Comic:Ahabs Augen

Schwarze Antwort auf den weißen Wal: Herman Melvilles Klassiker "Moby Dick" als kongenial schroffe Graphic Novel von Chabouté.

Von Gottfried Knapp

Nie ist in einem Roman ein Handwerk leidenschaftlicher, detailversessener und zugleich fantastischer beschrieben worden als die Rituale des Walfangs in Herman Melvilles 1851 veröffentlichtem Buch "Moby Dick". Wer diese fast 1 000 Seiten starke Enzyklopädie des Jagens auf See, des Aufspürens und Abschlachtens von Walen, des Ausweidens der Kadaver und des Tran-Siedens nicht in Worten, sondern in Bildern nacherzählen will, tut gut daran, sich auf die im Buch zwischen den vielen abschweifenden Exkursen verteilten Handlungsfragmente zu beschränken.

John Huston hat es in seiner Verfilmung des Romans im Jahr 1956 so getan. Und auch der französische Zeichner Christophe Chabouté konzentriert sich in seiner 2015 erschienenen Graphic Novel "Moby Dick" ganz auf die szenischen Brocken und die dramatischen Konflikte, die in diesem Monumentalwerk über den Walfang verteilt sind. Doch gerade der Vergleich mit dem Hollywood-Film macht deutlich, wie viel direkter ein Zeichner, der nur mit harten Schwarz-Weiß-Kontrasten arbeitet und nicht auf die Gesichter bekannter Darsteller Rücksicht nehmen muss, den infernalischen Unterton der Erzählung trifft.

Die Senkrechte reißt den Wal - und den Leser - in die Tiefe hinab

Schon die erste Begegnung mit dem von Chabouté gezeichneten Kapitän Ahab macht klar, dass der von Gregory Peck gespielte Ahab im Film, trotz Vollbart und grimmiger Miene, viel zu schön und zu gesittet ist, um den von Hass und Fanatismus zerfressenen Rächer zu verkörpern. Chabouté findet für jede Figur ein charakteristisches Aussehen, das sich in den wilden Strudeln der Handlung nicht abnützt. Ahab ist bei ihm ein von Narben gezeichneter Greis, dessen aufgerissene Augen in der Mannschaft Grauen verbreiten.

Und der vom Scheitel bis zur Sohle tätowierte Südseeinsulaner Queequeg jagt bei seinem ersten nächtlichem Auftauchen im Bett des Ich-Erzählers nicht nur dem Betroffenen, sondern auch dem Betrachter des Comics gehörigen Schrecken ein. Zu bewundern ist auch, wie Chabouté die ständig sich wiederholenden Geschehnisse an Bord des Schiffs und beim Harpunieren der Wale durch schroffe Wechsel zwischen Nah-, Fern-, Unter- und Aufsicht dramatisiert und versinnlicht. Nie hat man als Comic-Leser Gischt und Regen so nass auf der eigenen Haut verspürt wie hier.

Aber auch über die Geschichte hinaus vermag uns die Bilderfolge zeichnerisch zu faszinieren. Auf den ersten drei Seiten etwa dominiert die Horizontale: Zwölf flache Bildstreifen, die kurz einen auftauchenden und wieder verschwindenden Mann, ansonsten aber nur Grasbüschel und ein paar Möwen zeigen, suggerieren intensiv den einleitenden langen Marsch des Ich-Erzählers ans Meer.

Am Ende das Gegenteil, die schroffe Senkrechte: Neun von oben bis unten über die ganzen Seiten sich erstreckende schwarze Bildstreifen reißen den weißen Wal und seinen am Seil hängenden Peiniger, aber auch den Betrachter in schier endlose Tiefen hinab.

Chabouté: Moby Dick. Graphic Novel. Egmont Verlagsgesellschaft Köln 2015. 252 Seiten. 29,99 Euro.

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