Clint Eastwood im Gespräch:"Ich bin der Häuptling"

"Alter, verbissener Sack": Clint Eastwood spricht über seine neue Rolle im Film "Gran Torino", Mitarbeiterführung in Hollywood und die republikanische Partei.

Alexander Gorkow

Ein Foyer in den Warner Studios. Draußen brennt orangefarben kalifornisches Licht. Es ist warm. Langsame, weit ausholende Schritte - so durchmisst Clint Eastwood eine Gruppe von Komparsen: Clint! Clint! Stets, auch während des Interviews, das zugleich spöttische wie warme wie wohl ewiggültige Lächeln, welches diese Formel verrät: Höchste Konzentration plus höchste Lässigkeit = Jungejunge! Er lehnt sich weit in den Ledersessel zurück, schlägt die langen Beine übereinander, wippt mit dem rechten Schuh, spricht leise und knapp, gerne sagt er neben seinen One-Linern auch mal nichts und lächelt nur. Als das Band aus ist, will er weiter über Autos und München reden. Zum Abschied verpasst er einem einen hammerharten Händedruck sowie ein Augenzwinkern: "Take care!"

Clint Eastwood im Gespräch: "Es zahlt sich nicht aus, während der Arbeit mit seinen Gefühlen hausieren zu gehen": Clint Eastwood.

"Es zahlt sich nicht aus, während der Arbeit mit seinen Gefühlen hausieren zu gehen": Clint Eastwood.

(Foto: Foto: ap)

SZ: Mr.Eastwood, stimmt es, dass Sie diesmal bewusst auf einen weiteren Oscar gepfiffen haben?

Clint Eastwood: Wo haben Sie das her?

SZ: Stand heute morgen in der L.A.Times.

Eastwood: Das ist ganz amüsant.

SZ: Finden Sie?

Eastwood: Woher glauben die zu wissen, dass ich keinen Oscar mehr will?

SZ: Walt Kowalski, der Held Ihres neuen Films "Gran Torino", ist ein Rassist.

Eastwood: Und dabei nicht unsympathisch.

SZ: Eben. Spielt man sich als sympathischer Rassist in die Herzen der Oscar-Jury?

Eastwood: Gut. Ich wusste natürlich, dass einer wie Walt in so einer Jury nicht mehrheitsfähig sein würde. Vergessen Sie nicht: Ich habe schon vor 20 Jahren meinen ersten Preis fürs Lebenswerk bekommen!

SZ: Da waren Sie nicht einmal 60.

Eastwood: Die Brüder von der Jury damals, sie werden sich fragen, wann der alte Esel endlich in die Kiste fällt!

SZ: Noch mal zu Walt Kowalski: Es gibt in "Gran Torino" diesen Letterman-Effekt, man lacht, weil er die Sau 'rauslässt.

Eastwood: Er ist ein aufsässiger alter Mann, der nicht versteht, dass in seiner Nachbarschaft nur noch Gangs wohnen. Deswegen lässt er die Sau 'raus. Schauen Sie, der Film hat großen Erfolg hier in Amerika. Er berührt die Menschen. Und wieso? Weil es Millionen Walts gibt.

SZ:Steckt in jedem von uns ein Rassist?

Eastwood: In jedem von uns steckt ein Walt.

SZ:Heißt?

Eastwood: In jedem von uns steckt die Möglichkeit zum Rassismus. Der Punkt ist doch: Walt lernt etwas im Laufe des Films. Rassismus ist nicht angeboren. Er wird einem antrainiert. Walt war im Koreakrieg. Da wurde die Lunte gelegt, die jetzt - wo er ein alter, verbitterter Sack ist - glüht. Aber: Er lernt dann noch etwas dazu.

SZ:. . . er sieht, dass nicht die Asiaten schuld sind an seinem Leben. Sondern er selbst.

Eastwood: (Schweigen)

SZ: Oder?

Eastwood: Schuld ist ein großes Wort. Sagen wir: Er ist verantwortlich. Klar ist, seine Kinder behandeln ihn mies, seine Frau ist tot. Und er fragt sich, warum nicht mehr so schöne Autos gebaut werden wie der Gran Torino von 1972. Das frage ich mich übrigens auch. Also: Der Wagen steht in seiner Garage wie auch in seinem Unterbewusstsein. Er hat ihn selber, vor 30 Jahren, bei Ford zusammengeschweißt.

SZ: Ist Schuld ein zu großes Wort?

Eastwood: Schuld ist ein zu großes Wort für ein Interview, Sir! Da müssen Sie noch mal herkommen.

SZ: Noch mal zum Anfang: Ist Ihnen Ihr eigener Ruhm unheimlich? Sie werden nicht verehrt, sondern vergöttert.

Eastwood: Ich denke darüber nicht nach. Das sind keine Kriterien. Ich denke eh' nicht in Kategorien. Ich denke in Einheiten.

SZ: In welchen Einheiten?

Eastwood: In Arbeitseinheiten. Wie behandle ich ein Drehbuch? Wann setzen wir das um? Mit wem? Was kostet mich das? Wird der Stoff die Leute berühren? Soll ich alter Sack selbst mitspielen oder nicht?

SZ: Das klingt nüchtern.

Eastwood: Das ist nüchtern. Stellen Sie sich vor, neulich fragte mich wer, ob ich noch mal Harry Callahan geben will . . .

SZ: . . . aus "Dirty Harry" . . .

Eastwood: . . . seit Sly (Stallone, die Red.) noch mal als Rocky 'rausging, sind die Studios ganz geil drauf, die Alten noch mal für eine Runde 'rauszuschicken. Die kriegen einen wässrigen Blick, wenn ich hier übers Studiogelände gehe. Ich bin 78.

Lesen auf der nächsten Seite, warum Clint Eastwood sein Leben nicht analysiert.

"Ich bin der Häuptling"

SZ: Aber Sie wirken nicht so. Sie wirken eher jungenhaft, nicht wie ein alter Mann.

Eastwood: Danke. Machen Sie sich keine Umstände. Was erfordern solch irre Anfragen? Nüchternheit. Es ist mir egal, was die Leute von mir denken. Mir ist aber nicht egal, was ich selbst von mir denke. Und ich müsste mich im Spiegel ansehen nach einem Drehtag, an dem ich als Harry Callahan im Rollator durch Los Angeles getapert bin und "Make my day!" genuschelt habe. Nein, nein . . .

SZ: . . . hm . . .

Eastwood: . . . es sind viele talentierte Leute in dieser Stadt daran zugrunde gegangen, dass sie keinen kühlen Kopf bewahrten, als sie von den Schwätzern hier Komplimente bekommen haben. Hollywood hat die größte Dichte an Schwätzern überhaupt. Weltweit! Verstehen Sie? Mit Demut ist man da gut gewappnet. Vor allem auch mit Demut vor sich selbst.

SZ: Es wird demnach keine weitere Folge von "Dirty Harry" geben.

Eastwood: Ich bin weder pleite noch lebensmüde.

SZ: Es ist naiv, aber man erwartet von einem Regisseur, der so bewegende Filme wie "Million Dollar Baby" oder "Gran Torino" dreht, eine gewisse emotionale . . .

Eastwood: . . . es zahlt sich nicht aus, während der Arbeit mit seinen Gefühlen hausieren zu gehen. Sie stecken in der Geschichte und im Drehbuch. Ich brauche ein ruhiges und konzentriert arbeitendes Team, um diese Geschichte umzusetzen. Ich brauche den richtigen Rhythmus, verstehen Sie?

SZ: Alles eine Frage des Rhythmus?

Eastwood: Rhythmus, ja, das können Sie vom Jazz lernen. (Pause). Verantwortung. (Pause). Demut schadet auch nicht. Ich hab' Demut meinem Team gegenüber. Verunsicherte Leute killen jedes Projekt. An einem Film hängen viele Leute, Familien, Häuser, die sie abbezahlen müssen. Also liefert man besser gute Arbeit ab. Dazu gehört, dass der Häuptling seinen Indianern vermittelt, dass sie gute Indianer sind. Und ich bin der Häuptling.

SZ: Da sind wir bei der Verantwortung.

Eastwood: Exakt. Ich bin aber übrigens eh absolut nicht der Typ, der sein Leben analysiert.

SZ: Aber Sie sind doch Schauspieler!

Eastwood: Kein typischer. Ich fühle mich auch nicht in Rollen rein und so was. Ich spiele die Leute, die da im Drehbuch stehen, und so ist es gut.

SZ: Lägen Sie nun aber mal auf der Couch, was käme dabei 'raus?

Eastwood: Sagte ich nicht gerade, dass ich es nicht tue? Doch, oder?

SZ: Aber da Sie nun selbst lächeln müssen, so erlauben Sie sich mal den Spaß!

Eastwood: Aufgewachsen in der großen Depression in den Dreißigern. Einige Frauen haben Glück gebracht, andere weißgott nicht. Einige gute Filme, einige andere Filme, an die sich zum Glück keiner mehr erinnert. Wenn Sie mir Psychotropfen geben und ich zu plaudern anfange, was meinen Sie, was dann los ist. No way, Sir.

SZ: Schade.

Eastwood: Ich hab' immer nur nach vorne geschaut. Wenn man eine Entscheidung getroffen hat, muss man sie durchziehen. Wenn ich mich für einen Film entscheide, muss ich den durchziehen. Wenn ich in der Mitte der Dreharbeiten anfange, mich am Kinn zu kratzen, weil ein paar Probleme auftauchen, stürze ich viele Leute ins Elend. Das geht also nicht.

SZ: Wann entscheiden Sie sich für und nicht gegen ein Filmprojekt?

Eastwood: Früher habe ich mitunter dies und das gedreht, als Schauspieler. Sagen wir: Der nicht sehr orginelle Grund war . . .

SZ: Geld.

Eastwood: Natürlich. Aber in meinen eigenen Filmen, als Regisseur, kann ich seit "Sadistico - Play Misty for Me", und das war ja schon hmmm . . .

SZ: 1971.

Eastwood: Wirklich? Da war ich also gerade mal Anfang 40. Und für solche Filme kann ich sagen: Das Drehbuch, die Geschichte, sie muss das Herz berühren. Klingt banal, aber so ist es. Wenn die Filme ihr Geld einspielen, feine Sache. Aber eigentlich ist es wie mit der Frau fürs Leben: Es muss wooom machen. In der ersten Sekunde. Die Seele muss schwingen.

SZ: Haha, und wenn es wooom macht und man sich aber sehr täuscht?

Eastwood: Was ist die Alternative? Ich kann nicht immer nur vorhersehen, wieso etwas nicht funktioniert. Das ist bullshit. Ich habe die Rechnungen für meine Entscheidungen immer brav bezahlt. Teils zahle ich sie leider heute noch!

SZ: Sie sprachen von Demut. Wie steht es um Ihre Demut vor Gott?

Eastwood: Hm . . .

SZ: Ich frage, weil Sie sowohl in "Million Dollar Baby" wie in "Gran Torino" die Vertreter der Kirche karikieren, oder?

Eastwood: In beiden Filmen sind diese Vertreter keine wirkliche Hilfe, Sie haben recht.

SZ: Stattdessen entscheiden die von Ihnen gespielten Figuren selbst über Leben und Tod. Ein Rest aus Dirty-Harry-Zeiten?

Eastwood: Nein, denn ich schieße niemanden mehr über den Haufen. Aber ich glaube, dass nicht irgendein Gott für unser Leben verantwortlich ist, sondern dass wir selbst das sind. Teils müssen wir es auch ertragen, das Leben, die Krankheiten, die Sachen, die unseren Kindern zustoßen, all das. Es bleibt uns nichts übrig. Ich habe Demut sicher nicht vor dem einen großen Gott, erst recht nicht will ich etwas mit der Kirche zu tun haben. Aber ich habe Demut vor der Schönheit, auch davor, dass wir Menschen die Fähigkeit besitzen, diese Schönheit zu erkennen. Wieso rührt es mich zu Tränen, wenn ich Charlie Parker höre? Wieso, wenn ich in den Rocky Mountains stehe? Von München aus sehen Sie die Alpen, oder?

SZ: Absolut!

Eastwood: Ich erinnere mich kaum, schon mal eine so schöne Verbindung von Bergen, Seen und einer Stadt gesehen zu haben wie in München. Ob das ein Gott gemacht hat? Fragen Sie mal den Papst, der weiß es ja sicher. Es ist mir egal. Deswegen genieße ich diese Schönheit nicht ohne Demut.

SZ: Danke für das München-Kompliment, Sie sind ein großer Schmeichler . . .

Eastwood: . . . nein, ich meine das völlig ernst! Nur entlastet mich diese Demut nicht von meiner Verantwortung für mein Leben. Wir müssen unsere Sachen selber regeln.

SZ: Noch mal: in beiden Filmen entscheiden Sie über den Zeitpunkt des Todes.

Eastwood: Wenn wir die Auffassung vertreten, dass der Tod zum Leben gehört, und ich vertrete sie, so liegt mir viel daran, den Tod mit ebenso großer Verantwortung zu behandeln wie das Leben. Und dies kann nur heißen: Auch hier lege ich, mit aller Demut, die Verantwortung nicht in die Hände eines Gottes, welcher Gestalt er auch immer sei. Sondern ich entscheide. Und das ist keine kalte Abwägung . . .

SZ: . . . das Time Magazine schreibt, Walt Kowalski sei ein "Dirty Harry mit Herz".

Eastwood: Diese Figur hat mit Dirty Harry rein gar nichts mehr zu tun.

SZ: Das Bild Amerikas, das Sie in Ihren jüngsten Filmen zeichnen, ist sehr düster.

Eastwood: Meine Heimat befindet sich keiner guten Lage, wie Sie wissen.

SZ: Sind Sie ein enttäuschter Republikaner?

Eastwood: Ich verbinde mit Politik keine Leidenschaften. Insofern hält sich meine Enttäuschung über die Republikanische Partei deutlich in Grenzen.

SZ: Wenn Sie ihr auch angehören.

Eastwood: Ich werde nicht austreten, nur weil sie gerade nicht cool ist. Ich fühle mich halt nur nicht für ihren Gesamtzustand verantwortlich. Ich bin Anfang der fünfziger Jahre in diese Partei eingetreten, weil ich Eisenhower verehrte, ich bleibe ihr bis heute verbunden, wenn auch stets kritisch. Ike (Eisenhower, die Red.) war ja auch kein lupenreiner Republikaner, wie Sie vielleicht wissen . . .

SZ: . . . er sympathisierte lange ebenso mit den Demokraten, oder? Ein eher überparteilicher Präsident, könnte man sagen.

Eastwood: So ist es. Und er arbeitete schon an der Aufhebung der Rassentrennung, als die Schwarzen noch für 80 Prozent der Weißen hier Menschen zweiter Klasse waren.

SZ: Sie nun waren zum Beispiel stets ein Gegner der US-Invasion im Irak.

Eastwood: Richtig. Ich mochte am republikanischen Gedanken immer diesen Willen zu einem starken, unabhängigen Amerika - mit freien, eigentverantwotlichen Bürgern, die ihre Freiheitsrechte verteidigen, zur Not auch mit der Waffe. Ich verstehe darunter aber nicht, dass wir in Länder einmarschieren und Religionskriege anzetteln. Da sehen Sie, wo die Religionen hinführen mit ihrem Nebel! Ich verstehe auch nicht, dass wir die Geheimdienste so gut bezahlen und dann trotzdem Zigtausende junge Soldaten opfern müssen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was der Republikaner Clint Eastwood über Barack Obama denkt.

"Ich bin der Häuptling"

SZ: Haben Sie sich mal eingemischt? Ihre Stimme hat Gewicht hier in den USA.

Eastwood: Ich habe - wie andere auch, mein demokratischer Kollege Paul Newman zum Beispiel - früh vor einem Flächenbrand gewarnt. Den haben wir nun. Was wir nicht haben: einen Plan, wie wir wieder rauskommen und was wir hinterlassen. Unsere Jungs wollen nach Hause zu ihrer Mum. Stattdessen gibt es jetzt noch andere Probleme, und ihr habt sie auch . . .

SZ: . . . die Finanzkrise.

Eastwood: So ist es. Was heißt also Enttäuschung über die Republikaner? Was interessiert mich die Partei? Das Land ist wichtig.

SZ: Froh über Obama?

Eastwood: Wie gesagt: Ich bin da leidenschaftslos. Er ist sympathisch. Ein junger Kerl.

SZ: Schafft er es?

Eastwood: Wenn er die verdammten Finanzhaie und den Schaden, den sie angerichtet haben, nicht in den Griff kriegt, kann er bald schon wieder abdanken. Ich bin ein Patriot, er scheint ein integerer Kerl zu sein: Also wünsche ich mir, dass er sich durchsetzt. Er macht den Leuten Mut, das ist wichtiger als alles andere.

SZ: Demnach weinen Sie Bush nicht nach.

Eastwood: Sprachen wir über Demut? Diese Administration hat sich aufgeführt wie eine Horde betrunkener Seemänner bei Windstärke zwölf. Ja, meine Trauer über diesen Abschied ist überschaubar.

SZ: Ich denke, Sie hätten eine Chance gegen Obama gehabt!

Eastwood: Wie bitte? Machen Sie Witze?

SZ: So groß war sein Vorsprung nicht. Und Sie sind der Volksheld schlechthin.

Eastwood: Mann, ich bin 78!

SZ: In Deutschland haben wir einen Ex-Kanzler, der ist 90, und die Leute würden ihn sofort wiederwählen. Wir leben nicht mehr wie in den Sechzigern im Zeitalter des Wassermanns, Mr. Eastwood. Sondern im Zeitalter des Methusalems!

Eastwood: Oh, da bin ich aber sehr, sehr froh, das zu hören. Aber nein danke . . . Ich hatte ja mal das Vergnügen mit der Politik.

SZ: Sie waren Bürgermeister Ihres Heimatstädtchens Carmel hier in Kalifornien.

Eastwood: Richtig. In den Achtzigern.

SZ: Und?

Eastwood: Ich brauche das nicht noch mal, nein. Ich bin ein Kontrollfreak. Ich will, dass die Dinge so laufen, wie ich es sage.

SZ: Ein Diktator?

Eastwood: Na, schon demokratisch. Also, man berät ein bisschen, und dann sage ich, wie es zu laufen hat. So sollte es doch sein, oder?

SZ: Sage ich auch immer.

Eastwood: So ist mein Verständnis von Demokratie. So drehe ich auch meine Filme. In Carmel nun kam damals alle paar Tage eine neue Interessengruppe - wie aus einem Hinterhalt: "Sir, wenn das so und so gemacht wird, entstehen denen da drüben Vorteile, uns aber Nachteile, und wir fragen uns, wieso Sie uns derart übel schaden wollen!" Jede dieser Gruppen beschwörte exakt dann eine neue Verhandlung herauf, wenn gerade was entschieden war. Ich wusste nicht mehr, wo ich war!

SZ: Sie waren in der Politik.

Eastwood: Und es ist nichts für mich. Ich bin auch nicht gut darin, immer nett zu sein. I am not good in kissin' ass that much. Müssen Sie schauen, ob Sie das für Ihre Leser ins Deutsche übersetzen wollen . . .

SZ: Doch haben Ihre Filme immer auch den Charakter einer Parabel, sie haben etwas Lehrendes, Moralisches, Politisches.

Eastwood: Alle Dramen und Filme, die eine gute Geschichte erzählen, haben das, oder? Im besten Fall. Denken Sie an Brecht, an Bergman, an Kurosawa, im besten Falle schafften sie etwas Großartiges: sinnvolle Unterhaltung.

SZ: Täuscht mein Eindruck, oder kommen Ihre Helden als analoge Menschen nicht mehr in einer digitalen Welt klar?

Eastwood: Sicher ist Walt Kowalski in "Gran Torino" dafür ein Beispiel, denn er ist ein Mann, der den Boden unter den Füßen verloren hat. Wie ich schon sagte: Die Gegenwart ist eine bittere Symphonie. Zum einen gibt es eine reelle Armut. Zum anderen gab und gibt es in Teilen noch einen relativen Reichtum, der aus Luft besteht, aus geliehenem Geld, aus dem Plastik einer Kreditkarte, aus Arschlöchern, deren Gewissen keinen Cent wert ist . . . Leute wie Walt verstehen diese Welt nicht.

SZ: Haben Sie Erinnerungen an die Armut in Ihrer Kindheit? Obwohl Sie nicht viel über Ihr Leben nachdenken . . .

Eastwood: (Pause) Ich erinnere mich, dass immer wieder Leute bei uns klopften. Wir waren sehr arm. Und die waren noch ärmer. Ich erinnere mich, dass einige immer wieder mal kamen und meinen Vater fragten: "Sir, bei Ihnen im Garten liegt Holz. Würden Sie uns ein Sandwich machen, wenn wir das Holz für Sie schlagen?" So. Und dann sehe ich, wie sie stundenlang in großer Hitze das Holz schlagen, und meine Mum macht denen dann ein Sandwich. Ich denke heute: Du hast als Kind Menschen gesehen, die hatten Hunger - hier in Amerika. Das ist unglaublich.

SZ: Eine andere Armut als heute, oder?

Eastwood: Nun, ich will es nicht verkitschen . . .

SZ: Aber?

Eastwood: Die Sache mit den Sandwichs würde heute nicht mehr laufen.

SZ: Sondern?

Eastwood: Die Leute würden für diese Arbeit heute mehr wollen als ein Sandwich. Und wer lässt heutzutage Unbekannte auf seinem Grundstück Arbeit verrichten? Die Menschen hier rufen heute die Polizei, wenn jemand klingelt, den sie nicht kennen. Wir haben in Amerika in mentaler Hinsicht einen weiten Weg vor uns. Ich denke, dass Obama da an einem richtigen Punkt ansetzt, wenn er den Amerikanern wieder Mut macht, an sich selbst zu glauben. Die Leute sind misstrauisch geworden. Schauen Sie sich Walt Kowalski an!

SZ: Identifizieren Sie sich mit ihm?

Eastwood: Wie Sie wissen, bin ich kein Rassist.

SZ: Er ja am Ende des Films auch nicht.

Eastwood: Ich kann ihn gut leiden, ja. Ich verstehe zum Beispiel auch, wieso er an seinem Ford Gran Torino so hängt.

SZ: Ein schönes Auto.

Eastwood: Dann habe ich jetzt mal eine Frage an Sie. Sie kommen ja aus einem Land der Automobilbauer.

SZ: Okay.

Eastwood: Sie sind ein paar Jahre jünger als ich. Aber der Gran Torino gefällt Ihnen?

SZ: Wunderschönes Auto - aber das war ja auch noch vor der Ölkrise 1973, damals hatte die US-Automobilindustrie offenbar noch ein Selbstbewusstein. Oder?

Eastwood: Meine Frage an Sie ist: Wieso bauen sie heute überall diese scheußlichen Autos? Diese sinnvollen Hybridautos, die jetzt überall angepriesen werden, warum sind sie ohne jeden verdammten Sexappeal?

SZ: Ich würde Ihnen gerne widersprechen.

Eastwood: Diese Autos heute, sie schauen allesamt, als hätten sie in eine Zitrone gebissen! Diese verzweifelten und vulgären Visagen! Diese hochstehenden Ärsche! Was ist los? Nehmen die Designer die falschen Drogen? Will man in so einem Auto mit seinem Mädchen herumfahren?

SZ: Auch beim Anblick eines Autos müsste die Seele schwingen, oder?

Eastwood: So ist es. Wie bei einer schönen Frau.

SZ: Wer will schon eine vulgäre Lady?

Eastwood: Exakt. Wer will eine vulgäre Lady in einem Stretchanzug, wenn er eine schöne Dame in Chanel haben kann?

SZ: Mr. Eastwood, jetzt sind wir durch meine Fragen gehetzt in großer Eile . . .

Eastwood: . . . grüßen Sie mir das wundervolle München und die Seen und die Berge bitte!

SZ: Ein Fazit, im Rückblick auf Ihr Leben!

Eastwood: Ich schaue nicht zurück. Wie gesagt.

SZ: Glück oder Verstand?

Eastwood: Okay, hier: Wissen Sie, wie ich zur Schauspielerei kam? Ich war am L.A.City College, und ein Kumpel von der Drama School kam, und der sagte: "Clint, bei uns kommen auf 30 oder 40 sehr, sehr gut aussehende Mädchen nur fünf Typen."

SZ: Da hieß es schnell schalten.

Eastwood: Ich habe schnell geschaltet.

SZ: Timing.

Eastwood: Man sollte nicht zu spät kommen. Wenn der Zug weg ist und du bist nicht dabei, lachen oben die Geier.

SZ: Also besser zu früh als zu spät.

Eastwood: Zu früh ist auch nicht gut. Wenn du zu lange wartest, brennt dir die Sonne auf den Hut. Dann wirst du blöde.

SZ: Also?

Eastwood: Exakt dann am Bahnhof sein, wenn der Zug einfährt. Das ist die Kunst.

Clint Eastwood ("His Clintessence", Time Magazine), 1930 in San Francisco geboren, wuchs in sehr armen Verhältnissen auf. Seine Karriere umfasst viele legendäre Rollen, zunächst in Sergio Leones Spaghetti-Western wie "Für eine Handvoll Dollar" oder "Zwei glorreiche Halunken", in Gangsterfilmen wie "Dirty Harry", später dann quer durch alle Genres. Seit Anfang der 70er Jahre beweist sich der Jazz-Liebhaber Eastwood auch als großer Regisseur des US-Autorenkinos, der 1993 seinen ersten Oscar für die Regie in dem Spätwestern "Erbarmungslos" erhielt. Oscars und zahllose andere Regie-Preise folgten für Filme wie das Charlie-Parker-Drama "Bird", "Mystic River" oder "Million Dollar Baby". Eastwood hat sieben Kinder aus relativ vielen Beziehungen, unter ihnen den Jazz-Musiker Kyle Eastwood, mit dem er die Musik für seine letzten Filme komponierte. "Gran Torino" bescherte ihm jetzt das beste Einspielergebnis seiner Regiekarriere an einem Startwochenende in den USA - in Deutschland läuft der Film am Donnerstag an. Das Filmmuseum München zeigt seit dieser Woche und bis zum 24.Juni eine der bislang umfassendsten Retrospektiven Eastwoods. Mehr Informationen: www.filmmuseum-muenchen.de

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: