Comic:Zimmer mit Aussicht

Lesezeit: 2 min

Fabien Toulmé: Dich hatte ich mir anders vorgestellt. Aus dem Franz. von Annika Wisniewski. Avant Verlag, Berlin 2015. 250 S., 24,95 Euro. (Foto: verlag)

Doch, der Comic kann das - die Geschichte eines jungen Vaters mit einem behinderten Kind, prägnant und komisch: "Dich hatte ich mir anders vorgestellt" von Fabien Toulme. Und gleich zu Beginn landet der Vater in der Trisomie-21-Hölle.

Von Martina Knoben

Willkommen im Handicapland! Nur hereinspaziert, die Damen und die Herren, die jungen Eltern mit ihren besonderen Kindern! "Wir haben für jeden Geschmack das Passende: Kardiologen, Psychologen und Physiotherapeuten . . ." Hereinspaziert: "Heute Gratisfahrt auf der Achterbahn der Gefühle!"

So etwas kann nur der Comic - einen schlechten Witz des Schicksals eins zu eins aufs Papier bringen. Der französische Comic-Künstler Fabien Toulmé hat sich selbst am Eingang dieses zweifelhaften Vergnügungsparks gezeichnet. Er steht am Rand eines Panels, dessen tristbraune Farbgebung so gar nicht zur schrillen Lustigkeit passt, die hier zur Schau gestellt wird. Gebogen wie ein Fragezeichen steht die bebrillte, bärtige Figur da und nähert sich zögernd, ängstlich und unsicher einer Welt, in der es drunter und drüber geht, wo es keine gerade Linien gibt und die ganz und gar künstlich anmutet. Ein weißer Zaun umgibt das Gelände: Willkommen im Club!

Wie geht man damit um, dass das eigene Kind behindert ist? Kann man es lieben? Glücklich mit ihm sein? "Dich hatte ich mir anders vorgestellt" hat Toulmé seine Graphic Novel genannt, in der er von sich und seiner Familie erzählt. Seine Tochter Julia hat einen Gendefekt, Trisomie 21, das Down Syndrom, und damit einhergehend einen Herzfehler.

Als er von einer Ärztin die Diagnose erfährt, lässt der Zeichner ein Damoklesschwert auf seine Ich-Figur niedersausen; bannt sie in ein Zimmer ohne Aussicht, dessen Wände mit dem Blabla der Ärztin und dem Wort Trisomie tapeziert sind; schleudert sie in einen Sturzbach der Gefühle, der rotgetönt direkt in die Hölle zu führen scheint - um das Gefühlschaos schließlich in einem Witz zu kanalisieren.

Ja, dieses Buch hat Witz - einen lakonischen, bitteren, erfrischenden Witz, der es erleichtert, über manche Dinge zu reden. So umflattert einmal ein kleines Cartoon-Teufelchen mit Dreizack den jungen Vater und flüstert ihm ein: "Ohne sie hätten wir unsere Ruhe . . . mit ein bisschen Glück geht sie drauf. Falls nicht, jagst Du sie zum Teufel. He He!" Toulmés Wechselbad der Gefühle findet sich auch in den Farben: Klinischblau sind die Szenen im Krankenhaus, beigebraun ist das Handicapland, Rot markiert Fabiens Sturz in die Trisomie-Hölle, aber auch den Moment, als er seine Tochter nach Monaten zum ersten Mal lieb haben kann. Da ist aus dem Rot ein zartes Rosa geworden, und der Comic wird fast ein wenig kitschig und sentimental. Das darf man dem glücklichen Vater aber nicht übel nehmen. Zum Leben mit einem behinderten Kind gehört eben nicht nur der manchmal mühsame Alltag. Es gehört auch die Freude dazu und die Erleichterung darüber, sein Kind trotz und mit seiner Behinderung lieben zu können.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: