Comic:Einsamer Erotomane

Comic: Erich Mühsam im Jahr 1910: Bei einem Kuraufenthalt in der Schweiz sinniert er über Politik und Gesellschaft - und über die anwesenden Frauen. Er findet sie "teils langweilig, teils mordshässlich".

Erich Mühsam im Jahr 1910: Bei einem Kuraufenthalt in der Schweiz sinniert er über Politik und Gesellschaft - und über die anwesenden Frauen. Er findet sie "teils langweilig, teils mordshässlich".

(Foto: Jan Bachmann/Edition Moderne)

Der junge Erich Mühsam im Comic

Von Antje Weber

Falls es noch nicht jeder weiß, den es interessieren könnte: Erich Mühsam war nicht nur ein berühmter Anarchist. Er war auch ein großer Erotomane. Als die junge Münchner Autorin Jovana Reisinger beim vergangenen Literaturfest aus Mühsams Tagebüchern las, ging es gefühlt in jedem zweiten Satz um die Geschlechtskrankheit Tripper. Ob die Erinnerung da nicht doch ein bisschen trügt, kann jeder selbst überprüfen, denn die Tagebücher sind unter www.muehsam-tagebuch.de im Netz frei verfügbar, dem Verbrecher Verlag sei Dank. Doch da wir gerade bei Verfügbarkeit sind: Die Verfügbarkeit von Sex, ob mit Frauen oder Männern, war für Erich Mühsam schon ein wichtiges Thema.

Das wird auch in einem Comic deutlich, den der junge Schweizer Jan Bachmann an diesem Mittwoch beim Frühlings-Mix im Literaturhaus vorstellt; neben ihm sind die Autorinnen Mareike Fallwickl und Lucy Fricke zu Gast. Bachmann greift für seinen Band "Mühsam. Anarchist in Anführungszeichen" (Edition Moderne) auf Tagebucheinträge aus dem Jahr 1910 zurück und ergänzt die Originalsätze durch erfundene Szenen und Dialoge - was eine in Text wie Bild sehr witzig pointierte Mischung ergibt. Der 32-jährige Dichter, Revoluzzer und Bohemien Mühsam ist zu diesem Zeitpunkt von seinen Brüdern zu einer Kur in der Schweiz genötigt worden. Er fühlt sich einsam, vermisst seinen Freund und Lebenspartner Johannes Nohl, verguckt sich im Sanatorium in eine elegante Frau, die ein "hübsches, geiles Lachen" hat; die übrigen Frauen findet er "teils langweilig, teils mordshässlich". Er schreibt einen langen Liebesbrief an eine gewisse Frieda. "Und ich habe sie zugleich darum gebeten, sie solle Lilly meiner Liebe versichern", notiert er. "Die Frauen, die ich liebe, sollen es zumindest wissen. Das ist dann so eine Art Ersatz für Gegenliebe."

Es geht in diesem Comic, der mit viel Sympathie einen Mann mit einer langen Nase in seinem Widerspruch zeigt, aber auch noch um andere prekäre Gefühlslagen. Zum Beispiel hofft Mühsam innig, dass sein Vater bald stirbt, wegen des zu erwartenden Erbes. Er hofft, dass er bis dahin ein paar Zeilen verkauft, denn "mein Barbestand ist so zusammengeschmolzen, dass ich mit erheblichen Schulden werde abreisen müssen". Und ja, politisch äußert er sich in den ausgewählten Tagebuchtexten natürlich auch. Er beklagt den "gleichgültigsten Stumpfsinn in allen Schichten" und urteilt über die Deutschen: "Ein sonderbares Volk, das sich immer an der verkehrten Stelle begeistert." Das ist, bedenkt man den weiteren Fortgang der deutschen wie seiner eigenen Geschichte, ein prophetischer Satz. Traurig genug: Denn Mühsam verbrachte nach der gescheiterten Münchner Räterepublik, an deren kurzem Aufblühen 1918/19 er beteiligt war, fünf Jahre in Festungshaft; 1934 wurde er von den Nationalsozialisten im KZ Oranienburg ermordet.

All das ist im Jahr 1910 noch weit weg. Den "unsicheren Poeten der Vorkriegszeit", so Bachmann im Nachwort, lassen spätere Aufzeichnungen kaum noch ahnen. Umso interessanter ist es, dass diese Graphic Novel sich dem frühen Mühsam nähert; einem jungen Dichter, der mit seinem Misserfolg hadert. Dabei, so schreibt er, "habe ich doch alles; Talent, Fleiss, Intelligenz und bin ein leidlich netter Mensch". Kann sein, dass Frieda und Lilly das anders sahen.

Frühlings-Mix mit Jan Bachmann u.a., Mittwoch, 9. Mai, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz

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