Cat Powers neues Album "Sun":Lieder aus dem Teufelskreis

Trinker, Liebeskranke, Verrückte - die Popgeschichte ist voll von ihnen. Eine dieser gebrochenen Seelen ist Folksängerin Chan Marshall alias Cat Power. Ihr großartiges neues Album heißt "Sun" und fährt direkt in Herz und Hüfte.

Thomas Bärnthaler

Ach, ihr gebrochenen Seelen, warum können wir nicht einmal genug kriegen von Euren traurigen Liedern? Die Popgeschichte ist voll von ihnen: Trinkern, Liebeskranken, Verrückten. Sie ragen heraus aus dem Meer der Mittelmäßigkeit und ihre Klage klingt so süß in unseren Ohren, weil sie uns daran erinnert, wie schwer und kompliziert das Leben sein kann. Und so lauschen wir ergriffen den Gebeutelten, am Rande stehend, und fühlen uns gleich ein wenig besser.

Cat Power

Das neue Album der US-amerikanischen Songschreiberin und Sängerin Cat Power ist die One-Girl-Show einer Frau, die Bilanz zieht und nicht erwachsen werden will.

(Foto: Stefano Giovannini)

Die amerikanische Songschreiberin Chan Marshall, die sich Cat Power nennt, kann ein paar überzeugende Lieder von diesem ewigen unausweichlichen Teufelskreis singen. Sie gilt als unberechenbar, schwierig. Sie war mit Folkrock-Genie und Obersonderling Bill Callahan zusammen. Ausgerechnet. Sie bricht gerne Konzerte ab oder befremdet ihr Publikum mit Fantasietänzen, sie raucht Kette, ist bekennende Trinkerin - Abstürze und Entzugsklinik inklusive. Doch sie machte ihren Weg.

Den ersten tastenden Indie-Folk-Alben in den 90-er Jahren folgten später eine Reihe umjubelter Werke, auf denen sie sich der Musik ihrer Kindheit bemächtigte: Sie spielte ein Album mit alten Musikern des Memphis Soul ein, coverte Billie Holiday, Hank Williams und, ja, James Brown. Sinatras "New York, New York" - sang sie so abgründig, dass einen fröstelte.

Aus dem verhuschten Nervenbündel war eine Entertainerin von eigenem Rang geworden. Sie gehörte plötzlich zum Club der coolen, hübschen Folksängerinnen, die in Modezeitschriften auftauchten und in der Werbung. Dabei hatte sie doch diesen Club gegründet. Der unvermeidliche Karl Lagerfeld fing dann auch noch an, sie zu hofieren, ließ sie gleich nach Paris einfliegen zu seinen Schauen und schickte ihr einen Strauß weißer Rosen auf die Konzertbühne.

Wong Kar-Wai gab ihr eine Rolle in "My Blueberry Nights" an der Seite von Jude Law. Die Hauptrolle ging an Norah Jones, deren Musik ein wenig wie Cat Power klingt, nur ohne die Risse, den Alkohol und die Zigaretten. Für den ganz großen Bahnhof scheint eine wie Chan Marshall auch nicht gemacht. Dafür ist ihr Wesen viel zu eigenbrötlerisch.

Alte Risse - aber mit ein wenig mehr Licht

Als David Letterman sie einmal in seine Late Night Show einlud, kämmte sie sich für ihren Auftritt die Haare wie ein Vorhang vors Gesicht. Jetzt hat sie ein neues Album aufgenommen, vier Jahre nach ihrem letzten. Es heißt "Sun". Es sind keine Coverversionen drauf, nur eigene Songs. Und anders als der Titel suggeriert, ist es auch wahrlich keine sonnige Platte geworden; die Risse sind noch immer spürbar, doch es scheint ein wenig Licht herein, das natürlich schon.

Es ist nach all den Beschwörungen alter Helden, den wechselnden Bandmitgliedern und privaten Irrungen, auch ein Zeugnis der Selbstermächtigung. Chan Marshall spielt nahezu alle Instrumente selbst. Und das fühlt sich erst einmal ganz anders an als auf ihrem letzten Album, das klang, als hätte man die Songs live in einer verrauchten Whiskey-Bar aufgenommen. Sehr nach Studio und Tüftelei, was sicher auch an Philippe Zdar liegt, dem Pariser Star-Produzenten, der eher aus der House- und Elektronikecke kommt und zum Beispiel der französischen Rockband Phoenix diesen direkten, druckvollen Power-Sound verpasst hat.

Wenn der wildeste Punker tröstend den Kopf streichelt

Er hat das Album abgemischt. Auf "Sun" gelingt ihm das besonders gut bei "Ruin", einer großartigen Generalabrechnung mit einer Welt, die aus den Fugen gerät. "What are we doing, we are sitting on a ruin" singt, beschwört, stottert Cat Power zu einer Art Discorock-Beat. Das fährt so direkt ins Herz und in die Hüfte, dass man denkt: Das könnte er werden, ihr erster Hit. Das gilt auch für "Cherokee", das erste Stück auf dem Album, das so müde losgeht und sich dann zu einem fulminanten Refrain hochschwingt.

"Bury me, marry me to the sky, Cherokee kissame when I'm on my way down". Da merkt man schon: Die Todessehnsucht ist nicht verschwunden, sie flüchtet sich nur in eine Art Privat-Schamanismus, der sich den Indianern ebenso seelenverwandt fühlt wie den Pharaonen Ägyptens. Das zumindest deuten die Hyroglyphen an, die das Cover zieren. Im Chor prägender weiblicher Künstlerinnen, die in den letzten Jahren von sich reden machten, ist Marshall eine Stimme, deren Schönheit sich erst beim zweiten Hören erschließt.

Anders als zum Beispiel Leslie Feist, die trällern und jubilieren kann, und auch mal schreit. Oder eben Norah Jones, deren Stimme stark und jazz- und soulgeschult ist. Marshalls Gesang ist eher ein Hauchen, manchmal ein Raunen, gelegentlich ein Krächzen, was ihr etwas Geheimnisvolles und Dunkles verleiht. Auf "Sun" wird diese Stimme zum Instrument und Effektmittel, wird gedoppelt und zu sirenenhaften Chören aufgetürmt, verfremdet und verzerrt. Das ist erstmal ungewohnt, geht aber doch erstaunlich gut auf. Überhaupt vertragen sich die elektronischen Spielereien, die Maschinenbeats, die Synthies, die den Sound des Albums prägen, ganz wunderbar mit der Chan Marshall, die früher am liebsten allein am Piano saß.

Es ist eine One-Girl-Show einer Frau, die Bilanz zieht, die nicht erwachsen werden will, die mit ihren Dämonen kämpft, gescheiterte Lieben besingt und uns teilhaben lässt an ihrem Kopfkino und ihren Ängsten. Dabei aber nicht versäumt, den Jüngeren ein Paar aufsässige Zeilen zuzuwerfen: "You gotta a right to scream, when they don't want you to speak", ruft sie in "Human Being". Und in "Nothing but time" heißt es: "Your world is just beginning, / it's up to you / it's just time". Das streift manchmal das Altväterliche, zumal das Stück über 10 Minuten dauert und ab Minute fünf Iggy Pop mit seiner Grabesstimme von der Seite hereinspaziert.

Das ist natürlich ein lustiger Insidergag, wenn einem der wildeste Punker aller Zeiten tröstend über den Kopf streichelt. Aber mehr auch nicht. Und doch ist dieser Folksängerin Cat Power wieder eimal ein ganz großartiges Album gelungen, eine verführerische Formel aus Introspektion und Rock & Roll, Folk und Elektronik, Klage und Weisheit. Ein Album, das all jenen, die in ihr nur die verlorene Seele sehen, die sich selbst zerstört, um singen zu können, zuruft: Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Ich komm schon klar.

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