CDs der Woche - Popkolumne:Manchmal lohnt das Warten nicht

Nach 30 Jahren veröffentlicht Giorgio Moroder sein erstes Solo-Album, die erste Single offenbart aber noch Luft nach oben. Auch der "Tribute von Panem"-Soundtrack von Lorde versprach mehr, als er hält. Dann lieber ein Album, auf das man 1151 Tage gewartet hat.

Von Annett Scheffel

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Giorgio Moroder

74 Jahre alt, fühlt sich aber wie 24. Giorgio Moroder

Quelle: AFP

Wie ein großer Klumpen in digital aufgemotzten Siebziger-Neonfarben wurde uns am Montag die Nachricht der Woche vor die Füße geworfen: Disco-Legende Giorgio Moroder wird nach über 30 Jahren sein erstes Soloalbum veröffentlichen.

Und als wäre das nicht genug, kündigt er auch noch an, dass Britney Spears, Charli XCX, Sia und Kylie Minogue dabei sein werden. Oha! "Bei Dance Music", schreibt der Elektropionier in der Pressemitteilung zur ersten Single, "ist es völlig egal, ob man 74 oder 24 ist."

Toll, denkt man da, ich bin dabei! Der Song mit dem sportlich-gutgelaunten Titel "74 Is The New 24" entpuppt sich dann leider als schlimmer EDM-Schrott - trotz des vielversprechenden, dunkel pulsierenden Beats. Aber wir sind trotzdem gespannt, Signore Moroder, was Sie noch im Ärmel haben!

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Azealia Banks

1151 Tage sind seit dem YouTube-Hit "212" vergangen, jetzt ist das Album dazu erschienen.

Quelle: Prospect Park

Das Schönste und Wahnsinnigste aber was man in dieser Woche im Netz allerorts bestaunen durfte: Azealia Banks. Oder genauer: wie die New Yorker Rapperin sich freute, wie sie hämisch grinste auf den kreischend bunten Pressefotos, wie sie wunderbar zappelig und aufgekratzt durch Interviews polterte und übereifrig mit Schimpfwörtern um sich warf (schöner stänkert gerade nur noch Kumpel und Avantgarde-Troll Ariel Pink) und wie sie dann im Video "Chasing Time" rappend ihre Zunge rollte und vor lauter Übermut gleich noch in bester Lil' Kim-Manier ihre linke Brust (bis auf einen Glitzeraufkleber) freilegte.

Let the show begin! Diese Frau weiß, wie man sie abliefert. In diesem November ist mit "Broke With Expensive Taste" endlich das Album erschienen, mit dem niemand mehr gerechnet hatte. 1151 Tage - das hat das Webmagazin Spin ausgerechnet - waren seit ihrem millionenfach geklickten YouTube-Hit "212" (2011) vergangen.

Eine verflucht lange Zeit für eine 23-Jährige, die sie sich - so machte es zumindest den Anschein - mit Twittern und Label-Streitereien vertrieb. Nach der Trennung von Interscope im Sommer hat sie jetzt dem Drumrum-Ballast abgeworfen und zeigt mit der neuen Single "Ice Princess", was sie am besten kann:

Sie dreht und wendet sich in unerwartete Richtungen wie eine Schlange, beginnt den Song mit feinstem Street Rap-Wortspiel über klimpernder Elektronik, nur um uns dann einen kitschig-verwehten EMD-Poprefrain um die Ohren zu hauen. Was für eine Ansage!

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Herbert Grönemeyer

Zu "Dauernd Jetzt" lässt sich prima eine Wunderkerze schwenken.

Quelle: Grönland/Universal

Viel wird in diesen Wochen darüber gesprochen, wie wir Deutschen über Deutschland sprechen. Und darüber, wo es 25 Jahre nach dem Mauerfall denn nun eigentlich zu verorten, ja festzunageln wäre, das deutsche Wesen.

Aber doch viel lieber als sich selbst, befragt man da die Stimmen aus dem Radio - in Momenten der Sinnsuche lässt man sich ja gerne von warmen Melodien einlullen und bestenfalls springt noch das ein oder andere hilfreiche Zitat heraus.

Augen und Ohren also fest auf die deutsche Popmusik gerichtet, stößt man dieser Tage auf Herbert Grönemeyer, dessen neues Album "Dauernd Jetzt" (Grönland/Universal) am Freitag erscheint.

Diesen deutschen Mann (oder besser: Menschen), der immer eher Schmerzensmann war als uriges Sexsymbol. Wenn es nach ihm, nach seiner jüngsten Single "Morgen" und seinen vielen Millionen Fans geht - dann will der Deutsche vor allem eins:

Leiden, bangen, zu Tränen gerührt sein. Deswegen liegen bei Grönemeyer "die Sterne im Gewühl" und wird "der Weg zu mir irgendwann zu weit". Grönemeyer ist da, wo's richtig weh tut. Das kennen wir Deutschen, darin sind wir gut. Hauptsache, man kann eine Wunderkerze dazu schwenken.

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Lorde

Überwältigendes Künstler-Aufgebot, aber beinahe erschreckend schwaches Ergebnis.

Quelle: Republic (Universal Music)

Auf ganz andere Art und Weise angegriffen, geradezu bedrängt, fühlte man sich von einer anderen, eigentlich für kluge Songs bekannten Musikerin: Das 18-jährige neuseeländische Popwunderkind Ella Marija Lani Yelich-O'Connor alias Lorde.

Sie hat den Soundtrack zu "Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 1" kuratiert. Deren Einzelteile plätscherten in diesen Tagen häppchenweise ins Netz und sind im Hinblick auf das beeindruckende Staraufgebot ziemlich underwhelming, wie der Amerikaner sagt, das Gegenteil also von überwältigend.

Zu gradlinig gedacht, zu glatt etwa bleibt "Meltdown", eine Zusammenarbeit mit dem belgischen Produzenten Stromae, Haim und den Rappern Pusha T und Q-Tip. Unerträglich ist irgendwie auch das Gewimmer von Ariana Grande über Diplo-Beats in "All My Loving".

Richtig gut wird es eigentlich erst, wenn Lorde sich für "Yellow Flicker Beat" alleine, nur mit Klapperbeat und Synthesizer ausgestattet, in einen Raum einschließt. Dann flimmert wieder diese zarte Art-Pop-Magie auf, die schon durch die Stücke ihres Albums "Pure Heroine" geisterte.

Das Bemerkenswerteste an diesem Song: Selbst Kanye West weiß in seiner Überarbeitung "Flicker" nichts hinzuzufügen. Wenn das mal kein Omen ist!

© SZ vom 19.11.2014/danl/pak
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