Casting-Star Paul Potts:Wer ist eigentlich Paul?

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Vom Handyverkäufer zum Hoffnungsträger: Casting-Tenor Paul Potts' Auftritt wird auch in Köln perfekt inszeniert - doch seine Leistung lässt zu wünschen übrig.

Matthias Lüdecke

In der 18 000 Zuschauer fassenden Kölner Lanxess-Arena hängen große Fernseher im Foyer, die künftige Veranstaltungen ankündigen. Auf ein Spiel der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft wird ebenso hingewiesen wie auf die "Große NDW-Show".

Der es allen zeigt: Paul Potts. (Foto: Foto: ap)

Und immer wieder ist ein Telekom-Werbespot zu sehen, der im vergangenen Sommer in den deutschen Werbeblöcken zu sehen war und der nicht direkt eine Veranstaltung ankündigt, sondern eine Geschichte erzählt. Die Geschichte des britischen Tenors Paul Potts.

Im Sommer 2007 stellte sich dieser Paul Potts, pummelig, schüchtern und beim Lächeln sorgsam darauf bedacht, die schlechten Zähne zu verstecken, in einem billigen Anzug vor die Jury der englischen Castingshow "Britain's Got Talent". Und auf die Frage, weshalb er gekommen sei, antwortete er verschämt: "to sing opera". Die Jury verdrehte die Augen. Hier war jemand im Begriff sich kräftig zu blamieren, und vom Herunterputzen von Freaks und Außenseitern leben solche Sendungen.

Nun, etwas über ein Jahr später, steht in der Lanxess-Arena ein einsamer Mikrophonständer vor einem schwarzen Vorhang. Dieser Mikrophonständer gehört Paul Potts. Denn es kam damals anders. Potts sang "Nessun Dorma" aus Puccinis Oper "Turandot". Die Jury guckte nicht mehr schadenfroh, sondern fasziniert, Jurorin Amanda Holden standen die Tränen in den Augen, und die 2000 Zuschauer im Studio flippten aus.

Denn dieser Außenseiter, nach mehreren Schicksalsschlägen inzwischen als Handyverkäufer angestellt, konnte das Lied tatsächlich singen. Nicht meisterhaft, aber immerhin sauber intoniert und mit einer gewissen Emotionalität.

Perfekte Inszenierung

Der Rest ist Legende. Die Geschichte vom singenden Handyverkäufer, verbreitete sich, dem Videoportal Youtube sei Dank, schnell. Der Erfolg des Tenors war dabei von Anfang an das Produkt einer perfekten Inszenierung. Paul Potts, so der Mythos, ist der Außenseiter, der es geschafft hat, der als Kind wegen seines Aussehens gehänselt wurde, Krebs bekam, hoch verschuldet war und seinen Traum von der Musik doch nie aufgab.

Dass er verschuldet war, weil er nach seinem ersten gewonnenen Talentwettbewerb nach Italien reiste, dort Gesangsunterricht nahm, in einer Masterclass vor Pavarotti sang und dabei das Budget überzog, wurde in der offiziellen Darstellung entweder verschwiegen oder mit tränenrührigen ausgeschmückt.

Er wurde zum Symbol dafür gemacht, dass es jeder schaffen kann. Es war seine rührende Geschichte und nicht so sehr die musikalische Qualität, die die Platten verkaufte. An diese Geschichte erinnert auch der Telekom-Spot immer und immer wieder - bis in die Konzerthalle hinein.

Und dort fällt dann, um zehn nach acht, der schwarze Vorhang und der Künstler Paul Potts steht auf der Bühne. Der Anzug ist teuer und sitzt, die Zähne sind inzwischen strahlend weiß überkront und wirken ein bisschen zu groß. Nur die Haltung ist gleich geblieben. Potts bewegt sich immer noch kaum, guckt dafür aber umso beseelter.

Er ist auch nicht gekommen um "Oper zu singen". Er arbeitet sich durch ein Programm, in dem nur ein Lied - das als Zugabe frenetisch gefeierte "Nessun Dorma" - tatsächlich einer Oper entstammt. Der Rest sind schnulzige, manchmal ins Italienische übersetzen Pop- oder Filmsongs, Musical- und Operettennummern, "O Sole Mio" und "Time To Say Goodbye" sowie, immerhin, Schuberts "Ave Maria".

Kaum mittelmäßig

Um auf eine anständige Konzertlänge zu kommen, erzählt er in ausgedehnten Ansagen immer wieder Geschichten darüber, wie sehr er schon immer die Musik geliebt hat und holt zweimal Elizabeth Marvelly auf die Bühne, eine junge Sängerin aus Neuseeland mit erschreckend dünner Stimme, deren Lieder an Beiträge beim Eurovision Song Contest erinnern.

Aber auch Potts ist limitiert. Er intoniert zwar sauber und entwickelt in den Mittellagen oft einen schönen, weichen Klang. In den Höhen hat er jedoch Probleme. Die nimmt er entweder mit einer zu starken Tendenz ins Falsett oder er presst sie heraus. Sein größtes Manko aber ist, dass er nur eine Stimmfarbe besitzt und dadurch keinen Erzählbogen in einem Lied entwickeln kann. Stattdessen zerdehnt er die Melodielinien in einem schleppenden Legato und überbetont den Text, wohl, um zu kaschieren, dass er eigentlich schlecht artikuliert.

Technisch ist er also kaum mittelmäßig. Und doch kommen 10 000 Zuschauer. Wirklich nah kommen ihm die meisten nicht. Vom Oberrang aus sieht man höchstens ein kleines Männchen, selbst wenn er eine Mimik hätte, könnte man sie nicht sehen. Viele sehen deshalb gar nicht herunter zur Bühne, sondern nur hinauf zum Videowürfel.

Immerhin ist die Akustik erstaunlich, zumal auf der Bühne nur ein paar Musiker sitzen. Der überwiegende Teil der Instrumentalbegleitung kommt vom Band. Auch das Orchester wird größer gemacht, als es eigentlich ist - eigentlich ein schönes Symbol für Potts ganze Karriere ist.

Denn wenn seine Geschichte sich einmal abgenutzt haben wird, wird eben nur noch ein bestenfalls durchschnittlicher Tenor bleiben. Potts wird wieder verschwinden, reich immerhin und mit der Erinnerung an den Traum, den er kurz leben durfte - das Schicksal fast aller Castingshow-Gewinner. Einen nächsten Sieger gibt es immer. Den Telekom-Spot sieht man übrigens außerhalb der Lanxess-Arena schon deutlich seltener.

© SZ vom 5.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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