Carl Amery ist tot:Der Rebell, Sprachspieler und Aufklärer

Die Grünen haben einen ihrer Gründerväter verloren, die Welt den Schriftsteller, Links-Katholik, bayerischen Weltbürger und ökologischen Vordenker.

Harald Eggebrecht

Vor einigen Wochen noch saß er in Berlin auf dem Podium, als die Grünen ihr fünfundzwanzigjähriges Bestehen feierten. Gewiss, er war körperlich schon geschwächt, aber in der Analyse und Attacke so klar, frisch und unmissverständlich wie stets. Und so ermahnte Carl Amery, der einst die Grünen mitbegründet hatte, die Partei auf seine unnachahmliche Art, bayerisch, leidenschaftlich und eindringlich: Die Grünen müssten grundsätzlich neu und nach vorne denken, sich keineswegs auf ihren Gewissheiten und Erfolgen ausruhen, sich intellektuell also erneuern, weil der Globus weiterhin mehr denn je bedroht sei. Wie erst gestrigen Montag bekannt wurde, starb Carl Amery schon am 24. Mai.

Carl Amery

Carl Amery, 1922-2005

(Foto: Foto: dpa)

Carl Amery, der eigentlich Christian Anton Mayer hieß, kam am 9. April in München zur Welt, wuchs in Bischofsstädten wie Passau und Freising auf. Ein Jahr nach seinem Abitur 1940 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. 1943 geriet er in amerikanische Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung 1946 studierte er in München und an der Catholic University of America in Washington Literaturwissenschaften.

Seit 1950 arbeitete er als Schriftsteller, debütierte mit dem Roman "Der Wettbewerb". Im Jahr 1954 spießte et in "Die große Tour" 1958 sarkastisch und bissig die Adenauerzeit auf. Amery wurde zur Gruppe 47 eingeladen. Seine essayistischen Abrechnungen mit dem Katholizismus und Christentum in den sechziger und siebziger Jahren - "Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute" 1963, "Das Ende der Vorsehung" 1972 - brachten ihm den Titel "Linkskatholik" ein, aber Carl Amery hat zeitlebens solche Abstempelungen abgelehnt. Zu dieser Zeit war er längst einer der wichtigsten Streiter für eine ökologische Politik geworden. Wegen Helmut Schmidts die konventionellen Industrien bevorzugender Politik trat er aus der SPD aus und wurde zu einem der Gründerväter der Grünen.

Amery leitete zwei Jahre die städtischen Bibliotheken in München, war sowohl Vorsitzender des Schriftstellerverbandes wie während der Wendezeit bis 1991 Präsident des bundesdeutschen PEN-Zentrums. Wer ihn kennenlernte, war sofort vom urbayerischen Charme dieses Sprachspielers ebenso fasziniert wie von seiner aufklärerischen Leidenschaft und politisch-philosophischen Weitsicht. Als ökologischer Denker blieb er grundsätzlich ein Radikaler angesichts der immer weiter fortschreitenden Verwüstung der Erde, der sich mit seinem Lebensthema wissenschaftlich und literarisch auseinandersetzte auf der Suche nach einer Kultur der Ökologie. Als letztes Buch erschienen gerade die von ihm herausgegebenen "Briefe an den Reichtum". Darin heißt es einfach und treffend: "Die Absicht . . . ist schlicht Aufklärung".

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