Charakterstudie:Mister Joe weiß Bescheid

Georg M. Oswald schickt einen verkorksten Rechtsanwalt in die Fremde, wo dieser lernt, nicht alles im Leben lässt sich mit einem Deal regeln.

Von Christoph Schröder

Die vermeintlich unantastbaren Patriarchen haben es Georg M. Oswald angetan. Er schaut Rechtsanwälten und Politikern dabei zu, wie ihre Macht zerbröselt, bis sie sich selbst quasi nackt gegenüberstehen. Hartmut Wilke, der Protagonist von Oswalds neuem Roman, ist ein solcher Typus, ein brillanter Rechtsanwalt und Partner in einer mittelgroßen Kanzlei; er ist reich, kalt und verkorkst, aber das bemerkt man kaum auf den ersten Blick.

Georg M. Oswald hat sich, gerade in seinem letzten Buch "Unter Feinden" (2015), einem veritablen Thriller, zu einem Autor entwickelt, der seine Figuren mitten hinein ins Geschehen stößt und dann dabei zuschaut, wie sie sich darin bewähren. Wir landen also gleich auf der ersten Seite mit Hartmut Wilke in Malindi, einer Küstenstadt in Kenia, direkt am Indischen Ozean. Hierher ist Wilke mit seiner 25 Jahre jüngeren Freundin Ines geflogen, um nach langer Zeit Erik, den Sohn aus seiner gescheiterten Ehe, wiederzusehen. Erik betreibt eine Strandbar, ist also in Wilkes Augen ein Versager. Von Beginn an liegt über dieser Reise eine Atmosphäre von Zweifel und Bedrohung.

Oswald dekonstruiert seinen Protagonisten in dessen eigener Gedankenwelt. Nach und nach stellt sich heraus, dass das Steuersparmodell, dass Wilke sich für seine Mandanten ausgedacht hat, ihm ein Verfahren der Staatsanwaltschaft eingebracht hat; dass seine Partner in der Kanzlei ihn hinausgedrängt haben, um den Ruf des Unternehmens zu retten; dass seine Frau ihm das Leben nach der Trennung so kompliziert wie möglich macht und dass er sich von seinen drei Kindern schon lange entfremdet hat.

Vom Augenblick der ersten Begegnung zwischen Wilke, Ines und Erik inszeniert Oswald einen Tanz mit Worten: Der attraktive Erik und Wilkes Freundin Ines verstehen sich auf Anhieb gut. Vielleicht zu gut? Die Kommunikation zwischen Erik und seinem Vater ist ein permanentes Umeinanderschleichen: Wer manipuliert wen und wer wird manipuliert?

Um dieses Dreieck herum hat Oswald einen rasanten Roman gebaut, angereichert mit einer Menge zwielichtiger Figuren. Da gibt es einen gewissen Mister Joe, einen Deutschen, der in Deutschland als Betrüger verurteilt wurde, sich in Kenia aber bestens eingerichtet zu haben und die Fäden in der Hand zu halten scheint. Und einen sogenannten Polizeigeneral, der Ines ihr Smartphone abnimmt mit der Begründung, sie damit vor einem eventuellen Diebstahl zu schützen. Die Tricks und Kniffe, die Gesetze, mit denen Wilke sich in Deutschland bestens auskennt, sind hier nichts mehr wert. Und er bringt sich zusehends, ohne es zu wollen, in Situationen des Ausgeliefertseins.

Georg M. Oswald hat diese Unsicherheitskette geschickt vorbereitet. "Alle, die du liebst" hat Tempo, wirkt allerdings im letzten Drittel ein wenig unentschieden. Oswald ist kein Actionautor, sondern ein Schriftsteller, den gesellschaftliche Realitäten interessieren. Und so ist die Figur des Hartmut Wilke auch das Porträt einer selbstsicheren Generation, die ihre Kinder in Unmündigkeit gehalten hat. Um diesen Mann dorthin zu führen, wo er ihn haben will, peitscht Oswald die Handlung seines Romans im Eilverfahren durch. Da geht auf wenigen Seiten ein ganzer Abenteuerroman verloren. Am Ende der Reise steht ein Gescheiterter und Geläuteter zugleich, ein Mann, der begriffen hat, dass das Leben keine Kette von Deals ist.

Georg M. Oswald: Alle, die du liebst. Roman. Piper Verlag, München 2017. 208 Seiten, 18 Euro. E-Book 16,99 Euro

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