Champions-League-Finale:Weißwurst gegen Currywurst

Champions League Pokal

Geht der Pott in den Pott? Die Frage ist berechtigt. Denn der Champions League Pokal wandert vielleicht nach Dortmund, vulgo in den Pott.

(Foto: dpa)

Das Finale in Wembley ist auch ein "Clash der Kulturen": Die Leute aus dem Revier haben mit den Herrschaften aus dem Alpenvorland wenig gemeinsam. Hier ist der Versuch, die unterschiedlichen Mentalitäten zu analysieren. Wie das Spiel ausgeht? Zwei zu Soße, natürlich.

Von Bernd Graff

Unbekanntes München, noch unbekannteres Dortmund! Und diese so Unbekannten, die sich selber aber ziemlich gut kennen, ausgerechnet die beiden spielen nun in London gegeneinander Fußball. Im Wembley-Stadion, gelegen gewissermaßen auf dem Heimatplaneten des Fußballs. Ein Stadion, von dem man sagt, nur die Erde habe eine größere Anziehungskraft.

Champions-League-Finale ist auch ein Fan-Kulturen-Finale. Und tatsächlich haben es nicht lediglich zwei deutsche Mannschaften in das Finale gebracht, sondern auch zwei Weisen, das Leben zu sehen und zu leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Während München als Mittelpunkt des Universums und sowieso als Weltstadt der Angeber gilt, kauft man in Dortmund gerne "ma'n Kaffe tu go zum hiertrinken!" Weißwurst trifft auf Currywurst. Was soll man auch machen?

Bayerns Metropole blitzt und blinkt rund um den Eisbach, dass es eine Art hat. Es gibt in München Straßen, die heißen Brunftmeilen und sind nur dazu da, italienische Luxusautos im ersten Gang auf und ab zu bewegen. (Nur so röhren sie den Brunftton, den man dort vor Eisdielen und Schicki-Cafés absetzen muss.) Außerdem tanken die vielen Porsches hier Champagner, mit einer Magnum-Flasche kommt man bis Starnberg. Oder bis zur Allianz-Arena im Norden der Stadt.

Dortmund hingegen hat das Pott-Image so verinnerlicht, dass es den Verlust sämtlicher Arbeitsplätze, die mit Stahlkochen und Steinkohleförderung zu tun haben (und die dem Revier den Namen Pott beschert haben), gar nicht bemerkt hat.

Im Gegenteil: Auch heute noch ist es ein wenig geflügeltes Wort, wenn man diesen Satz hört: "Gez ma Butta bei die Fische, holt mich den Erich vonne Zeche, der wird noch schwatt!", auch wenn Zeche nur noch das ist, was man am Bierbüdchen prellen kann und Erich nur noch schwarz werden kann, wenn der BVB Dortmund im Westfalenstadion, sorry, im Signal Iduna Park von den Bayern die Lederhosen vorgeführt bekommt - oder so ähnlich.

Was also prallt da aufeinander? Wenn man den Fußballfans der beiden Mannschaften das Fußballfanige nimmt, dann haben die Bajuwaren und die Borussen wirklich wenig gemeinsam.

Es liegt an den unterschiedlichen Biotopen, also an den diversen Lebensbedingungen außerhalb des jeweiligen Stadions. Und, ja, es hat viel damit zu tun, dass die einen eher oben auf der Alm sind und die anderen eher unter Tage. Die einen sind maulert, die anderen malochen.

Jedenfalls war es früher mal so.

Dortmund ist eine Stadt, die im Ruhrgebiet, dem Revier, aufgeht wie ein Brikett im Kohlenkeller. 5,1 Millionen Menschen leben in dieser zentral-nordrheinwestfälischen Region. Städte, die so lustige Namen wie Bochum, Bottrop, eben Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herne, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen tragen, aber eben NICHT: Köln und Düsseldorf!, gehen anscheinend fließend ineinander über. Darum hat man den Pott im Jahr 2010 auch insgesamt zur Kulturhauptstadt machen können.

Die Menschen im Pott haben, solange sich das noch lohnte, den Rauch der Industrialisierung am heftigsten mitbekommen. Da das Oberkarbon ergiebigst Kohleflöze entlang der Ruhr und Richtung Norden hinterlassen hat, lebte man vom Bergbau und der Verhüttung von Eisenerzen. Fast 300 Zechen gab es 1850 in diesem Gebiet. Der Ruhrbergbau wanderte, den Flözen in die Tiefe folgend, von Süden nach Norden, von der Ruhr an die Emscher und schließlich zur Lippe. Entsprechend wuchsen mit der wirtschaftlichen Entwicklung die Städte. Arbeitskräfte mussten abgeworben werden, es gab Zuwanderungen aus ganz Deutschland und Polen, außerdem eine unfassbare Fruchtbarkeit. Betrug die Geburtenrate im deutschen Kaiserreich fünf Kinder pro Frau, wurden im Ruhrgebiet fast sechs Kinder je Frau geboren. Bochum etwa hatte im Jahr 1800 etwas mehr als 2000 Einwohner, 1905 waren es 117.000.

Kein Wunder also, dass die Menschen im Revier, die Ruhris, wie sie sich selber manchmal nennen, so lustig reden wie Adolf Tegtmeier. Wenn man sich jetzt einen Gefallen tun möchte, einen wirklichen Gefallen, dann schaut man sich sofort mal alle drei Videos von Tegtmeier an: den Schwiegermutter-Mörder und die beiden Teile zur "Fahrprüfung" (hier Teil 1, und hier Teil 2). Das ist schon ziemlich toll - oder wie Tegtmeier sagen würde: "Tegtmeier hörn is wie wennze fliechs."

Pommes und Spaghetti, eigentlich wie Kinder

Was gibt es noch vom Pott zu vermelden? Richtig! Diesen Satz unbedingt noch: "Schakkeline! Geh nich bei die Assis!" Und auch immer wieder gerne genommen: Frank Mills Pfostenschuss aus dem Jahr 1986. Klar; Dortmund gegen Bayern, und der Frank, der Frank, der Frank ... er trifft nicht! "Dat sieht aus wie gekonnt, abba nich gewollt!", möchte man ausrufen. Und was sagt der Frank danach ins Mikrofon? "Enttäuscht? Dat kamma woll sagen, warn 10.000prozentiger."

Ja, war er.

Was wissen wir von den Bayern-Fans? Eigentlich sind sie wie Kinder: Sie mögen Pommes und Spaghetti, und sie sind auch beim Fußball immer auf der richtigen Seite. Auf der Seite der Gewinner. Und wenn die Bayern mal nicht gewinnen, dann gewinnen sie eben beim nächsten Mal. (Oder anders: Wenn sie beim letzten Mal nicht das CL-Finale gewonnen haben, dann eben in diesem Jahr oder im nächsten. Womit gesagt sein soll, andere Mannschaften kommen einmal in ein solches Finale, die Bayern haben 'ne Zehnerkarte. Mindestens.) Daraus erwächst eine gewisse Breitschultrigkeit der Bayern-Fans. Das, was man "Mia san Mia" nennt.

Und das äußert sich auch schon mal so: Vor dem Pokalspiel zwischen Bayern München und Borussia Dortmund im Februar des Jahres, es fand in München statt, sah man die Kurve, in der die treuesten der Bayern-Fans stehen, die Bayern-Ultras, plötzlich schwarz-gelb leuchten. In den Farben des Gegners also. Watt? Die gelbe Wand, die man aus dem Westfalenstadion kennt, in München, erzeugt von den Ultras? Völlig falsch: Ein Spruchband unter der gelben Wand sprach von den Farben der geilsten Stadt der Welt - und ja: München hat die Stadtfarben Schwarz-Gelb, genauso übrigens wie Aachen. Ob München deswegen die geilste Stadt der Welt ist, darf bezweifelt werden. Und, weil man damit Dortmund (und seine Fans) richtig drankriegen wollte, kippten Farben und Spruchband nach wenigen Augenblicken wieder. Da war dann alles wieder gewohnt rot-weiß und der Spruch lautete: Die Farben des geilsten Vereins der Welt. (Auch das darf bezweifelt werden.)

Wie dem auch sei, der FC Bayern ließ einen Tag später über seine Presse-Abteilung mitteilen, die Aktion sei "kreativ gewesen, das war tiefsinnig, das war auf den Punkt gebracht, und es hat gezeigt, welch phantastische Stimmung und Atmosphäre man machen kann, ohne andere zu beleidigen". Hossa: So also ist Tiefsinn und Kreativität in Bayern. Kaum wird mal einer nicht beleidigt, hat hier einer was auf den Punkt gebracht.

Ein Fazit: Ja, die Fans der beiden Mannschaften sind anders. Sie unterscheiden sich aber vor allem darin, dass sich bei ihnen Scheitern ganz anders anfühlt. Sollten die Bayern verlieren, mei, dann gewinnen sie eben beim nächsten Mal. Sollten die Borussen verlieren ... Ach, geh mich bloß wech!

Sollte Bayern gewinnen, dann wird gefeiert, denn Hund sans scho. Sollten die Borussen gewinnen, dann sagt jeder Fan: "Hömma, mir is so fett, mich passt unner kein T-Shirt." Und: "Scheiß die Wand an, is dat geil hier!"

Wie Weißwurst gegen Currywurst dann tatsächlich ausgeht? Zwei zu Soße, natürlich.

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