CDs der Woche - Popkolumne:Weihnachten ist doch egal

Eminem, der Wu-Tang Clan und Slayer besinnen sich auf alte Stärken. Nur bei letzterem ist das ein Glück. Wer sich von Campinos neuestem Charity-Pop-Projekt erholen will, für den sind Erdmöbel da.

Von Jens-Christian Rabe

1 / 5

Killer Mike

Erntete viel Applaus in St. Louis: Rapper Killer Mike.

Quelle: Dom Brady [CC-BY-2.0]

Der Hip-Hop hat dieser Tage den Pop mal wieder fest in der Hand. Der Rapper Killer Mike ist in den USA gerade als Bürgerrechtler zu nationaler Berühmtheit gelangt.

Nach dem Freispruch des weißen Polizisten, der in der Kleinstadt Ferguson einen unbewaffneten schwarzen Teenager erschossen hatte, hielt er noch am selben Abend bei seinem Konzert in St. Louis eine bewegende Rede gegen den "Polizeistaat USA", die im Internet schnell die Runde machte.

Ein Auftritt bei CNN und zuletzt ein Leitartikel in der größten amerikanischen Tageszeitung USA Today folgten.

2 / 5

Wu-Tang Clan

Gutes Album nach bewährtem Rezept: "A better tomorrow" vom Wu-Tang Clan.

Quelle: Warner Bros. Records

Außerdem erschien endlich auch das lang erwartete neue, neunte Studio-Album des Wu-Tang Clan: "A Better Tomorrow" (Warner). Wir erinnern uns: Der Wu-Tang Clan, der mit seinem Debütalbum "Enter The Wu-Tang (36 Chambers)" 1993 den Hip-Hop mit Prügel-Samples aus Kung-Fu-Filmen und alten Soul-Aufnahmen, mit tiefen kratzigen Beats, zornig ausgespukten Raps und etwas Selbstironie leichter Hand neu erfand.

Das neue Album ist zweifelsohne ein gutes Rap-Album, aber leider hat sich am Rezept seither nicht genug geändert. Den wirklich aufregenden Rap zur Zeit machen inzwischen andere.

3 / 5

Eminem

Maximaler Hochgeschwindigkeits-Rap: "ShadyXV".

Quelle: Interscope

Ein ganz ähnliches Problem hat auch Eminem, der andere alte Rap-Superheld, der dieser Tage mit neuem, lang erwarteten Material aufgetaucht ist: "ShadyXV". Aber er war nicht nur klug genug, seine neuen Stücke auf einem Jubiläums-Sampler seines Labels Shady Records zu verstecken, er traute sich besonders auf dem Titelstück "ShadyXV" auch, das Prinzip "Eminem" einfach einmal maximal auf die Spitze zu treiben.

Das Prinzip Eminem war ja seit jeher lyrical murder, also sehr, sehr cleverer Hochgeschwindigkeits-Rap nach dem Motto "Halt mal die Schnauze, ich reim dich jetzt in Grund in Boden". Seit einer Weile fehlt ihm ein bisschen das Händchen für Hits, aber das fünf Minuten lange "ShadyXV", das nur aus einem dürren Achtziger-Rock-Sample und einer einzigen, überfallartig hyperaktiv vorgetragenen Eminem-Strophe besteht, beweist auf jeden Fall, dass der Mann noch immer einer der besten Rapper ist, die diese Kunst bislang hervorgebracht hat.

4 / 5

Slayer

Dürfen alles, sogar retro: Slayer.

Quelle: AP

Die einzige Pop-Musik, der noch nicht vorgeworfen wurde, "retro" zu sein, also nichts Neues mehr zu erfinden, sondern nur noch zu recyceln, ist der Metal, also der ganz harte Rock, obwohl sich in diesem Genre mindestens in den vergangenen 30 Jahren ästhetisch wirklich sehr wenig geändert hat.

In seiner Rezension des Konzerts der sagenumwobenen kalifornischen Thrash-Metal-Band Slayer in Montclair im amerikanischen Bundesstaat New Jersey erklärte der Popkritiker Ben Ratliff in der New York Times am Sonntag jetzt, warum das so ist:

"Ein Slayer-Konzert bewirkt Folgendes: Man kann sich Konzerte von 500 Rockbands anhören und sich danach sicher sein, dass ästhetische Veränderungen prinzipiell gut sind. Aber nach einem Slayer-Konzert denkt man, nein, an ästhetischen Veränderungen ist überhaupt nichts prinzipiell Gutes. Die braucht kein Mensch."

5 / 5

Erdmöbel und Diplo

"Jingle Bells" mit mehr Bass und Beats? Bei Diplo geht das.

Quelle: Warner Music

Und weil jeder weiß, dass es von den seelischen und körperlichen Zerrüttungen, die ein ordnungsgemäß exekutiertes Metal-Konzert anrichten kann, nicht weit ist zum Weihnachtspop - deshalb noch ein Wort von der fabelhaften Indie-Band Erdmöbel zum katastrophalen Charity-Pop-Projekt "Band Aid 30 Germany" und dessen Initiator Campino von den Toten Hosen:

"In den Achtzigern", sagte Erdmöbel-Mitglied Ekki Maas vor ein paar Tagen auf Zeit-Online, "da gab es dieses ,Nackt im Wind', bei dem sie alle mitgemacht haben. Grönemeyer, Westernhagen, Nena. Lindenberg. Das hab ich mir gekauft, um hinterher beweisen zu können, wie schlecht die Welt ist. Das ist so ein fürchterliches Lied, und die Teilnehmer wirkten so unsympathisch dabei. Jetzt passiert wieder sowas. Ich versteh das nicht."

Wie schön, dass Erdmöbel mit ihrem neuen Album "Geschenk" gerade selbst ein Gegengift aufgenommen und damit das Unmögliche schaffen, ein charmantes Weihnachtspopalbum. Und das auch noch auf Deutsch! Allein der neue Text für die Erdmöbel-Cover-Version von Wham!s "Last Christmas" ist so irrsinnig gut: "Weihnachten / Ist mir doch egal / ich bin drei Karat / Kau-gummi-Automat."

Und wem das noch immer nicht hart genug ist, für den bleibt zur Austreibung der bösen Campino-Geister ja das derzeit im Netz herumgehende Mixtape "A Very Very Decent Christmas" von Wesley Pentz alias Diplo, dem manischen Beat- und Bass-Häcksler des internationalen Dance-Pop. "Jingle Bells" oder Tschaikowskis "Nussknacker" werden hier zerlegt und im Zeichen des großen, alles rettenden Bass wieder zusammengesetzt. Hell, yeah, nimm das, Santa!

© SZ vom 03.12.14/danl/rus
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