"Captain America - The First Avenger" im Kino:Superheld für Nerds

Ein supermuskulöser, superschneller und superstarker Supersoldat, der die Welt retten muss: Hinter der Maske des "Captain America" kämpft Chris Evans gegen den fiesen Schurken Red Skull: ein Typ, mieser als ein Nazi. Was für ein perfekter Gegner.

Jan Füchtjohann

Wie so oft war es ein Richter, der am Ende die gültige Definition lieferte. Im Jahr 1940 musste Judge Learned Hand eine Klage von DC Comics gegen Bruns Publications entscheiden, bei der es darum ging, ob Wonder Woman eine Kopie von Superman sei.

Themendienst Kino: Captain America: The First Avenger

Amerikas Superheld "Captain America" hat 70 Jahre lang geschlafen. Eine Zeit, in der auch die USA zum Rüpel mutierte.

(Foto: dapd)

Der Richter stellte erst einmal klar, was das Wesen von Superhelden ausmacht: "Sie sind heldenhafte Charaktere mit einer selbstlosen, sozialen Mission; sie haben außergewöhnliche Fähigkeiten, verfügen über fortgeschrittene Technologien oder hoch entwickelte körperliche, geistige oder mystische Kräfte. Viele haben darüber hinaus zwei Identitäten: Als Superhelden tragen sie einen Codenamen und ein ikonisches Kostüm, ansonsten treten sie zumeist heimlich als normale Bürger auf."

Besser kann man es kaum zusammenfassen. Nur - warum regieren diese seltsamen Wesen seit Beginn der Nullerjahre wieder so unangefochten die Kinokassen? Viele Jahrzehnte lang spielten Superhelden bloß eine untergeordnete Rolle, traten vereinzelt in Kinderfilmen, Trash und billigen Fernsehkomödien auf. Ende der siebziger Jahre nahm das Genre langsam Fahrt auf, es entstanden erste Großproduktionen, die sich dann zu immer gewaltigeren Franchise-Unternehmungen auswuchsen.

Mit ihren ikonischen Kostümen und prägnanten Namen funktionieren Batman, Superman und Spiderman exakt wie Coca-Cola - als leicht identifizierbare, gut eingeführte und daher wertvolle Marken. Die Comic-Subkultur, aus der sie stammen, liefert zudem die perfekten Marken-Botschafter: enthusiastische, junge, zumeist männliche Nerds, die jeden kleinen Hinweis sofort aufgreifen und umsonst über das Internet verbreiten - die perfekte Kernzielgruppe für einen Blockbuster. Aber auch das sagt im Grunde wenig: Denn warum mögen Nerds Superhelden? Und wieso folgen ihnen Millionen andere in die Kinos?

Der jetzt anlaufende "Captain America - The First Avenger" liefert, zumindest auf den ersten Blick, eine Erklärung. Wie Superman, Wonder Woman und Batman wurde auch Captain America vor über 70 Jahren erfunden, im "Goldenen Zeitalter" des Comics. Der Film führt uns sehr schnell in diese Zeit zurück: in die turbulenten Tage nach dem Angriff auf Pearl Harbor, als Amerika in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Und in die dunklen Gassen von Brooklyn während der Wirtschaftskrise, in denen der Held Steve Rogers groß wurde.

Allerdings nicht sehr groß. Steve Rogers (Chris Evans) ist noch immer extrem schmächtig und weiß daher, wie es sich anfühlt, der Schwächere zu sein, der von Größeren überfallen wird. Darum will er auch Soldat werden und Europa von den Nazis befreien. Doch er wird fünfmal ausgemustert: zu klein, zu mager, zu asthmatisch, schönen Tag noch. Er probiert es sofort wieder - unter anderem Namen.

Schmächtiger junger Mann mit dem Herzen eines Löwen

Genau das hat der vor den Nazis geflohene jüdische Forscher (Stanley Tucci) gesucht: einen schmächtigen jungen Mann mit dem Herzen eines Löwen. Einer, der sich auch dann noch für die Schwachen interessiert, wenn er selbst mal groß und stark ist. In einem geheimen Militär-Experiment legt er Steve auf eine Art riesige Sonnenbank, die ihn in einen supermuskulösen, -schnellen und -starken Supersoldaten verwandelt: Captain America.

Dessen Antithese ist der Übernazi-Übermensch Johann Schmidt (Hugo Weaving). Er leitet "Hydra", eine SS-Forschungsgruppe für Paranormales, und hegt als Ein-Mann-Achse-des-Bösen noch deutlich fiesere Pläne als der vergleichsweise handzahme Hitler. Während sich hinter der Maske von Captain America der kleine nette Steve verbirgt, steckt hinter der menschlichen Maske von Schmidt bloß ein blutroter Totenschädel - der Superschurke Red Skull.

Rachephantasie im Superhelden

Tatsächlich waren viele der Erfinder von Superhelden jüdischer Herkunft, wie 2009 eine Ausstellung in Los Angeles gezeigt hat. Jeder Küchenpsychologe versteht dabei sofort: Aha, im Superhelden erfüllen sich die Ohnmächtigen und Schwachen also ihre geheimen Wünsche. Darum steckt in ihnen so viel Moral - und zugleich auch ein bisschen Rache- und Großmachtphantasie.

Auf der Hand liegt auch, warum diese Wunscherfüllung heute wieder nötig ist. (Die Zeitschrift Kritische Berichte widmet den Superhelden eine komplette, sehr lesenswerte Ausgabe, erschienen im Jonas Verlag, Marburg 2011, 12 Euro). Denn auch das Leben im frühen 21. Jahrhundert war bislang eine einzige große Depression, in der auf die Dotcom- mit kurzer Unterbrechung die Banken-, dann die Finanz-, die Wirtschafts- und schließlich die Staatsschulden-Krise folgten.

Dazu hat Amerika am 11. September 2001 ein neues Pearl Harbor erlebt und daraufhin ziemlich unübersichtliche Kriege begonnen. Also her mit einem neuen Captain America. Her mit einem moralisch eindeutigen Gegner: Ein Typ, der mieser ist als die Nazis? Perfekt.

Nur leider ist es nicht ganz so einfach. Denn "Captain America - The First Avenger" erzählt auch eine andere Geschichte - durch Auslassung. Am Ende des Films steuert der Held die große, vom Schurken eigentlich für New York bestimmte Bombe ins ewige Eis. Er stürzt dort gemeinsam mit ihr ab und fällt in einen langen Tiefkühlschlaf - bis heute.

Das ist eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber den Comics. Denn dort dauerte seine Müdigkeit nur bis 1964: Captain America erwacht, während die amerikanischen Schwarzen um ihre Bürgerrechte kämpfen, der Vietnamkrieg eskaliert und als das politische System langsam auf Watergate zusteuert. Er leidet unter posttraumatischem Stress, versucht vergeblich, Frieden zu stiften, entwickelt ein soziales Bewusstsein, kämpft gegen eine Nixon-Verschwörung und verzweifelt: "Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, diese Fahne und dieses Gesetz zu verteidigen! Vielleicht hätte ich weniger kämpfen und mehr Fragen stellen sollen!"

Nationalheld als gebrochene Figur

In immer neuen Geschichten zeigt sich der frühere Nationalheld als gebrochene Figur, die an sich selbst und ihrem Land leidet. Zwischenzeitlich wechselt er seine Identität und wird zum vaterlandslosen Nomaden, schwört der Regierung ab ("Ich bin gegenüber gar nichts loyal ... außer dem amerikanischen Traum") und wird von Bill Clinton des Landes verwiesen. 2003 war sich das rechts-konservative Magazin National Review dann nicht einmal mehr zu schade, die Comic-Figur als antiamerikanischen "Verräter" und Terroristenfreund zu beschimpfen.

Im Film sind alle Zweifel, alle Zerrissenheit ausgeblendet, stattdessen gibt es eine konservative Rückbesinnung auf jene Zeit, in der Amerika noch gut und der Captain ein strahlender Held war. Schaut man jedoch genauer hin, bleiben die düsteren Jahre bewahrt: Denn der Supersoldat, der Rüpel hasst, hat siebzig Jahre geschlafen. Die Botschaft ist klar: In dieser Zeit war auch Amerika ein Rüpel - Mitgefühl und Gewissen sind eingeschlafen.

So scheitert der Versuch, alle Brüche zu kitten. Allein der Wunsch danach macht diesen Film jedoch bestenfalls mittelmäßig. Denn wirklich interessant wurde es in den letzten Jahren immer nur dann, wenn auch die dunklen Seiten des Superhelden ausgelotet wurden.

Das geschah besonders prominent bei Batman. In Frank Millers und Alan Moores Graphic Novels der 80er Jahre sowie in den Filmen von Tim Burton und Christopher Nolan offenbarten sich dessen seelische Abgründe und Psychosen. Batman erschien als Traumatisierter, der als Kind zusehen musste, wie seine Eltern ermordet wurden.

Seitdem ist er auf einem persönlichen Rachefeldzug gegen das Verbrechen und verkörpert dabei weniger das Gesetz als die Vergeltung. Dabei nähern sich Held und Schurke immer mehr an, bis sie beinahe ununterscheidbar werden. In zunehmend brutalen und apokalyptischen Kämpfen wird Gotham City immer mehr zur Stadt im Ausnahmezustand, in der alle Bemühungen um Zivilisation gescheitert sind.

So sind also Superhelden keine Cowboys mehr. Von Odysseus bis zu John Wayne war der Held immer derjenige, der kein Zuhause hatte oder nur über Umwege zu ihm zurückfand. Seine Abenteuer fanden immer jenseits der Grenze statt, in der gesetzlosen Wildnis. Doch solche offenen Räume schwinden in der Moderne: Bald waren alle Meere kartographiert, alle Berge bestiegen und alle Wüsten durchquert. Der klassische Held, der Gesetz und Ordnung an Orte bringt, wo noch der rohe Naturzustand herrscht, wurde langsam, aber sicher arbeitslos.

Dagegen lebt der Superheld fast immer in der Großstadt. Anstatt das Gesetz zu bringen, hält er es aufrecht - wenn die Exekutive versagt. Allerdings fliegt er über dem Gesetz, so wie sich die Schurken darunter verstecken, in seinen Lücken und Nischen. Dabei wird immer klarer, dass auch der Held im Grunde ein Fremdkörper ist. In einer postheroischen Welt, in der Muskelkraft weitgehend nutzlos geworden ist und durch Maschinen ersetzt wurde, ist er mit seinem technisch, genetisch oder außerweltlich optimierten Körper irgendwie fehl am Platz. Darum leben Superhelden als Ausgestoßene, die sich permanent maskieren, was ein Film wie Pixars "The Incredibles" dann ironisiert und auf die Spitze treibt.

Um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, tragen sie eine unauffällige Alltagsgarderobe, für ihre außerordentlichen Taten haben sie darunter ihr Heldenkostüm. Beides sind Verkleidungen, ein Dauerkarneval, denn sie selbst sind weder das eine noch das andere - sondern die zerrissene Persönlichkeit hinter der Maskerade. Wirklich Paroli bieten ihnen eigentlich nur die Superschurken, mit denen sie daher oft ein erstaunlich inniges Verhältnis haben. Beide leben jenseits des Gesetzes, fern von der normalen Welt. Im Grunde ist der Superschurke nur eine weitere Facette der Superpersönlichkeit, ihre dunkle Seite.

Gespaltene Existenz

Als urbane und gespaltene Existenz ähnelt der Superheld dann auch dem Kinogänger, der weltweit daran scheitert, seine hochfliegenden Kinoträume mit seinem Alltag, seinen Beruf mit seinem Privatleben oder die Facebook-Persönlichkeit mit seiner traurigen Gestalt vor dem Computer zu synchronisieren.

Ähnlich wie die alten Mythen repräsentieren Superhelden dabei nicht eine Stimme, sondern ein ganzes Stimmengewirr - ein Autor hat sie vor 70 Jahren entworfen, ein anderer ihre Geschichte fortgesetzt und umgeschrieben, es gibt Comic-, Radio-, Fernseh- und Kinofassungen, gültige Testamente und Apokryphen. Superhelden sind große Einzelne, die aus der Weisheit der vielen bestehen.

"Captain America - The First Avenger" versucht diese Ambivalenz sauber zu ordnen: in eine bürgerliche Existenz davor (Steve Rogers), einen Superhelden danach (Captain America) und einen Superschurken dagegen (Red Skull). Aber diese Ordnung gehört in eine mythisch verklärte Vergangenheit. Wer einen wirklich zeitgenössischen, moralisch ambivalenten Superschurkenplan sehen will, sollte sich auf YouTube die jüngste Nachricht der Hackervereinigung "Anonymous" anschauen. Sie trägt den Titel "Operation Facebook".

CAPTAIN AMERICA - THE FIRST AVENGER, USA 2011 - Regie: Joe Johnston. Mit: Chris Evans, Hayley Atwell, Tommy Lee Jones, Hugo Weaving, Stanley Tucci, Paramount, 124 Minuten.

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