CD-Kritik: Johnny Cash: "My Mothers Hymn Book":Es gibt ein Glück

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Fast 50 Jahre, nachdem Johnny Cash kein Gospelsänger mehr sein durfte, erscheint ein reines Gospelalbum vom großen Mann der amerikanischen Country-Musik. Fast ein Anachronismus. Doch schön in aller Einfachheit.

Udo Hoffmann

Jetzt ist es da - Johnny Cashs Gospelalbum. Aber: Was ist eigentlich Gospel? Ein Blick ins Wörterbuch:

Der geht er, der Prediger mit der Gitarre. Und ist sein Gang auch schwer und seine Gestalt düster, so meint er es doch gut mit dieser Welt. (Foto: Foto: Polydor)

Englisch Gospel: Evangelium, vermutliche Zusammenziehung der englischen Begriffe good spell (gute Nachricht). Eine Richtung der Geistlichen Musik, die in Amerika gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Seine Wurzeln liegen im Spiritual.

Es sind also religiöse Lieder. Und das ist insofern nicht seltsam, als Cash sich gerade in seinen letzten Lebensjahren wieder stark an seinem Glauben aufrichtete. 1955 (da war er 23 Jahre alt) machte sich Cash beim damaligen Sun-Chef Sam Phillips vorstellig. Er wies sich als Gospelsänger aus und gab auch gleich eine "Gute Nachricht" zum besten; Phillips jedoch war alles andere als begeistert.

Der unkommerzielle Gospel

Zu unkommerziell erschien ihm diese Musikrichtung, zu aussichtslos die Vermarktung eines jeden ihrer Vertreter, und er wollte Cash die Türe weisen, als der mit der Countrynummer "Hey Porter" nachlegte — Phillips schloss die Türe wieder, gab Cash einen Vertrag und dessen lange Karriere durch tiefe Schluchten und höchste Höhen konnte ihren Anfang nehmen.

Am 13. April 2004, fast 50 Jahre später, erscheint nun Cashs reines Gospelalbum: "My Mother's Hymn Book". Neu ist es nicht; es handelt sich um den vierten Teil der ursprünglich nur als Box erhältlichen Sammlung "Unearthed".

Mit dieser Sammlung gelang Johnny Cash in den neunziger Jahren sein Comeback. Bei der nun erfolgten Auskopplung handelt sich um 15 Stücke: Cash - allein mit seiner Gitarre. Mehr nicht.

Man mag über die Lied-Texte - sie stammen alle aus dem Gesangsbuch von Johnny Cashs Mutter, daher auch der Alben-Titel - denken was man will: Sie verbindet eine simple, tiefe Frömmigkeit, die der Seele gut tut, sofern man nur bereit ist, sich darauf einzulassen.

Der Geist dieser Lieder kann jedenfalls nicht besser vertont werden, als es Cash gelingt. Er machte die Aufnahmen für "My Mothers Hmy Book" 1994, und seine Stimme war da zwar noch kraftvoll, aber doch schon merklich von Altersbrüchigkeit durchzogen.

Die Sehnsucht ist spürbar

Man merkt dieser Stimme eine Sehnsucht an nach dem Paradies, das in den Gospeln oft besungen wird. Nach dem Land, in dem niemand alt wird. Doch es ist kein morbides Sehnen. Cash ist der ideale Interpret — hing er doch trotz all seiner Alkoholeskapaden am Leben, überwand Tiefs, Krankheiten und sogar das Mitleid der Musikbranche, als er Ende der 80'er Jahre zu einer bloßen Karikatur seiner selbst zu verkommen schien.

Auch heutzutage ist Gospelmusik sicher kein kommerzieller Kracher. Wäre diese Platte nicht von Cash, sondern von einem anderen, würde sie in den Regalen nicht beachtet und übersehen. Jetzt ist sie da — und wird vermutlich auch übersehen. Das wäre wirklich schade.

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