Stuckrad-Barre. Am nächsten Tag folgt ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko, in den Wochen darauf eine Premiere von Armin Petras an der Volksbühne, neu einstudierte Aufführungen an der Staatsoper und der Deutschen Oper und sogar eine Clubnacht unter Hygienebedingungen.

Panikherz/BERLINER ENSEMBLE/Regie/Bearbeitung: Oliver Reese

Endlich wieder richtiges Theater? Szene aus "Panikherz" von Benjamin von Stuckrad-Barre. Mit einer Aufführung dieses Stücks startet am 19. März am Berliner Ensemble der Testballon für die Öffnung.

(Foto: Julian Roeder)

Abstandsregeln, Masken während der Vorstellung, getestete Belüftungssysteme, all die erprobten Routinen des Sicherheitsstandards sind für den Besuch selbstverständlich. Möglich wird dieser tastende Neustart des Berliner Kulturlebens, indem jeder Besucher, jede Besucherin sich am Tag der Aufführung testen lässt und beim Einlass neben der personalisierten Eintrittskarte und dem Personalausweis das negative Testergebnis vorzeigt, nicht älter als zwölf Stunden. Fünf Testzentren sind an dem Pilotprojekt beteiligt, mit dem Kauf der Eintrittskarte kann man einen (kostenlosen) Testtermin buchen. Dass das Unternehmen drei Tage vor dem 22. März startet, dem ersten Tag, an dem der Stufenplan der Bundesregierung bei hinreichend niedrigen Inzidenzen wieder Theateraufführungen für möglich hält, ist Zufall - aber natürlich auch eine kleine Frechheit.

Vorausgegangen sind diesem Großversuch seit Wochen aufwendige Vorbereitungen der Berliner Kulturverwaltung und der beteiligten Bühnen, Absprachen mit den Gesundheitsbehörden und die Arbeit an der notwendigen Logistik, um den Ablauf für die Besucher so unkompliziert wie möglich zu machen. Es ist ein Testballon, mehr nicht - aber mit etwas Glück ja vielleicht ein erster Schritt in die Zeit nach der Lockdown-Tristesse. "Ich hoffe, dass die Kombination aus Testen, Impfen und Hygienekonzepten eine Rückkehr zum gesellschaftlichen und kulturellen Leben möglich macht. Für die Kultur ist es notwendig, das einmal praktisch durchzuspielen", sagt der Initiator des Pilotprojekts, Berlins Kultursenator Klaus Lederer. "Das Ziel ist, mit einem sehr hohen Sicherheitslevel wieder Kulturveranstaltungen durchzuführen."

"Kultur ist für eine offene Gesellschaft mehr als Freizeit", sagt Kultursenator Klaus Lederer

Lederer gibt sich keinen Illusionen hin. Wenn sich mit Wucht eine dritte Welle entwickelt und nicht schnell genug geimpft werden kann, steht mit einer Rückkehr zum Lockdown auch dieses Projekt zur Disposition. Natürlich wird es länger nicht möglich sein, in einem geschlossenen Raum in einem großen Chor zu singen oder im Club ohne Abstand zu tanzen. Aber Lederer hofft, "dass wir langsam immer mehr möglich machen können". Die Kultureinrichtungen wurden als Erstes geschlossen, in Berlin früher als in vielen anderen Bundesländern. "Diese Vorsicht war richtig und notwendig", so Lederer. "Aber ich will nicht, dass die Kultur erst als Letztes wieder öffnet. Kultur ist für eine offene Gesellschaft mehr als Freizeit, auch wenn die Bundesregierung Theater und Opern in ihrer Pandemiepolitik behandelt hat wie Tattoo-Studios und Bordelle." Ein kleiner Nebenaspekt sind die zusätzlichen Tests: Wer sich für den Opernbesuch testen lässt, muss bei positivem Befund in Quarantäne und steckt niemanden an.

Für die Theater bedeutet das zusätzlichen Aufwand, aber daran sind sie mittlerweile gewöhnt. "Die Einlasskontrolle wird komplexer, aber schon im September haben wir mit einem gestaffelten Einlass gearbeitet und die Publikumsgruppen sortiert. Das ist jetzt kein großer, neuer Schritt. Wir können das", sagt BE-Intendant Reese. Für ihn ist Lederers Pilotprojekt ein Hoffnungsschimmer, "ein wichtiges Zeichen, damit man mal wieder die Gelegenheit hat, sinnlich zu erleben, was das eigentlich ist, eine Theatervorstellung - wir haben das ja langsam vergessen."

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