Coldplay auf Tournee:Mehr Bombast, wenig Überraschung

Das Kantinenschnitzel der Musikwelt ist wieder unterwegs: Coldplay wollen mit neuer Platte im Gepäck die Massen erobern. Sie sind die Stadionband schlechthin, doch in Köln starteten sie live erst mal in einem kleineren Club. Die Erkenntnis vom Großen im Kleinen: Nicht einmal "Coldplay" können "Coldplay" verderben.

Martin Wittmann

Man hat ja fast ein schlechtes Gewissen, wenn man auf Clubkonzerte von Stadionbands geht, weil man denkt, jetzt müssen die den ganzen Bohei für ein paar Hanseln machen, der doch bei gleichem Aufwand ganze Public Viewing-Massen enthusiasmieren könnte. Sozial ist das jedenfalls nicht, wenn ein Club seinem Namen alle Ehre macht.

Radiokonzert von Coldplay

Coldplay am Mittwoch im Kölner E-Werk.

(Foto: dpa)

Zum Glück wird das Coldplay-Konzert vom Mittwoch im relativ kleinen Kölner E-Werk von 28 Rundfunksendern aufgezeichnet und teilweise live in 17 Länder übertragen, was zweierlei bedeutet: zum einen ist die Anstrengung der Musiker durch die vielen radiohörenden und fernsehenden Fans legitimiert. Zum anderen bekommen die 1500 Menschen am Ort eine Aufgabe: sie dienen als Kulisse des Drehs. Zur Belohnung dürfen sie im Kleinen erleben, was eigentlich für das Große bestimmt ist: eine Show. Plus Musik.

Warum so bissig? Weil diese Band besseres verdient hat als das, was man ihr zu Beginn ihrer Karriere noch so gewünscht hatte: Größe. Denn Coldplay, heute eine der populärsten Gruppen überhaupt und tatsächlich überhaupt nicht schlecht, waren früher nicht nur kleiner, sondern besser. Auch, weil sie kleiner waren.

Von vorne: Zur Filmmusik von "Zurück in die Zukunft" betritt die Band die Bühne und stellt sich vor einem hippiesken Vorhang auf, der mit neonfarbenen Kritzeleien und Wortfetzen bemalt ist. Kopf der ehemaligen Studentenband ist freilich Sänger und Pianist Chris Martin. Neben ihm stehen Jonny Buckland an der Gitarre und Guy Berryman am Bass, seit 15 Jahren ist das so. Fünf Alben haben sie zusammen eingespielt , und mit jedem wurden sie erfolgreicher und lauter.

An ihrem vielgelobten Debüt "Parachutes" etwa klebte noch der Schmalzvorwurf wie, nun ja, Schmalz, was die Briten dazu anspornte, ihr zweites Werk "A Rush of Blood to the Head" hier eine Spur sperriger und dort etwas atmosphärischer zu gestalten. Die fünf Lieder, die aus diesen beiden Alben auf der Setlist stehen, gehören sicher zu den musikalischen Höhepunkten dieses Konzerts, das als Appetizer für die kommenden Deutschlandauftritte dienen soll.

Albtraum eines jeden Puristen

Höhepunkt der Show freilich ist "Viva la vida". Das Lied vereinigt die partizipiernden Elemente moderner Zuschauerkultur - chorales Mitsingen, heftiges Mitklatschen - so perfide, dass allein die Ermunterung durch die Band, die Mitmach-Chose das ganze Lied über durchzuhalten, an Körperverletzung grenzt. Die Musiker feiern sich während des Liedes als Vorsänger und Vortänzer, vor allem Schlagzeuger Will Champion schlägt um sich wie ein Narr (praktischerweise stehen diverse Klangkörper in unmittelbarer Nähe). Kurz: die Vorstellung ist der Albtraum eines jeden Puristen. Der Minimalismus der paar gelben Scheinwerfer, die einem Lied wie "Yellow" als Dekoration völlig reichen, und die Intimität, die ein halbes akustisches "Speed of Sound" aus dem dritten Albums "X & Y" erzeugt, bleiben hingegen Schlaglichter.

Der physische Auftritt der Band ist weitaus energischer als bei früheren Tourneen. Martin, der als Weltverbesserer und Ehemann von Hollywood-Star Gwyneth Paltrow auch klavierfernem Publikum bekannt ist, fegt wie ein Derwisch über die Bühne, und schafft es, seine Jacke an diesem Abend unter dem Jubel der hauptsächlich weiblichen Gäste (die Tickets konnten bei Radiostationen gewonnen werden) erst aus-, dann an- und wieder auszuziehen.

Buckland schüttelt sich an seiner Gitarre und Berryman nickt im Takt wie ein Wackedackel. Sicher hat ein Choreograph den Musikern vor der kürzlich in Madrid gestarteten Europatour beschieden, ihre Exaltierheit so zu steigern, bis auch auf dem hintersten Platz eines Stadions eine menschliche Bewegung auf der Bühne zu erkennen ist. Im E-Werk hingegen wirkt es etwas bemüht.

Bleiben die allseits bekannten neuen Lieder "Paradise" und "Every teardrop is a waterfall". Zwei Nummern, für die große Bühne geschrieben. Zwei Refrains, für tausend Kehlen komponiert. Zwei Hits, die mehr Bombast als Britpop transportieren.

Überraschungen? Fehlanzeige, außer einer natürlich: die Einsicht, dass das alles trotz der olympiastadiondachgroßen Angriffsfläche, die der Volkssport bietet, trotz der Kränkung des Fans der ersten Stunde, der das Flüggewerden einer Jugendliebe nicht akzeptieren will, und trotz des miesen Sounds des E-Werks dann doch irgendwie funktioniert. Denn zwischen den Ablenkungsmanövern versteckt sich, hymnisch bis tragisch, immer noch feinstes Pop-Songwriting. Eine so talentierte Band wie Coldplay kann selbst Coldplay nicht verderben. Stadionrock mag vielleicht das Kantinenschnitzel der Musikwelt sein. Aber Schmackhaftes mundet selbst in der Massenproduktion.

Coldplay spielen am 15.12. in Köln, am 20.12. in Frankfurt, am 21.12. in Berlin

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: