Chuck Berry live in Hamburg:Drei-Minuten-Hämmer

Chuck Berry erinnert beim Hamburger Konzert daran, warum er eine ganze Generation Rockstars inspirierte: Noch immer spielt er um sein Leben, als wartete hinter der Bühne die Polizei.

Willi Winkler

Die Kulturgeschichte hat Chuck Berry unsterbliche Riffs zu verdanken, und die Gerechtigkeit verlangt, dass im Museum der modernen Literatur neben Sätzen wie "Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen" oder "Jemand musste Josef K. verleumdet haben" auch "Johnny B. Goode" zu stehen kommt.

Als Berry in den Fünfzigern darüber zu singen anfing, wie es um den amerikanischen Teenager bestellt war, führte er ganz allein eine Jugendrevolte an, berichtete vom Schulmartyrium und pries die Erlösung, wenn die Glocke schrillte. Und dann, klickediklick, die Münzen in die Musikbox, aus der die Höllenmusik stieg, bei der sich Beethoven nur mehr die Ohren zuhalten konnte. Berry meinte natürlich seine, "Rock'n'Roll Music".

Diese Hits versanken mit den Fünfzigern, und als Chuck Berry wegen einer Geschichte mit jungen Frauen auch noch ins Gefängnis musste, wären sie beinah ganz verschwunden, hätten sie nicht ein, zwei Dutzend unzufriedene junge Männer in England entdeckt, die durch Berrys Drei-Minuten-Hämmer veranlasst wurden, die Rolling Stones zu gründen, die Who und die Animals. So wurde er ein Klassiker.

Zu den klassischen Geschichten um Chuck Berry gehört, dass er nur auftritt, wenn ihm seine Gage vor Beginn des Konzerts bar ausbezahlt wird. Das Misstrauen sitzt tief. Zu oft ist er von Veranstaltern betrogen worden. Zu oft bekam er es mit dem Gericht zu tun, wurde eingesperrt wegen dubioser Geschichten. Das war noch in den Fünfzigern, als Schwarze "Neger" hießen und der Rhythm and Blues "race music". Noch immer umweht ihn die Aura des Halblegalen, und noch immer spielt er wie um sein Leben, als wartete hinter der Bühne die Polizei.

Nur 2600 Leute sind bei diesem Revival-Konzert in der unwirtlichen Color Line Arena in Hamburg verstreut. Es sind die eher Älteren zusammengekommen, Nostalgiker, die sich noch an die Zeit erinnern, als Chuck Berry vor bald fünfzig Jahren mit dem ihm eigenen lyrischen Schmelz "Sweet Little Sixteen" besang.

Auch Sechzigjährige kommen dann in der strammen Lederhose, und hinten auf der Motorradjacke adlert Amerikanisches. Vor 45 Jahren standen sie vielleicht draußen vorm Star-Club, der ihnen noch zu teuer war, und hofften auf ein Autogramm von den noch kaum bekannten Beatles, von Tony Sheridan, von Bill Haley. Der ist lange tot, von den Beatles lebt nur mehr die Hälfte, aber Tony Sheridan ist an diesem Abend im Vorprogramm, ein grauhaariger Alter, der spielt wie ein junger Halbgott.

Intermezzo des Teufels

King Size Taylor folgt ihm und kreischt am Rand seiner Stimmkraft "Slow Down". Die Lords, einst die bekannteste deutsche Beat-Band, prügeln ihre Gassenhauer heute als Heavy Metal heraus, und noch immer merkt man ihnen die Herkunft aus der deutschen Marschmusik an.

Der schrille Diskant der "Beatclub"- Veteranin Uschi Nerke ist zum Glück nur zwischendurch zu hören, und man verzeiht ihr sogar diese Stimme, als sie damit endlich Chuck Berry ankündigt. Mit seinem unverwüstlichen Temperament fetzt er "Roll Over Beethoven" herunter und telegraphiert nach "Memphis, Tennessee".

Charles, sein Sohn, begleitet ihn auf der Gitarre, achtet mit äußerster Sorgfalt auf die Improvisationen, die Chuck Berry veranstaltet, und wird gleich noch besorgter, als der in der Manier seines Meisterschülers Keith Richards genialisch über die Saiten schlurt. Tochter Ingrid kommt, das Damentäschchen untern Arm, spielt bezaubernd Mundharmonika und singt den Blues.

Es könnte ein gepflegter Abend werden, passend zu den in Reih und Glied aufgestellten Gummibäumen. Doch dann reißt Chuck Berry eine Saite. Sie rollt sich am Wirbelbrett, er spielt weiter, gibt auf, lässt sich statt der Gibson eine neue Gitarre reichen, spielt, probiert, verzweifelt. Charles Berry, sein Sohn, behält den Vater, die Bühne und das Publikum im Griff, intermezziert auf Teufel komm raus, bis endlich jemand die rote Gibson neu bespannt hat.

Der Glücksbringer

Chuck Berry fetzt noch einmal "Johnny B. Goode" herunter, das leitmotivische Intro und die Prophezeiung der Mutter, dass der Name ihres Sohnes einmal ganz groß und in Neon angekündigt würde. Achtzig ist der Mann und spielt wie der Henker, watschelt beim Spielen im Entengang über die Bühne, den keiner so beherrscht wie er.

"Maybelline" gibt er zum Schluss, bittet lauter junge Mädchen auf die Bühne und spielt für sie, tanzt für sie, ist der ewig junge Chuck Berry, der Mann, dem die Welt nicht wenig von ihrem Glück verdankt.

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