Computerspiel:Höllischer Spaß

Seit 1993 setzt das Computerspiel Doom Maßstäbe: Es ist brutal, tumb, ästhetisch zweifelhaft und hat keine Handlung. Jetzt erscheint die neueste Version. Ein Vergnügen!

Von Bernd Graff

Für alle, die jetzt nicht so drin sind im Thema: Es hat im letzten Vierteljahrhundert eine Ausdifferenzierung im Genre der Ego-Shooter-Computerspiele gegeben. Was gemeinhin Ballerspiel genannt wird, ist tatsächlich in Subgenres wie Taktik-Shooter, Stealth Shooter und eben klassische First Person Shooter unterschieden. Zwar lassen alle diese Genres den Spieler bewaffnet gegen Gegner antreten, doch gibt es Spiele, bei denen man eher vorsichtig durch den virtuellen Raum schleicht, ab und zu innehält, um ein aufgegebenes Problem oder Rätsel zu lösen, sich von hollywoodartigen Spielfilmszenen den Fortgang der überwölbenden Rahmenhandlung näherbringen zu lassen oder einfach nur, um auszuspionieren, was der Gegner gerade so treibt. Bei manchen Spielen kann man mit Teamkameraden das weitere Vorgehen besprechen, man hat auch mal Muße nachzuladen und kann Zeit vergehen lassen, damit die eigene Spielfigur von erlittenen Verletzungen wieder genesen kann. Kampfpäuschen wirken da oft Wunder.

Die Tore zur Hölle haben sich auf dem Mars geöffnet. Wie konnte das passieren? Ist egal

In seiner Reinform aber ist ein Ego-Shooter eine Single-Player-Angelegenheit. Man spricht von einer Kampagne: Der Spieler ist auf sich gestellt, allein mit seinen Superwaffen, wenig Medizin, wenig Munition in einer Hölle voller Gegner, die er Kopf um Kopf, Level für Level abarbeitet, wobei alles schließlich im "Boss Fight" mündet: Am Spielende steht der Kampf mit einem übermächtigen Endgegner, einem Herrn der Unterwelt oder zumindest seinem rechtmäßigen Vertreter.

Die Urform und Inkunabel des Genres überhaupt, der Standard, das Schnitzel mit Pommes unter den Shootern also, ist das 1993 erstmals veröffentlichte Spiel "Doom" von der Firma Id-Software. Eine Revolution war das damals, die den PC als Spielplattform überhaupt erst mit begründete. Sagenhafte 15 bis 20 Millionen Menschen weltweit kauften das Spiel damals. Mit Doom klapperte auf einmal nicht mehr die Textverarbeitung, es röchelte auf einmal aus PC-Lautsprechern, so bestialisch, dass die Hölle gefror, und es floss Pixelblut auf den Monitoren, große Mengen Pixelblut sogar, das angeblich, so die schon immer dünne Rahmenerzählung, von Höllenkreaturen stammte, die das Alter Ego des Spielers, ein namenloser "Space-Marine" - genannt der "Doom-Guy" -, auf dem Mars zu bekämpfen hatte.

Screenshot Doom 4

Wer hat ihn eingeladen und was sind das für seltsame Düsen auf den Schultern? So viele Fragen, doch zum Überlegen bleibt in Doom wenig Zeit. Die Waffe im Anschlag will verwendet werden.

(Foto: Screenshot Doom 4)

Bei einem fehlgeschlagenen Experiment dort oben hatten sich die Schleusen zur Unterwelt geöffnet und aus ihr strömten nun die Lost Souls aller Zeiten und Gestirne: Die verlorenen Seelen, die sowieso schon übel Zugerichteten und Mutanten, die Zombies in allen unappetitlichen Stadien der Kompostierung - und natürlich Dämonen, die mit verheerenden Feuerbällen warfen. Klar, die Argumentation, es handele sich eben um Teufelszeug, das hier verräumt würde, reichte als beruhigende Erklärung für optisch eindeutige Splatterszenen und klinisch detaillierte Bilder von Blut und geschundenen Körperteilen (im Jargon: Gore), nicht wirklich hin. Das Spiel wurde in Deutschland dann auch recht bald auf den Index jugendgefährdender Medien gesetzt, und dort blieb es bis 2011.

Doom hatte dennoch auch hierzulande einen riesigen Erfolg. Das Spiel machte seine amerikanischen Designer John Carmack, Tom Hall und John Romero von Id-Software superreich, denn sogar Bill Gates bewarb als personifizierter "Doom-Guy" mit dem Spiel sein "Windows 95". Id-Software legte im Lauf der Jahrzehnte eine Reihe Folgeprodukte nach. Und jetzt ist nach 12 Jahren eine neue Doom-Version erschienen, insgesamt die vierte des Originals. Sie heißt wie immer, es geht immer noch um Mars, Höllenschlünde und Untote, die unser Space-GI immer noch erfrischend niedermäht, mit der Kettensäge oder gleich der BFG9000, deren Name ursprünglich für Big Fragging Gun stand, von unzähligen Spielergenerationen aber mit gewissem Recht auf Big Fucking Gun umgemünzt wurde.

In einer Kritik von 1993 heißt es, das Spiel lasse "dann doch eine gewisse Tiefe vermissen"

Doch wie haben sich die Bilder seit dem Anfang der Spieleserie entwickelt! Sagen wir es so: Das neue Doom ist die alte Hölle, aber härter, schneller, lauter. Und in High- Definition-Auflösung.

Es ist also auch weiterhin nichts auf dem Schirm plausibel, glaubwürdig oder normal, man weiß und erwartet auch, dass nichts real ist oder sein will, niemand muss im Nachspann ausdrücklich darauf hinweisen, dass für diese Produktion keinem echten Teufelchen auch nur ein Hörnchen gekrümmt wurde. Doom 2016 ist auch keine neue Folge oder neue Episode, es ist ein Reboot, ein: "Play it again, Sam! Aber diesmal so, dass es wirklich alle mitbekommen!"

Damals reichten eine VGA-Karte und vier Megabyte Arbeitsspeicher, um Doom zu spielen. Der wäre heute bereits mit den Fußnägeln eines einzigen Monsters gefüllt. Jetzt braucht man, um das Spiel in ordentlicher Auflösung flüssig spielen zu können, mindestens zwei Gigabyte Grafikkarten- und acht Gigabyte Hauptspeicher. Auf der Festplatte belegt das Spiel 55 Gigabyte, man lädt es länger als drei Stunden lang aus dem Netz. Doom 1 benötigte einst fünf Megabyte.

Abgesehen davon ist einiges beim Alten: Es geht wieder los, ohne dass sich irgendjemand mit Exposition oder Storytelling aufhielte. Hier wird nichts diskutiert oder erörtert, überhaupt wird wenig gesprochen. Der ewige Doom-Guy befindet sich auf einem alles andere als aseptischen Seziertisch, 10 Sekunden später hat er sich befreit und den ersten Zombie explizit gemeuchelt. Dann findet er seine Rüstung, eine Art Schützenpanzer zum Anziehen, und meuchelt weiter. Immer weiter. Wirklich: Nur das. Level für Level. Gute achteinhalb Stunden lang. Satanisch, praktisch und auch tumb, das Ganze.

Der Kritiker Sandy Petersen sprach schon 1993 davon, dass "Doom dann doch eine gewisse Tiefe" vermissen lasse. Der Kritiker von Edge beschrieb das Gameplay damals als "so eng geführt, wie es eben geht". Man kann aber auch sagen: Es war und ist seit je ein Spiel, das reduziert ist auf die Essenz des Shooters: töten und selbst möglichst lange überleben. Doom folgt bis heute treu dem Paradigma seines Erfinders John Carmack: "Wie jeder Porno hat auch Doom eine erklärende Rahmenerzählung und Story. Aber sie spielt hier wie dort keine Rolle."

Also konzentriert man sich aufs Ambiente. Die Gegner, die sich früher auf hüftsteifen Pixeln näherten, wirken nun, eine Menschen-Generation später, wie in Fitnessstudios großgezogen: körperlich ertüchtigt, bewusst ernährt und nur mit Mineralwasser gepäppelt. Für Zombie-Verhältnisse sehen sie fantastisch aus, sie sind sehr agil, straff und sehnig, motiviert wie junge Bundesligaprofis, doch sie bleiben die charakterschwachen Kreaturen von schlichter künstlicher Intelligenz. Massakriert werden müssen sie alle, denn erst dann öffnen sich die Pforten der "Kill Chambers" in der Mars-Anlage zum nächsten Level. Die Waffen sind naturgemäß Gunporn vom Feinsten, Freuds Theorie vom Penisersatz erhält hier reichlich Argumente. Die Heavy Assault Rifle und die Combat Shotgun lassen sich sogar mit Explosivgeschossen aufrüsten. Alles nichts, klar, gegen die gute alte BFG mit ihrer grünlichen Strahlung, die das oder den Gegenüber in einen Konfetti-Regen aus Innereien verwandelt.

Der Mars selber, also die unmittelbare Fabrik-Umgebung, sieht jetzt aus, als habe man den noch nicht ganz fertig gestellten Berliner Flughafen oder die Elbphilharmonie oder beide in den Grand Canyon geworfen. Alles da, nur sperrig, verwinkelt, halb ab- oder aufgerissen, zischend und qualmend, also ganz und gar nicht intakt. Dass man dies überhaupt bemerkt, liegt daran, dass die Entwickler dem neuen Doom wesentlich mehr Umgebungslicht spendiert haben, die Gegner in den Vorgängern erkannte man oft nur an ihren Geräuschen.

Eigentlich rennt man die ganze Zeit nur weg. Rückwärts, damit man gleichzeitig schießen kann

Doch bemerkt man das nur, falls man einmal kurz zum Luftholen kommt, was selten passiert, weil man eigentlich immer nur vor den höllischen Heerscharen wegläuft, rückwärts feuernd. Weil die Spielentwickler das wissen, haben sie die "Glory Kills" eingeführt. So nennen sie das Metzeln von Gegnern ohne Waffe mit bloßen Fäusten, deren Ableben dann der Gesundheit der eigenen Spielfigur kurzfristig förderlich ist. Deshalb geht man auch immer wieder nah an den Gegner. Ansonsten rennt man in der Hoffnung, zufällig auf Munition, Rüstung und Medizin zu stoßen. Man ist also mit nichts lange beschäftigt.

So paradox es klingt: Dooms Momentum ist die Abwechslung in der Monotonie, der abrupte Bruch in der Gleichförmigkeit der, nun ja, kruden Ereignisse. Natürlich kann man es auch anders spielen und versuchen, die in die Levels eingestreuten Easter Eggs, Geheimnisse, zu bergen, Souvenirs zu jagen oder bunte Schlüssel zu finden, vorausgesetzt, man findet sich auf dem Lageplan zurecht. Und wenn die Kinder dann im Bett sind, wird man also sagen können: Diese Schlacht-Repetition ist natürlich eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz, die reine Zeitverschwendung. Aber es ist ein wirklich großer Spaß.

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