Comic-Biographien:"Meine Sicht ist nicht unkritisch"

Bürgerrechtler, Entfesselungskünstler, Revolutionär: Martin Luther King, Houdini und Che Guevara im Comic.

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Tuschebilder, die im Leser so herb nachhallen wie der Klang einer perkussiv gespielten akustischen Gitarre: Für "I see a darkness", seine Schilderung des bewegten Lebens von Johnny Cash, hat Reinhard Kleist vor einigen Wochen beim Comic-Salon in Erlangen den Preis für das beste deutschsprachige Album erhalten. Das war fast eine Premiere. Gerade ein Mal hat die Jury in früheren Jahren ein vergleichbares Werk gewürdigt: Hugo Pratts "Saint-Exupéry - Sein letzter Flug." Anders als autobiographische Comics, die mit einem beträchtlichen Hipness-Faktor wuchern können, haben Comic-Biographien aus zwei sehr unterschiedlichen Gründen keinen allzu guten Ruf. Einerseits kann ihnen etwas Unseriöses, leicht Schmuddeliges zu eigen sein; in den USA locken Star-Porträts in Heftchenform gerne mit Schlüssellochreizen. Andererseits gelten Comic-Biographien, weil sie zum weiten Feld der Sachcomics gehören, vielen als dröge und belehrend; ästhetisch Aufregendes erwartet man von ihnen nur bedingt. Die dickleibige Graphic Novel, die Ho Che Anderson, der wichtigste afroamerikanische Comic-Zeichner, Martin Luther King gewidmet hat, scheint solche Vorbehalte auf den ersten Blick zu bestätigen.

Text: Christoph Haas/SZ vom 8.7.2008/mst/rus

Die Fotos stammen aus den besprochenen Bildbänden, s.u.

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Das Cover-Bild weckt Erinnerungen an den Sozialistischen Realismus; die zahlreichen, mit Text vollgestopften Sprechblasen sind nicht immer glücklich in den Panels plaziert; das Maschinenlettering ist von ausgesuchter Hässlichkeit. Überwindet man diese Hemmschwellen, eröffnet sich allerdings eine faszinierende Lektüre. "Meine Sicht ist nicht unkritisch", erklärt Anderson im Vorwort, "und dies ist keine Sammlung von Martin Luther Kings größten Hits." Vom Antritt der Pfarrstelle in Alabama über den Busboykott und die weiteren Aktionen der Bürgerrechtsbewegung bis zu seiner Ermordung 1968 in Memphis: King erscheint als begnadeter Charismatiker, fest verwurzelt im Glauben an Gott und dem American Dream. Deutlich wird aber auch, dass er ein gewaltiges Ego besaß und es mit der ehelichen Treue angesichts vieler Verehrerinnen wohl nicht immer ganz genau nahm.

Dass der Prediger ein Mensch mit vielen Gesichtern war, zeigt Anderson in einem sehr wörtlichen Sinne. Wenn King stolz seine Ansichten vertritt, gleicht er einer Statue aus Ebenholz; vor einem gewalttätigen weißen Mob verzerrt sich sein Gesicht zu einer angstvollen Grimasse; im Streit mit seiner Frau Coretta wird er zum wütenden Kleinbürger. Ungewöhnlich ist auch der Einsatz der Farbe. Zunächst ist der Comic fast ausschließlich in Schwarzweiß gehalten; einzelne Farbtupfer setzen dramaturgische Akzente. Ab der "I have a dream"-Rede kehrt sich dieses Verhältnis um. Ergreifend sind die allerletzten, wieder ganz schwarzweißen Panels: durch den Kopf des Sterbenden fluten Bilder seiner Jugend und "Sweet Lorraine", ein Song von Nat King Cole, den er zeitlebens liebte.

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Mit einer legendären Figur des Showbusiness beschäftigt sich die Comic-Biographie, die Nick Bertozzi nach einem Szenario von Jason Lutes gezeichnet hat. Als Sohn eines Rabbis 1874 in Ungarn geboren, gelangte Ehrich Weiss schon in seinen ersten Lebensmonaten in die USA. Aus Verehrung für den französischen Bühnenzauberer Robert-Houdin, dessen Kunststücke er genau studierte, gab er sich später den Künstlernamen Harry Houdini. Er wurde ein weltbekannter Escape Artist. Nichts konnte ihn aufhalten: weder eiserne Ketten und Zwangsjacken noch fest verschlossene Behältnisse. Lutes und Bertozzi verzichten in ihrer Darstellung auf epische Breite und konzentrieren sich statt dessen auf einen Tag, der Houdini auf dem Höhepunkt seines Ruhmes zeigt: An Händen und Füßen gefesselt, stürzt er sich am 1. Mai 1908 in Cambridge von einer Brücke in den eiskalten Charles River.

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Mit einer gewissen Koketterie wies Houdini gerne darauf hin, dass seine Kunststücke mit Magie, mit Übernatürlichem nichts zu tun hätten. "Jeder könnte tun, was ich getan habe", sagt er im Comic den Reportern, die ihn umringen. "Es ist lediglich eine Frage des Willens." Die ersten Seiten, die ihn beim frühmorgendlichen Üben zeigen, illustrieren dieses Motto. Zauberei wird hier als Handwerk vorgeführt: als eine Sache beweglicher Hände, als etwas, das Geduld und Neugier erfordert. Der Höhepunkt des Albums führt die Anwendung des Tricks vor. Auf einer Strecke von zwölf symmetrisch komponierten Seiten, die fast ohne Worte auskommen, stellt Bertozzi Bilder der sensationslüsternen, an Land fiebernden Menge und des unter Wasser mit seinen Ketten kämpfenden Houdini gegenüber. Befreien kann er sich mit Hilfe des Dietrichs, den seine Frau ihm beim Abschiedskuss in den Mund geschoben hat.

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Schon vor 30 Jahren ist Alberto Breccias Biographie von Ernesto Guevara erschienen. Der geniale argentinische Comic-Künstler hat sie gemeinsam mit seinem Sohn Enrique geschaffen. Das Szenario stammt von Héctor Oesterheld, der 1977 im Auftrag der Militärjunta verschleppt und ermordet wurde. In die Stationen von Guevaras Lebensweg bis zum Sieg Castros sind immer wieder Szenen aus den letzten Monaten des Revolutionärs im bolivianischen Dschungel eingeblendet. So ergibt sich ein scharfer Kontrast: Der eine Handlungsstrang, gezeichnet von Breccia Senior, erzählt von der Veränderbarkeit der Welt, von belohnter Mühe; der andere, gezeichnet von Breccia Junior, erzählt von der Hartnäckigkeit des Gegebenen, vom qualvollen Scheitern. Auf der letzten Seite, unter dem Bild des Toten, gibt's allerdings lupenreinen Propagandakitsch: "Schon ist das Blut von Che ein Tropfen in dem Strom von so viel Blut, vergossen gegen den Hunger und die Ketten. In seinem Namen einen sich Liebe und Aktion. In seinem Namen erhebt sich die Jugend dieser Welt, er setzt sie in Bewegung."

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