Casting-Star Susan Boyle:Glaube niemals an Erfolg

Ruhm, Erfolg, Geld: Susan Boyle verkauft CDs wie niemand sonst - und darf nicht zu den Brit Awards. Ein Aschenputtel und seine Stimme.

Helmut Mauró

Im vergangenen Jahr war sie es, die in Großbritannien das meistverkaufte Album abgeliefert hatte. Susan Boyles Titelsong "I Dreamed a Dream" wurde über Nacht zur sanften Revolutionshymne aller Unterprivilegierten - die Zweitplatzierte der Casting-Show "Britain's Got Talent" bewegte die Welt. Auch Prince William hat sich den Song dieser "bemerkenswerten Frau" auf seinen iPod geladen. Und jetzt, da die renommierten Brit Awards anstehen, bei denen die Plattenlabels sich und ihre Pop-Ikonen feiern? Ist sie wieder nicht dabei. Obwohl Lady Gaga mit ihr performen will und 50 Cent sie großartig findet bzw. "so geil".

Casting-Star Susan Boyle: Susan Boyle darf nicht erfolgreich sein, sondern soll als Loser gefeiert werden und muss dafür Loser bleiben.

Susan Boyle darf nicht erfolgreich sein, sondern soll als Loser gefeiert werden und muss dafür Loser bleiben.

(Foto: Foto: getty)

Keine Nominierung für die arbeitslose Susan Boyle aus Schottland mit dem virtuosen Zwerchfellvibrato, nicht einmal für die Liste "Beste Künstlerin" - in Fachkreisen die lächerlichste aller 14 Kategorien. Warum? Kann sie nicht performen? Kann sie nicht singen? Auf einem der älteren Videomitschnitte sieht man die 22-Jährige auf der Bühne ihres Gemeindezentrums, die weiße Bluse kurzärmelig, der beige Rock weit übers Knie.

Beinahe schlank war sie damals, und soweit man das durch die Wand aus Nebengeräuschen, E-Gitarre und Home-Synthie hindurch hören kann, hatte sie auch vor 25 Jahren schon eine robuste und intonationssichere Stimme und eine angenehme Festigkeit in der Intonation. Und: Sie wollte auffallen, ihr musikalisches Talent zeigen - sie wollte auch als Frau gefallen.

Während sie anfangs nur hin und wieder nach rechts blinzelt, wo die kleine Videokamera aufgebaut ist, rafft sie zum Höhepunkt des Liedes all ihren Mut zusammen und singt den Rest frontal in die Kamera. Es ist ein balladenartiger und aus dem fröhlichen Mund der jungen Susan Boyle nahezu optimistisch klingender Heimatblues mit vielen kleinen Verzierungen in der Melodie. Susan Boyle fügt noch eine Art Hammondorgel-Vibrato ein - ihr ganz persönlicher Gefühlsbeitrag für dieses warme nachbarliche Zusammensein.

Die Höhe kommt schneidend, entschlossen, gefährlich scharf. In der Vorstadt-Gemütlichkeit schlummert schon Monströses, aus der weißen Spitzenbluse lugt schon der Vamp. Ihr freundlicher und zugleich auffordernder Blick sagt: Ich habe alles gegeben, mein Innerstes, meine Stimme - jetzt komm du her und hol mich heraus aus diesem Elend. Sogar der anvisierte Blues löst sich nun auf in ein potentiell unwiderstehliches, schlichtes G-Dur, lustig wimmernd auf dem Home-Synthie und einer doch zunehmend nerviger werdenden E-Gitarre.

Die wenigen Töne aber, die Susan Boyle zuvor noch aushaucht, sie liegen nicht auf der G-Dur-Skala und stützen schon gar nicht den Basisdreiklang. Nein, es sind leicht abweichende, entfremdete Töne, exotisches musikalisches Fallobst, das auf die prallroten Gesichter der Kirchengemeinde im Saale pollert. Es ist Susan Boyles früher und nicht mehr ganz stiller Protest, eine Mischung aus Mut zum Risiko, Selbstentblößung und unbedingtem Erfolgswillen. Wenn man diese Bilder sieht, wird einem sofort klar: Diese Frau kommt eines Tages zurück auf die Bühne, wenn nicht bald ein Traumprinz auftaucht, oder sie jagt das ganze Showgeschäft in die Luft.

"Now life has killed the dream I dreamed"

Der Prinz kam nie, und das Showgeschäft lief weiter wie gewohnt, verlagerte sich allerdings zunehmend aus Konzerthallen und Plattenstudios ins Fernsehen. Und dort hatten auch Leute eine Chance, die immer ausgeschlossen waren aus den Tempeln des Glamour und des Pop. Die immer nur andere anhimmeln durften. Nun durften sie sich gegenseitig feiern und wurden von professionellen Pop-Jurys ernst genommen. Wer gar nichts konnte, der wurde zwar öffentlich zur Schlachtbank geführt, und auch dies war für die anderen ein großer Spaß, aber wer nur irgendetwas zu bieten hatte, der konnte mit dem Schönsten rechnen: Ruhm, Erfolg, Geld, Liebesbriefe.

Das Schwierige daran: Man darf nicht an diesen Erfolg glauben, sonst hat man seine Glaubwürdigkeit bei den Fans schon verspielt. Man darf nicht erfolgreich sein, sondern soll als Loser gefeiert werden und muss dafür Loser bleiben. Der tiefer gelegte Vauxhall Viva ist bei den Fans gefragt, nicht der Rolls Royce. Keine schottische Netrebko wollen die Fans hören, sondern tatsächlich die Susan aus dem Plattenbau nebenan. Wie sie die Traumhits aus den Traummusicals trällert - ein ganzes Genre, das eigens dafür erfunden wurde. Musical und Plastikland - auch Susan Boyle hat ihre größten Erfolge - neben weniger glaubwürdigen Coverversionen von "Daydream Believer" oder "Amazing Grace" - mit Musical-Schlagern wie dem Smash-Hit "I Dreamed a Dream" aus "Les Misérables".

Sanft gleitet der Bass nach unten, kreiselt fast wie im Ohrwurmkanon von Pachelbel, dazu kommt eine hart gezupfte Akustikgitarre, schließlich Susans Gesang mit Versen, die jemand mit beiden Händen aus dem Leben gegriffen hat. "No song unsung, no wine untasted." Im achten Vers greift ihre Stimme aus in ein breites, blechernes "ä" auf dem Wort "paid". "There was no ransom to be paid", heißt die komplette Zeile - es musste kein Lösegeld bezahlt werden. Der Traum war wohlfeil, und in der letzten Liedzeile bricht ihre Stimme schließlich: "Now life has killed the dream I dreamed". Innerlich fest, soweit das für ein armes kleines Mädchen machbar ist - nur äußerlich angekratzt von bösen Buben. Aber da senkt sich schon der Gleichmut des ruhig halbkreisenden Pachelbel-Basses über das geschundene Antlitz.

Wenige Wochen später eröffnet Susan Boyle das Finale der US-Schwester-Show "America's Got Talent". Dort geht die Sache nicht so gut aus: Eine Kandidatin, die den Brustkrebs überlebt hat, unterliegt am Ende einem arbeitslosen Hühnerzüchter.

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