"Cicero"-Affäre:Gefangen im Gerücht

Ausgemustert: Der Journalist Bruno Schirra sieht sich als Opfer der "Cicero-Affäre" im Jahr 2005 und bangt um seine Existenz.

Ulrike Simon

Das Stoffdach des sportlichen Zweisitzers ist am Rand mit Tape geflickt. Es könnte ein Zeichen für Nachlässigkeit sein. Oder dafür, dass es Bruno Schirra finanziell schon besser ging.

"Cicero"-Affäre: Weiß nicht, wie es beruflich weitergehen soll: der Journalist Bruno Schirra.

Weiß nicht, wie es beruflich weitergehen soll: der Journalist Bruno Schirra.

(Foto: Foto: dpa)

Vor beinahe drei Jahren fiel der Name des Journalisten einmal kurz öffentlich auf. Damals, im April 2005, erschien im Magazin Cicero ein Artikel, der für die Potsdamer Staatsanwaltschaft Anlass war, fünf Monate später die Räume der Redaktion sowie die Arbeits- und Wohnräume von Bruno Schirra in Berlin zu durchsuchen und kistenweise Archiv- und Recherchematerial zu beschlagnahmen. Otto Schily, der 2005 noch Bundesinnenminister war, stellte sich der Strafanzeige des BKA nicht in den Weg. Machte er also den Weg frei?

Der Fall erregte Aufsehen: in den Medien, in der Politik und bei den Juristen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2007 war eindeutig: Die Anordnung der Durchsuchung, die Razzia und die Beschlagnahmung waren verfassungswidrig, haben das Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt und hatten einzig das Ziel, ein Leck beim Bundeskriminalamt ausfindig zu machen. Schirras Artikel über den irakischen Terroristen Abu Musab al-Sarkawi beruhte auf einem Bericht des BKA.

Für die Presse war das höchstrichterliche Urteil gut, der Quellen- und Informantenschutz wurden bestätigt. Positiv wirkte sich die Affäre auch für die Monatsschrift Cicero aus, die mittlerweile von Potsdam nach Berlin umgezogen ist. Man redete über Cicero. Michael Ringier, dessen in der Schweiz ansässiger Verlag das Heft "für politische Kultur" herausbringt, sagt rückblickend: "Die Durchsuchung der Redaktion brachte mehr Publizität als eine teure Werbekampagne." Wolfram Weimer, der Chefredakteur, ließ die einen Monat nach der Razzia erschienene Ausgabe vom Oktober 2005 an die Mitarbeiter des BKA verteilen. Bis heute lässt Weimer kaum eine Gelegenheit verstreichen, Cicero als Opfer einer verfassungswidrigen Durchsuchung darzustellen, das das sogenannte "Cicero-Urteil" erstritten habe.

"Meine berufliche Existenz ist zerstört"

Einer sieht sich als Verlierer: Bruno Schirra. Über seinen Anwalt hat er jetzt Klage beim Landgericht Potsdam eingereicht. Schirra fordert eine immaterielle Geldentschädigung von 50.000 Euro sowie 115.796,64 Euro nebst Zinsen für materielle Schäden, die ihm seit der Razzia im September 2005 entstanden.

Die Klage trägt das Aktenzeichen 4O502/08. Schirra sieht sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, da er in direkter Folge des verfassungwidrigen Eingriffs seiner beruflichen Existenz beraubt worden sei. Weil kein Informant mehr mit ihm kooperieren will, kann er über seine Themen - Islamismus, Terrorismus, Geheimdienste, Korruption - nicht mehr veröffentlichen.

In Gummistiefeln stapft Schirra vom Auto zu einem der Bootsstege am Tegeler See in Berlin. Die Fähre hat ihren Betrieb im Winter eingestellt. Besucher muss Schirra abholen. Ohne Boot ist sein Haus auf der Insel Valentinswerder nicht zu erreichen. Hier wohnt er, abgeschieden, mit seiner Frau und zwei Doggen.

Es erschien kein einziger Text mehr

2004 war Schirras Welt noch in Ordnung. Zwar polarisierte der Journalist, nicht alle, die es mit ihm zu tun hatten, schätzten ihn, an mancher Kontroverse in Redaktionen wie der Zeit war er wohl selber schuld. Doch Schirra galt auch als ein beachteter Enthüllungsspezialist - obwohl die eine oder andere Story Argwohn weckte. Doch wer Verdecktes ans Licht bringt, ist ja stets in Gefahr, selbst zur Zielscheibe gemacht zu werden.

Der Ringier-Verlag hatte Schirra als Reporter im Auslandsressort der Schweizer Zeitung Sonntags-Blick angestellt. Neben dem Festgehalt von umgerechnet 106.000 Euro jährlich und einem Spesen- und Reisebudget über eine annähernd hohe Summe bezog er zusätzlich Honorare aus Nebentätigkeiten. Bei Cicero summierten sich diese auf etwa 40.000 Euro, bei Welt und WamS (Springer) auf rund 13.000 Euro. Nach der "Cicero-Affäre" änderte sich das. Schirra sagt: "Meine berufliche Existenz ist zerstört."

Vier Monate nach der Razzia war klar, dass er seine Stelle beim Sonntags-Blick verlieren würde. 2007 war die "Cicero-Affäre" mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts offiziell beendet, nicht für Schirra. 2007 schrieb er in Cicero Artikel für gerade einmal 9000 Euro. Zwölf Monate später waren es 5000 Euro. Bei den Springer-Blättern brachen die Einkünfte auf 800 Euro ein. 2008 erschien dort kein einziger Text mehr von ihm.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Schweizer Kühe mit Bruno Schirras Zukunft zu tun haben.

Gefangen im Gerücht

Um die Klage gegen das Land Brandenburg zu finanzieren, sagt Schirra, fehle ihm nun das Geld. Er hat Prozesskostenhilfe beantragt. Mit ruhiger Stimme, auf dem Holztisch Zigaretten und Tee, im Rücken knistert der Holzofen, erzählt Schirra, wie es aus seiner Sicht dazu kam, dass er psychisch angeschlagen, dass er labil war und keine relevanten Artikel mehr anzubieten wusste. Physisch fühlt er sich bis heute bedroht.

Zusammengeschlagen und mit Messer attackiert

Begonnen habe alles am 12. September 2005 wenige Stunden nach der Razzia, als die ersten Berichte über den Eingriff von Staatsanwaltschaft und Polizei erschienen waren. Schirra, der an jenem Tag an einer Sicherheitskonferenz in Israel teilnahm, wurde von mehreren israelischen und palästinensischen Quellen mitgeteilt, dass man ihm von sofort an keine Informationen mehr geben könne.

Im Oktober 2005, sagt Schirra, habe er ein Paket erhalten, anonym, darin ein Schal, bestickt mit zwei gekreuzten Kalaschnikows und einer bedrohlichen Sure. Zwei Jahre später, im Oktober 2007, sei er kurz vor dem Parkplatz am Tegeler Strandbad, in der Nähe von Valentinswerder, von zwei Männern - er glaubt, Libanesen - zusammengeschlagen und mit einem Messer unter dem linken Auge verletzt worden. Wieder erstattete Schirra Anzeige, wieder blieben die Ermittlungen ergebnislos. Ständig bekam er außerdem anonyme Anrufe, zu jeder Tageszeit, und er bekomme sie heute noch, sagt er.

Seit Cicero Ende 2005 über die "Razzia im Morgengrauen" ausführlich berichtete, wie Schirra ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten war, und dazu ein Foto seines Hauses mit Angabe des Wohnorts auf der 13 Hektar großen Insel veröffentlicht hatte, konnte jeder, der wollte, wissen, wo Schirra wohnt.

Nur noch Schweizer Kühe

Am schlimmsten nagt an dem Fünfzigjährigen das Gefühl, sich nicht mehr mit seinen Themen beschäftigen und damit Geld verdienen zu zu können. Er solle fortan nur noch über Schweizer Kühe schreiben, habe Christoph Grenacher, sein damaliger Chefredakteur beim Sonntags-Blick, zu ihm nach der Beschlagnahme seiner Unterlagen gesagt. Bald darauf verlor er seine Anstellung.

Grenacher kann sich nicht erinnern, diesen Satz je gesagt zu haben. Eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung habe zur Vertragsauflösung geführt, sagt Grenacher: Zum einen habe er die Inlandsberichterstattung stärken wollen anstatt einen teuren Auslandsreporter zu beschäftigen, der ständig auf Reisen sei und seit dieser Razzia äußerst aufgewühlt auf ihn gewirkt habe. Andererseits habe er es als seine Aufgabe angesehen, das Ringier-Blatt vor jedem Ruch zu schützen. Die Erinnerung an die "Borer-Affäre" 2002 war noch wach. Ausgelöst hatte sie das Schwesterblatt Blick, das dem damaligen Schweizer Botschafter in Berlin, Thomas Borer, ein Verhältnis nachgesagt hatte und sich dafür öffentlich entschuldigen musste.

Als Aussagen des BKA-Chefs Jörg Ziercke den Eindruck erweckten, Schirra könne gegen journalistische Regeln verstoßen und mit dem Bundeskriminalamt kollaboriert haben, wurde Ringier vorsichtig. Schirra hat die Vorwürfe entkräftet. Doch: "Bei solchen Gerüchten, auch wenn sie falsch sind, bleibt leider immer irgendetwas hängen. Das ist sicherlich der Hauptgrund, warum er es in deutschen Redaktionen danach so schwer hatte", glaubt Johannes von Dohnányi, damals wie heute Auslandschef des Sonntags-Blick: "Für uns gab es nie einen Grund, an Schirras Loyalität und Professionalität zu zweifeln. Er hat uns nie ein faules Ei ins Nest gelegt."

Bei solchen Gerüchten bleibt immer etwas hängen

Bruno Schirra, gebürtiger Saarländer, lernte in der Pfalz Winzer. Er ging ins Ausland, begann in Berlin zu studieren, fuhr aber stattdessen einige Jahre Lastwagen, unter anderem nach Afghanistan. So wurde er mit dem konfrontiert, was später, als Journalist, sein Themengebiet wurde. Er begann, Kontakte aufzubauen, sie wurden die Grundlage seiner Arbeit. Das alles sei mit der Durchsuchung vorbei gewesen.

Manche warnten ihn, noch einmal in den Iran, nach Afghanistan oder Pakistan zu reisen. Sein Informantennetz brach zusammen. Wie sollte man einem, gegen den ermittelt wird, dessen Telefone abgehört und dessen Recherchematerial der vergangenen 15 Jahre in der Obhut von Polizei und Staatsanwaltschaft ist, vertrauen? Daran habe sich auch nichts geändert, als die Ermittlungen ergebnislos eingestellt worden sind. Die Potsdamer Staatsanwalt ließ zwar die Klage wegen Geheimnisverrats fallen, doch sie behielt das Recherchematerial, und Schirra erklärte sich damals damit einverstanden.

Auf Valentinswerder ist es dunkel geworden, der Tee ist kalt, die Luft vom Zigarettenrauch vernebelt. Schirra plant einen Thriller und ein Sachbuch zu schreiben; das bislang letzte Werk verkaufte sich schlecht. Weil Reise- und Spesenbelege sowie andere Geschäftsunterlagen ebenfalls eingezogen wurden, kann er seine Steuererklärungen 2004 und 2005 nicht abgeben. Wie es beruflich für ihn weiter geht, weiß Bruno Schirra nicht.

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