Chris Dercons Pläne für die Volksbühne:10 000 Pixel für den Superapparat

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Er habe gerne starke Schauspieler, sagt Chris Dercon. Bleibt zu hoffen, dass diese im schönen neuen "radical repertory"-Chic der Volksbühne auch vorkommen. (Foto: Rainer Jensen/dpa)

Die gute Nachricht: Chris Dercon hat offenbar einen Plan für die Berliner Volksbühne. Die schlechte: Der umstrittene Nachfolger von Frank Castorf setzt weiterhin auf Phrasendrescherei, Konzeptverkopftheit und Meta-Geschwurbel.

Von Christine Dössel

Was wird nach dem Vertragsende von Frank Castorf 2017 aus der Berliner Volksbühne? Seit der Berufung des Museumsleiters Chris Dercon zu Castorfs Nachfolger vor eineinhalb Jahren tobt um diese Frage - nicht nur in Berlin - eine heftige Debatte.

Diese wurde umso aufgeladener, je länger sich Dercon über sein inhaltliches Vorhaben in Schweigen hüllte und ansonsten meist nur mit rhetorischen Leerformeln im globalisierten, immer auch ein wenig angeberischen Kuratoren-Sprech glänzte.

Nun haben sich der designierte Intendant und seine künftige Programmdirektorin Marietta Piekenbrock in Interviews mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und dem Berliner Tagesspiegel erstmals konkreter zu ihren Plänen geäußert.

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Die gute Nachricht: "Doch, wir haben ein Programm!" (Piekenbrock in der FAZ). Die schlechte: Aus den Interviews spricht schon wieder so viel Phrasendrescherei, Konzeptverkopftheit und Meta-Geschwurbel, dass einem ganz schwiemelig wird.

Da ist viel von Vernetzung und Kooperation, Pardon: "Kollaboration" die Rede; von einer "Art Stadttheater ohne Grenzen", einem "Superapparat, der alle Formen in sich aufnimmt und transzendiert", einem "Biotop, das eine Traumfabrik für Künstler sein wird", einem "utopischen Ort". Das Theater als eine "Zeitschöpfungsmaschine", die gespeist werden soll mit einem "radical repertory", um den "Verlust des Gestern zu kompensieren". Gleichzeitig soll dieses Theater "eine Schule des Befremdens" sein, denn: In unserer Gesellschaft gehe die Komplexitätstoleranz verloren.

"Choreografische Versammlungen auf dem Tempelhofer Feld"

Ein paar Namen und Programmsetzungen lassen sie dann aber doch raus. So soll die Spielzeit am 10. September durch den Choreografen Boris Charmatz eröffnet werden. Dieser werde zwei Wochen lang "choreografische Versammlungen auf dem Tempelhofer Feld inszenieren, bei Tag und bei Nacht". Im Anschluss werde sein neues Stück uraufgeführt, "ein Bild aus 10 000 choreografierten Pixeln". Es gehe um "Biopolitik". Generell werde es viel Tanz geben.

Ebenfalls in Tempelhof steht das Satellitentheater, das der Architekt Francis Kéré für die Volksbühne erdacht hat. Es soll mit einem Stück von Mohammad al Attar aus Damaskus eröffnet werden, einer Überschreibung der "Iphigenie in Aulis" von Euripides, mit vierzig syrischen Frauen.

Erst danach geht es ins Stammhaus am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort ist als Exorzismusprogramm gegen das expressive Castorf-Theater Entschleunigung angesagt. Man bekennt sich zu einem "armen Theater" und hält Rückschau: So wie es im Museum Räume für die klassische Moderne gibt, will die Volksbühne künftig Modellinszenierungen und Reenactments berühmter Avantgarde-Stücke der Theatergeschichte zeigen.

Angefangen bei - Achtung, Backlash! - Samuel Beckett, in dessen Werk Piekenbrock die "Quintessenz des Sprechtheaters" ausmacht (Stimme, Körper, Raum). So soll etwa Becketts langjähriger Mitarbeiter Walter Asmus dessen Stück "Not I" rekonstruieren.

Dass auch die Theaterinstallationsregisseurin Susanne Kennedy, der Filmemacher Romuald Karmakar und die Choreografin Mette Ingvartsen am Haus inszenieren werden, war bereits bekannt.

Des Weiteren werden genannt: der thailändische Filmregisseur Apichatpong Weerasethakul, der katalanische Film- und Theatermann Albert Serra und der 93-jährige Franzose Claude Régy, dessen Trakl-Abend "Rêve et Folie" kommt. Auch bildende Künstler sollen inszenieren. Und was das Ensemble angeht, redet man sich geschickt auf Castorf hinaus, dessen Version eines "idealistischen" Ensembles man weiterführe.

Vom Konzept seines Freundes Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen, der sein Theater als "soziales Labor" betreibt, distanziert sich Dercon ausdrücklich: "Generell interessiert mich Handwerk mehr als die Reaktionsgeschwindigkeit dilettantischer Performativität." Er habe gerne starke Schauspieler. Bleibt zu hoffen, dass diese im schönen neuen "radical repertory"-Chic der Volksbühne auch vorkommen.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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