Comics:Kawumm!

Als Kunstform sind die gezeichneten Bilderserien etabliert. Seit einigen Jahren entdeckt sie auch der Kunstmarkt. Wie rasant die Preise steigen, zeigt eine Auktion in Paris.

Von Ulrich Clewing

Am 30. Juni 2008 erschien in der New York Times ein Artikel, der von den neuesten Entwicklungen auf dem Markt für Comic-Zeichnungen berichtete. Aus jedem Absatz sprach darin das Staunen des Autors über den bemerkenswerten Weg, den die Blätter gegangen waren: "From Trash to Auction", aus Müll wird Auktionsgut, so die Überschrift. Die erste Ausgabe der "X-Men", 1963 für zwölf Cent zu haben, brachte nun - in gutem Zustand allerdings - 16 500 Dollar. Eine Originalzeichnung von Jack Kirby kam auf 33 460 Dollar, das Cover einer Ausgabe von "Weird Science" aus dem Jahr 1952 von Wally Wood sogar auf 200 000 Dollar.

Das Erstaunen des Times-Journalisten war verständlich. Dennoch hatten diese Preise nicht lange Bestand. Sie gingen seitdem erst richtig durch die Decke. Nur vier Jahre später erzielte Hergés Handzeichnung des Covers von "Tintin en Amérique" 1,3 Millionen Euro. Und 2014 sollte das original erhaltene, nicht restaurierte erste Superman-Heft "Action Comics No. 1" von 1938 auf einer Ebay-Auktion den bisher ungebrochenen Rekord setzen: gut 3,2 Millionen Dollar.

Inzwischen hat sich der Markt konsolidiert und ausdifferenziert. Bis in die mittleren Nullerjahre wurden Comics entweder von Nischenanbietern versteigert oder sie waren in die Buch- und Manuskript-Abteilungen der großen Auktionshäuser eingegliedert. Mittlerweile halten sowohl Christie's als auch Sotheby's eigene Comic-Auktionen ab. Und diese sind nicht mehr nur auf Trophäenjäger zugeschnitten, die das Besondere, Seltene, Erste seiner Art suchen.

Comics: Edgar Jacobs' Originalzeichnung für eine Seite aus "Blake et Mortimer: Le mystère de la grande pyramide" von 1955 soll um die 130 000 Euro bringen.

Edgar Jacobs' Originalzeichnung für eine Seite aus "Blake et Mortimer: Le mystère de la grande pyramide" von 1955 soll um die 130 000 Euro bringen.

(Foto: Christie's)

Die früher als "Schund" geschmähten gezeichneten Bildergeschichten sind schon länger als seriöse Kunstform etabliert. Seit einigen Jahren nun erkennt sie auch der Markt an. Dass die nächste Comic-Auktion von Christie's am 17. Juni in Paris stattfindet, ist dabei kein Zufall. In Frankreich und Belgien sitzen seit Jahrzehnten die Verlage, die jene Zeichner und Autoren beschäftigen, welche die bandes dessinées ab den späten Sechzigerjahren auf ein völlig neues Niveau gehoben haben.

Waren Comics bis dahin vor allem für unkomplizierten Konsum durch eher kindliche Gemüter gedacht, so änderte sich dies mit Künstlern wie dem gebürtigen Italiener Hugo Pratt ("Corto Maltese"), dem Franzosen Jean Giraud ("Blueberry") oder dem etwas jüngeren, ebenfalls aus Italien stammenden Duo Mattotti/Kramsky. Der Comic wurde zum Erwachsenenspaß, seine Nähe zum Kino war unübersehbar, die Grenze zu Kunst und Literatur fließend geworden.

Die Sammler kaufen nicht nur wertvolle Zeichnungen, sondern auch Kindheitserinnerungen

Das geschah nicht einfach so. Bevor er begann, Comics zu zeichnen, hatte einer wie Hugo Pratt eine klassische Ausbildung der Malerei an der Akademie der Schönen Künste in Venedig absolviert. Jean Giraud lieferte unter seinem Künstlernamen Moebius Vorlagen für die Ausstattungen von Hollywood-Filmen wie Ridley Scotts "Alien", Steven Lisbergers epochalem Kino-Hit "Tron" und Luc Bessons "Das Fünfte Element". Auch Lorenzo Mattotti, 1954 in Brescia geboren, studierte Kunst und Architektur, ehe er mit seiner charakteristischen Pastelltechnik bekannt wurde, die ihm half, sich aufzuschwingen in die Höhen der Andeutung, des Vagen und Unaussprechlichen.

Der Markt honoriert all diese Leistungen mittlerweile dankbar. Heute unterscheidet man zwischen Trophäen und Blättern für Connaisseure - ein deutlicher Hinweis auf eine Konsolidierung der Nachfrage, wie sie auch für andere Segmente des Kunstmarkts gilt.

Für erstere - eine seltene Zeichnung von Donald-Duck-Erfinder Carl Barks oder die erste "Action Comic"-Ausgabe - geht aber auch deshalb so enorm viel Geld über den Tisch, weil sich damit Erinnerungen an die eigene Kindheit kaufen lassen. Mit Zeichnungen aus E-Comics wie denen von Hugo Pratt oder Lorenzo Mattotti erwirbt man hingegen Reminiszenzen an Jugend und frühes Erwachsensein. Das macht einen großen Unterschied, wenn es um den Grad der Kennerschaft geht.

Comics: Jean Pierre Gibrats Metro-Szene "Lamarck-Coulaincourt" wird auf bis zu 35 000 Euro geschätzt.

Jean Pierre Gibrats Metro-Szene "Lamarck-Coulaincourt" wird auf bis zu 35 000 Euro geschätzt.

(Foto: Christie's)

Im Comicland Frankreich ist die Nachfrage natürlich besonders stark. Als Indikatoren dienen hierbei nicht die Werke, die die Rekordpreise bringen, sondern das breite Angebot an Qualität im vier-, fünf- und niedrigen sechsstelligen Bereich. Bei Christie's haben Interessenten am kommenden Samstag eine große Auswahl zwischen Arbeiten von Klassikern aus den Siebzigerjahren, den Innovatoren der Achtziger und Neunziger und der jüngsten Generation mit ganz neuen Werken aus den letzten Jahren.

Die Grenzen zum Film, zur Literatur und zur Malerei verschwimmen

Zu den Klassikern muss man André Franquins Figur des chaotischen Bürogehilfen Gaston zählen. Eine Seite in Tinte auf Papier aus dem Jahr 1974, mit Farbindikatoren am Rand, wird ab 75000 Euro aufgerufen. Deutlich günstiger ist ein schönes Blatt von Jean-Claude Fournier, dem Erfinder von Spirou und Fantasio, das ein Jahr früher entstand und für 2500 bis 3000 Euro im Angebot ist. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass es bei diesen Beträgen nicht bleiben wird.

In einer anderen Preisregion angesiedelt ist ein Werk von Edgar P. Jacobs. Der Belgier, der die Serie "Blake et Mortimer" erfand, zeichnete das Blatt für die Episode "Das Geheimnis der großen Pyramide" im Jahr 1955. Inzwischen beträgt die Schätzung 120 000 bis 140 000 Euro. Auch vom großen Moebius ist in dieser Auktion etwas dabei, eine eindrucksvolle Hommage an das "Ding" der Marvel-Zeichner Jack Kirby und Stan Lee aus den frühen Sechzigern, die 1991 als Vorlage für ein Poster diente und 25 000 bis 30 000 Euro bringen soll.

Eine kleine Auktion in der Auktion haben die Christie's-Experten dem polnischen Zeichner Grzegorz Rosinski gewidmet, der mit seiner Figur Thorgal ein Pionier des Filmischen im Comic war. Auch bei ihm liegen die Preise im soliden fünfstelligen Bereich. Und auch die Grenzen zur bildenden Kunst werden berührt, mit einem Blatt des Schöpfers der düsteren, an die Ästhetik des Art Déco-Künstlers Aubrey Beardsley erinnernden "Valentina" des Italieners Guido Crepax für günstige 6000-8000 Euro. Oder mit dem bezaubernden, wirren Buchstabensalat, den Pierre Duba ("Un homme assi", 8000-10 000 Euro) 2014 anrichtete.

Die junge Generation ist vertreten durch Zeichner wie Mathieu Lauffray, der mit seiner Splitscreen-Technik um 2010 dazu beigetragen hat, das Genre konstant frisch zu halten. Auch hier liegen die Preise im vierstelligen Bereich. Fragt sich, wie lange noch. Der Markt für Comics blüht gerade erst auf.

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