Carl Carlton:Rock ist Klassik geworden

Carl Carlton: Spielt auf Tour das große Erbe des Pop: Carl Carlton.

Spielt auf Tour das große Erbe des Pop: Carl Carlton.

(Foto: Moritz Künster)

Der Gitarrist spricht über Coverversionen, die Musikgeschichte und warum man die Rolling Stones nicht nachspielen kann.

Interview von Andrian Kreye

Der in Ostfriesland geborene Gitarrist Carl Carlton ist eine transatlantische Schlüsselfigur des Rock. In den USA spielte er für Willy DeVille und Robert Palmer. In Deutschland kennt man ihn als Musiker und Produzenten von Künstlern wie Udo Lindenberg, Peter Maffay und Marius Müller-Westernhagen.

Mit seiner Band spielt er neben eigenen Songs viele Coverversionen, zu denen er Geschichten erzählt. Ein Live-Album der letzten Tour "Woodstock & Wonderland" (Staages) ist vergangene Woche erschienen. Derzeit tourt er mit dem Programm "From Tobacco Road to Graceland".

SZ: Früher hat man Coverversionen höchstens mal als Zugabe gespielt.

Carl Carlton: Das hat sich geändert. Rockmusik ist so etwas wie eine eigene klassische Musik geworden. Das Repertoire ist inzwischen fast so groß und unerschöpflich wie in der Klassik. Deswegen wird auch immer mehr gecovert. Selbst Stars machen ganze Alben so - Bryan Ferry mit Dylan-Songs, Dylan mit Sinatra-Songs.

Warum haben Sie bei der letzten Tour vor allem Songs aus der Woodstock-Zeit gespielt, aus den Sechzigerjahren?

Das kam aus meiner Freundschaft mit Levon Helm, mit dem ich in Woodstock gearbeitet habe. Seine Gruppe The Band war für mich die Initialzündung. 1969 war ich 14 und habe im Kino "Easy Rider" gesehen. Da gibt es diese Szene, in der "The Weight" von The Band läuft. Das durchzuckte mich wie ein Blitz. Irgendwann habe ich mir gedacht, Mann, diese Zeit war so wichtig für die Entwicklung der Popmusik, und viele kennen das gar nicht mehr.

Klingt pädagogisch.

Ja klar. Das ist unser Erbe. Das gibt man weiter. So wie mir mein Opa gezeigt hat, wie man einen Hammer hält und Nägel einschlägt, so mach' ich das mit der Popkultur.

In der klassischen Musik gibt es das Repertoire, im Jazz das Great American Songbook und das Realbook. Ist Rockmusik nicht eher ein Autorengenre?

Von den späten Sechziger- bis in die Neunzigerjahre war das sicher so. Aber die Beatles und die Stones haben auf ihren ersten Alben ja auch noch gecovert.

Wobei die ihren eigenen Stil hatten.

Klar. Bleibt die Frage, ob sie es halt nicht anders konnten, weil sie handwerklich eingeschränkt waren. Oder ob sie unbedingt ihren eigenen Stil reinbringen wollten. Da müsste man sie wohl selbst fragen.

Und heute?

Ist das anders. Als Bryan Ferry ein ganzes Album mit Dylan-Cover einspielte, war außer den Texten kaum noch was wiederzuerkennen. Neu ist das nicht. Die Bluesmusiker haben das früher auch gemacht. Allerdings nicht, weil sie sich gegenseitig so toll fanden. Denen hat eben mal ein Song gefallen, dann haben sie ihren eigenen Text darauf gedichtet. Das war Musik, die jeder für sich interpretieren konnte.

Wie gehen Sie an Interpretationen ran?

Im Idealfall findet man sich im Kopf des Songschreibers wieder. Und man sucht sich erst mal die richtige Fassung. Wir spielen zum Beispiel "Little Sister", das Doc Pomus für Elvis geschrieben hat. Dessen Version finde ich aber so mittel. Die von Ry Cooder dagegen, da lerne ich was, das bringt mich musikalisch weiter. Das spiele ich so lange, bis ich das verinnerlicht habe und das mein eigener Song werden kann.

Funktioniert das immer?

Nein. Wir spielen auch "Strange Fruit" von Billie Holiday, diesen düsteren Song über die Lynchmorde. In der Version von 1956 ist das wie ein Jackson-Pollock-Gemälde. Würde man ja auch nicht nachmalen. Wäre Quatsch. Also bin ich gezwungen, entlang der Harmonien etwas Eigenes zu finden.

Verändern Sie da viel?

Einerseits ja. Aber manchen Songs gehört sogar eine bestimmte Tonart. Wenn du das nur einen Halbton tiefer spielst, funktioniert es nicht mehr. Tonarten sind wie Farbfilter. G ist eher fröhlich, E ist eher melancholisch. Ein Blues von John Lee Hooker in A geht gar nicht. Das geht nur in E.

Gibt es auch Songs, die Sie nicht covern würden?

Ja. Die von den Stones zum Beispiel, oder von Free. Bei "Alright Now" kannst du nur eingehen. Solche Songs sind eben doch mit den Interpreten verbunden. Da wäre man dann wirklich nur eine Coverband, so wie damals, als wir in den Sechzigern in Ostfriesland zu Wilken Johanns in die Scheune zum Tanz gegangen sind. Die haben die Top 40 nachgespielt, weil es noch keine DJs gab. Das waren lebende Jukeboxes.

Carl Carlton: "From Tobacco Road to Graceland", 24.3. Erfurt, 25.3. Dortmund, 26.3. Frankfurt, 28.3. München, 29.3. Aschaffenburg, 31.3. Bremen.

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