Chelsea Hotel wird verkauft:Die wilden Zeiten sind vorbei

Arthur Miller hat sich hier mit Marilyn gestritten, Bob Dylan verewigte es in einem Song, Edie Sedgwick steckte das Mobiliar in Brand: Nun soll das Chelsea Hotel in New York, Wallfahrstort des Pop, verkauft werden.

Jörg Häntzschel

Es ist einer der größten Wallfahrtsorte des Pop. Doch im Gegensatz zum Zebrastreifen auf der Abbey Road oder dem Grab von Jim Morrison auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise kann man im New Yorker Chelsea Hotel übernachten. Auch wenn man beim Frühstück kaum den nächsten Bob Dylan entdecken wird: Die Gemeinde aus ergrauten Dauermietern und Post-Bohemiens, die für Folk und Punk zu spät geboren wurden, hält sein Erbe und das der vielen anderen berühmten Bewohner in Ehren.

People are seen on the sidewalk outside the Chelsea Hotel on West 23rd Street in New York

Im Gegensatz zum Zebrastreifen auf der Abbey Road oder dem Grab von Jim Morrison auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise kann man hier übernachten: Das New Yorker Chelsea Hotel.

(Foto: Reuters)

Nun jedoch droht dem blühenden Anachronismus an der 23. Straße das Ende. Die Familien, denen das Hotel seit 65 Jahren gehört, wollen verkaufen. "Es ist Zeit, dass ein neuer Besitzer mit innovativen Ideen das Chelsea revitalisiert", sagte Paul Brounstein, einer ihrer Sprecher. Und ergänzte eilig: "Egal, wer es besitzt, das Chelsea bleibt immer das Chelsea." Doch die Firma, die den Verkauf abwickeln soll, schreibt auf ihrer Website etwas "von potentiellen Redevelopment- und Repositionierungsstrategien", die das Hotel biete. Das klingt nicht gut.

Gebaut wurde der Backsteinkoloss 1884 als Apartmentgebäude. Mit seinen zwölf Stockwerken war es das höchste Haus von Manhattan. Von da an ging es dann abwärts. 1905 wurde es in eines jener New Yorker Hotels umgewandelt, in denen man eine Nacht bleiben kann oder für immer. Außer Mark Twain und Sarah Bernhardt lebten hier vor allem Seeleute, Immigranten und Verlassene.

Doch seit 1939 der ungarische Einwanderer David Bard das Hotel übernahm, entwickelte es sich zu einer Art vertikalem Quartier Latin. Der Schriftsteller Thomas Wolfe und der Dramatiker Eugene O'Neill lebten hier, dann kamen Edith Piaf und Gore Vidal, Tennessee Williams und Willem de Kooning.

Leben mit Legenden

Begründet wurde der Mythos des Chelsea in den Sechzigern. Bob Dylan sang davon, wie er hier "Sad-Eyed Lady of the Lowlands" schrieb; Leonard Cohen schmachtete mit seinem sterbenstraurigen "Chelsea Hotel No. 2" Janis Joplin nach; Andy Warhol drehte "Chelsea Girls". Arthur Miller stritt mit Marilyn Monroe, Edie Sedgwick steckte mit ihren Zigaretten das Mobiliar in Brand. 1978 erstach Sid Vicious von den Sex Pistols in Zimmer 100 seine Freundin Nancy Spungen, bevor er wenig später im selben Bett an einer Überdosis starb.

Wen kümmerte es angesichts von so viel Geschichte, dass der Komfort auf der Strecke blieb? In den Fluren des Hotels fühlt man sich wie in einer Behörde in Budapest. Heizung und Aufzüge sind seit Jahrzehnten nicht erneuert worden. Und die Bilder in der Lobby, mit denen verarmte Künstler dem vor drei Jahren geschassten Hotelmanager Stanley Bard die Zimmermiete bezahlten, sind auch nicht alle Weltklasse.

Dass die Besitzer irgendwann verkaufen würden, war absehbar. Ebenso unausweichlich scheint die Zukunft des Chelsea als Boutique-Hotel. Man sieht sie schon vor sich, die sorgfältig präparierten Funde aus den wilden Zeiten, die die frischgestrichenen Wände schmücken. Noch letzte Woche beklagte Ed Hamilton, der den Chelsea-Hotel-Blog "Living with Legends" schreibt, dass ein im Hotel gedrehter Levis-Spot die Underground-Kulisse des Chelsea für Jeanswerbung ausbeute. Der Mann hatte Sorgen! Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.

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