50 Cent: "Curtis":Ein schlechter Verlierer

Der Rapper 50 Cent scheitert auf seinem neuen Album "Curtis" an der Reinszenierung seines Gangsta-Images und verliert eine wichtige Wette.

Jonathan Fischer

Warum starrt Curtis Jackson alias 50 Cent nur so zerknirscht von seinem neuen Album? Hat er vergessen, in einem der fünf Jacuzzi-Bäder seiner 6000-Quadratmeter-Villa in Connecticut den Wasserhahn abzudrehen? Schmeckt ihm der Vitamindrink nicht mehr, den er in einem Multimillionen-Vertrag mit Coca-Cola bewirbt?

50 Cent

50 Cent kündigte an, dass er nie wieder ein Solo-Album aufnehmen werde, wenn er in der ersten Woche weniger Alben vekauft als Konkurrent Kanye West. Die Wette hat er verloren.

(Foto: Foto: AP)

Oder ahnt er schon, dass auch der Titel "weltweit erfolgreichster Rapper" nicht für ewig vergeben wird? Man möchte 50 Cents Gesichtsausdruck gar nicht sehen, als er erfahren hat, dass sein neues Album "Curtis" nur die Nummer zwei der US-Alben-Charts ist - und Kanye Wests Konkurrenzprodukt "Graduation" um einige 100000 verkaufte Stück populärer. Schließlich war die Wette seine Idee: Sollte er in der ersten Woche weniger verkaufen als der Chicagoer Rapper und Produzent, würde er nie wieder ein Solo-Album aufnehmen.

Und was macht 50 Cent jetzt? Gratuliert er West zum verdienten Sieg? Nein, das wäre doch zu sehr gegen den misstrauischen und machthungrigen Gangster gebürstet, den er so gern auf Platte gibt. Stattdessen schmollt der Verlierer: Die Plattenfirma würde die Verkaufszahlen manipulieren.

Außerdem habe sich sein Gegner an den Mainstream verkauft: "Kanye bekommt seine Trophäen nur, weil er auf Nummer sicher geht." Hätte Fifty das doch bloß als Scherz gemeint! Derselbe Mann, der in der Vergangenheit immer wieder mal mit Anflügen von lakonischem Mutterwitz punktete, wird diesmal wohl nur noch müde belächelt werden. Weil die neuen Songs oft nur wie schlechte Aufgüsse der alten Hits tönen, Titel wie "I'll Still Kill", "My Gun Go Off" und "Peepshow" an unfreiwillige Selbstparodien erinnern.

Ja, 50 Cent glaubt es wohl wirklich: dass Crack zu kochen und Pistolen zu polieren cooler ist, als sich wie seine Konkurrenten Jay-Z oder Nas auf so etwas wie Liebe einzulassen: "While Jay and Beyonce was mwah-mwah, kissing, I was cooking one thousand grams in my kitchen/ while Nas was telling Kelis 'I love you, boo', I was shining my 9 mm, you know how I do."

Die hämischen Kommentare lassen nicht auf sich warten: So rät das Internet-Musikmagazin Pitchfork Media dem "machthungrigen, proteinüberfütterten Egomanen", doch mal wieder sein Lieblingsbuch, Robert Greenes "The 48 Laws Of Power", aufzuschlagen: "Erscheine niemals zu perfekt" wird da Regel Nummer 46 zitiert: "Es ist klug, gelegentlich Schwächen zu zeigen, um menschlicher und nahbarer zu erscheinen."

"Curtis" aber verstärkt den Eindruck, dass der zweitbestverdienende Rapper irgendwo zwischen seinen 18 Schlafzimmern, zwei Billardhallen und Dutzenden Swimmingpools den Kontakt zur Wirklichkeit längst verloren hat. Er sich unter seinem Erfolg beerdigt hat. Und seine roboterhafte Maske mit künstlerischer Potenz verwechselt: "Ich bin King Kong. Kanye ist nur menschlich", diktierte er dem Rolling Stone-Magazin.

"Menschen rennen davon, wenn sie King Kong sehen, weil sie ihn fürchten." Willkommen in den Hollywood-Fantasien eines offensichtlich immer noch an der eigenen Ohnmachtsgeschichte knabbernden Waisenkindes. 50 Cents dramatischer Lebenslauf ist bekannt: Mit neun Jahren muss er die Ermordung seiner alleinerziehenden Mutter miterleben, wird anschließend zu seinen überforderten Großeltern abgeschoben und versucht, sein Taschengeld als Drogendealer aufzubessern.

Später merkt er, dass man auch als Rapper reich werden kann - unter wesentlich geringerer Gefahr, durchlöchert zu werden. Die neun Schusswunden, die 50Cent jahrelang als Alibi für die Straßen-Glaubwürdigkeit seiner Reime ausschlachtete, hin oder her: Der Ghettojunge aus Queens hat es geschafft - und könnte es sich leisten, nicht nur in Striptease-Clubs und neue Ferraris zu investieren, sondern etwa in einer Psychotherapie die traumatischen Kindheitserlebnisse aufzuarbeiten. Und ein Menschsein jenseits der Gangster-Rüstung erproben.

Wer sagt, dass Curtis Jackson - ein liebender Vater, der seinen Sohn "dazu erziehen möchte, mehr über seine Gefühle zu reden" - keine Alternativen hätte? Vergangene Hits wie "Hate It Or Love It" deuteten durchaus die Möglichkeit einer nachdenklicheren, von Soul inspirierten Rapper-Persönlichkeit an. Mit "Curtis" jedoch ist der stets Schutzwesten tragende, selbsternannte "Teflon Don" angetreten, das Gegenteil zu beweisen: Dass ihn die Straßen noch fürchten müssen, er ist derselbe Typ, als der er 2002 überraschend aus dem Nichts kam, um die Welt zu erobern.

Was nicht heißt, dass "Curtis" kein Vergnügen bereiten kann. Kann es nämlich durchaus: Beschränkt man sich auf die Musik, hört man ein solides, handwerklich perfekt gestricktes Rap-Album, mit einem Dutzend Produzenten, die 50Cent die ganze chartserprobte Palette an Beats unterschieben: Von düster stampfenden Dampfhammerschlägen ("I Get Money"), sample-lastigen Old- School-Hymnen ("Movin' On Up") bis zu flirrenden Synthie-Beats von Timbaland ("Ayo Technology").

Das Schwadronieren von alten Zeiten

Begleitet vom weißen Soulsänger Robin Thicke wagt sich 50 Cent in der Mitte des Albums gar einmal ("Follow My Lead") in Richtung Romantik vor. Sofern man Zeilen wie "Baby, I pass the day watching you model lingerie" als romantisch durchgehen lässt. Nun ja, er hat es zumindest versucht.

Besser jedenfalls als die Frauen-Karussellfahrten-Vergleiche auf "Amusement Park" oder "Peep Show" wo sich der Rapper im Verbund mit seinem Mentor Eminem zu pubertären Phantasien hinreißen lässt: "Let me shit on your chest / and if some pee comes out / just guzzle it down..." Alle pickelgesichtige, Schwänze auf Schulpulte kritzelnden Jungs dieser Welt, ihr seid nicht allein!

Am Ende bleibt die Einsicht, dass die 50-Cent-Saga 2007 ihr Ende gefunden hat. Dass seine Geschichte auserzählt ist: zumindest diejenige vom Verbrecher, Killer, Hustler, Zuhälter und Pistolenbesitzer. Offensichtlich hat selbst die Kerngemeinde des Gangsta-Rap nicht das unbegrenzte Bedürfnis, einen Multimillionär auf Autopilot von den alten Zeiten schwadronieren zu hören. Selbst männliche Teenager - sie machen 50 Cents treueste Anhänger aus - steigen wohl irgendwann auf raffiniertere musikalische Drogen um. Und welche weiblichen Fans lassen sich schon mit "cock" auf "lollipop"-Reimen einfangen?

Sollte 50 Cent nun tatsächlich Mikrofon-abstinent bleiben, werden wir seine Präsenz trotzdem spüren: Als Macher des erfolgreichen Modelabels G-Unit, als Produzent - und nicht zuletzt als Buchautor: Zusammen mit Selbsthilfe-Guru Robert Greene möchte er unter dem Titel "The 50th Law" eine Straßenversion der "The 48 Laws Of Power" herausbringen. Spannend, wie 50 Cent da wohl Regel Nr. 25 übersetzt: "Re-Create Yourself!" Erfinde dich stets aufs Neue!

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