Cornelia Funke: Reckless:Die böse Fee von Altschwanstein

"Steinernes Fleisch": Cornelia Funke ist die international bekannteste deutsche Autorin - nur in Deutschland weiß das keiner. Jetzt erscheint der erste Band ihrer neuen Fantasy-Reihe.

Burkhard Müller

Cornelia Funke dürfte, worüber man sich innerhalb des deutschen Sprachraums nicht völlig im Klaren ist, der international bekannteste deutsche Autor sein. Ihr Erfolg hierzulande kam auf dem Umweg über die englischsprachige Rezeption zustande. Mehr als zehn Millionen verkaufte Exemplare wurden schon 2005 gezählt, inzwischen könnten es gut und gern doppelt so viele sein. Das Time Magazine rechnete sie vor kurzem zu den hundert weltweit einflussreichsten Personen - keinem anderen Deutschen gelang der Sprung auf diese Liste.

Cornelia Funkes 'Tintenblut': Feine Fantasie

Cornelia Funkes neues Buch "Steinernes Fleisch" will gar kein richtiges Buch sein.

(Foto: dpa)

Da ist man schon gespannt, wenn nun der Auftakt zu einer neuen mehrteiligen Buchreihe dieser Autorin erscheint, offenbar auf ähnliche Größenordnungen ausgelegt wie "Die Wilden Hühner" und "Tintenwelt". Diesmal trägt die Serie insgesamt den Namen "Reckless", und Band eins heißt "Steinernes Fleisch".

Die Verfilmung stets im Hinterkopf

Jacob Reckless leidet, wie auch seine Mutter und sein jüngerer Bruder Will, sehr unter dem unerklärten Verschwinden des Vaters. Dessen Zimmer bleibt immer verschlossen, aber Jacob weiß, wie er sich heimlich den Schlüssel verschaffen kann. Bemerkenswertester Gegenstand in diesem Raum ist ein Spiegel in einem Rahmen silberner Rosen mit der Aufschrift "Der Spiegel öffnet sich nur für den, der sich selbst nicht sieht." Endlich versteht Jacob: Er deckt die Spiegelfläche mit seiner Hand ab und findet sich augenblicklich transponiert in eine Spiegel-, Märchen - und Anderswelt.

Als besonders originell kann man diesen Einstieg nicht bezeichnen; so funktioniert auch die "Legende von Narnia". Es geht auch nicht sehr originell weiter. Jacob, am Anfang noch ein Kind, geht ganz in der neuen Welt auf; die eigentliche Handlung setzt zwölf Jahre später ein, als Will, obwohl er das nicht sollte, seinem älteren Bruder durch den Spiegel nachsteigt und dazu noch seine Freundin Clara mitbringt.

Jacob, Will, Clara: man merkt es schon an den Namen, dass Cornelia Funke auf die internationale Anschlussfähigkeit ihres Buchs achtet wie japanische Autokonzerne bei der Wahl ihrer nichtssagenden Markennamen. Auch am Gang der Handlung lässt sich wenig erkennen, was allein der Autorin oder bloß einem bestimmten Kulturkreis angehört; und alles ist schon viele Male dagewesen.

Es kämpfen zwei Reiche gegeneinander, einerseits das der "Goyls", menschenähnlicher Wesen, deren Fleisch aus diversen Sorten von Halbedelsteinen besteht, andererseits das der Menschen unter ihrer Kaiserin Therese von Austrien. Will, unter dem Fluch einer bösen Fee stehend, verwandelt sich allmählich in eines der Steinwesen, ein Prozess, der unbedingt aufgehalten und umgekehrt werden muss: Das gibt dem Plot Gang und Dringlichkeit vor.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich das Buch ideal für die Verfilmung eignet.

Ein bisschen Brüder Grimm, ein bisschen Harry Potter

Dazwischen bleibt Raum für reichliches Füllmaterial, zumeist aus den Märchen der Brüder Grimm. Man durchquert einen tiefen Wald, findet das Haus einer Knusperhexe, stößt unterwegs auf Dornröschen, das noch ungeküsst vor sich hin schlummert, der goldene Ball aus dem Froschkönig und der Knüppel aus dem Sack tauchen auf, Herausforderungen in der Senkrechten begegnet man mit einem Haar der Rapunzel, und so weiter und so fort.

Also ein typischer Quest, wie bei praktisch aller Fantasy-Literatur: Mit einem großen Ziel vor Augen durchlebt die Schar um den Helden allerlei kleinere Abenteuer, die dem Prinzip der episodischen Reihung, aber sonst keiner dramaturgischen Notwendigkeit gehorchen. Man erstaunt nicht, als Co-Autoren auf dem Titelblatt Lionel Wigram genannt zu finden, der an der Verfilmung der Harry-Potter-Bücher beteiligt war.

Funkes Buch will eigentlich gar kein richtiges Buch sein, sondern eher eine Art Treatment, das bereitliegt für einen künftigen Film; und man braucht nicht besonders viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie der aussehen wird, denn dieses Genre ist gegenwärtig wirklich sehr produktiv. Die Special Effects werden darin eine große Rolle spielen, feuerspeiende Drachen und so, man wird sich das Ganze gern anschauen, aber eine Stunde später schon wieder vergessen haben, um was es gleich noch mal ging.

Bei einem Buch gibt es leider kein Wirkungs-Äquivalent zu den Special Effects. Es sei denn natürlich, man würde die Sprache dafür halten. Aber eine eigene Sprache besitzt Cornelia Funke nicht. Ihre Sprache birgt kein Geheimnis, wie es die von ihr so hochverehrten Grimmschen Märchen tun, etwas, das nirgends daheim wäre als in den Worten und dem Leser oder Hörer die Evozierung der Bilder selbst anheimstellt. Stattdessen dient der Autorin Sprache (die sich bei ihr wie eine etwas lieblose Übersetzung aus dem Englischen ausnimmt) nur dazu, etwas vorab Konzipiertes umzusetzen, immer Mittel und niemals Zweck.

Das Grauen gefangen in einem Wort

Besonders bemerkbar macht sich das, wenn die Autorin ums Poetische ringt: "Das Laternenlicht füllte die Straßen von Schwanstein wie verlaufene Milch. Gaslicht und hölzerne Kutschräder, die über holpriges Kopfsteipflaster rollten, Frauen in langen Röcken, die Säume nass vom Regen. Die feuchte Herbstluft roch nach Rauch, und Kohlenasche schwärzte die Wäsche, die zwischen den spitzen Giebeln hing." Das Kopfsteinpflaster muss holprig sein, die Giebel spitz, sonst ginge es nicht in dieser Lebkuchenschachtelwelt.

Manchmal zwar glaubt man, dass Funke vielleicht doch dicht dran ist, etwas aus Sprache zu erschaffen. Als die Freundesschar den Märchenwald durchquert, hören sie aus der Ferne ein leise schnappendes oder schnippendes Geräusch, und sie wissen: Das ist der Schneider. Wie viel Grauen hat auf einmal in diesem einen Wort Platz! Dann aber muss die entsprechende Figur zum Duell antreten, sie sieht, des langen und breiten beschrieben, aus wie eine Kreuzung von Edward mit den Scherenhänden und Freddy Kruger, und gerade als es spannend werden soll, wird es stattdessen todlangweilig.

Da Funke so sehr aufs Filmische setzt, verwundert es, dass sie sich mit ihren eigenen Illustrationen zufrieden gibt. Mit weichem Bleistift auf dickem Papier ausgeführt, lassen sie durchaus zeichnerisches Talent erkennen, halten aber in ihrem dunkel verwischten Monochrom der krachbunten Bildlichkeit des Buchs nicht stand. Die Autorin muss es doch gemerkt haben, denn nach einigen Kapiteln hören die Zeichnungen auf.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: