Cannes:Er ist der Smartarsch, sie trägt die Verantwortung

Film "Money Monster"

Clooney ist in "Money Monster" windig, aber nicht unrettbar und Roberts das artige Mädel.

(Foto: Sony Pictures)

Julia Roberts und George Clooney zeigen in Cannes ihren Thriller "Money Monster". Wirklich erstaunlich ist die rumänische Hardcore-Folklore im Wettbewerb.

Von Tobias Kniebe, Cannes

Wenn ein Film aus der gewohnten Spur gerät, Regeln oder Konventionen bricht, in nie erwartete Richtungen abbiegt - dann ist Cannes lebendig und ganz bei sich. Nur rein äußerlich sind Überraschungen verpönt, die vom sonnigen Grundgefühl abweichen. Der Dress der Helferinnen zum Beispiel, für dieses Jahr neu entworfen, ist ein Gedicht in Azur, Hellblau und Weiß. Nur kann man das knappe Jäckchen nicht schließen. Weht mal ein kühler Wind, so wie in diesen Tagen, brauchen die fröstelnden jungen Damen ihre Hände als Notverschluss.

Wenn George Clooney und Julia Roberts außer Konkurrenz auf dem Programm stehen, geht es auch nicht wirklich um Überraschungen. Sie verkörpern eher wiedererkennbare Werte, die man im Chaos der Filmkunst ebenfalls braucht, und in "Money Monster", ihrem neuen, von Jodie Foster inszenierten Film, enttäuschen sie die Erwartungen nicht. Clooney ist darin wieder Clooney, also ein windiger, aber nicht unrettbar verlorener Smartarsch; und Roberts ist darin wieder Roberts, das Mädel, das am Ende die Verantwortung trägt. Denn wer bitte soll es sonst machen.

Get-Rich-Quick-Clown mit Goldzylinder

Gemeinsam arbeiten sie bei der Fernsehshow, die dem Film den Titel gibt. Es geht darin um Finanzen und Anlagetipps für die Wall Street, und zwar auf eine Art, die Amerikaner eben verstehen. Clooney gibt vor der Kamera den Get-Rich-Quick-Clown, der mit Goldzylinder und Dollar-Halskette Motivationstänzchen aufführt, flankiert von zwei leichtbekleideten Hip-Hop-Tänzerinnen. Und Roberts ist die Studioregisseurin im Hintergrund, die sich Mühe gibt, ihm auch ein paar seriöse Fakten in den Kopfhörer zu soufflieren.

Dann schleicht sich ein verzweifelter junger Anleger ein, legt Clooney vor laufender Kamera eine Sprengstoffweste an und lenkt die Livesendung in eine ganz neue Richtung - der Supertrader Walt Camby (Dominic West), der gerade das Vermögen des Geiselnehmers vernichtet hat (und nicht nur seins) soll öffentlich zur Verantwortung gezogen werden. So nimmt ein solide pulsierender Scharfschützen-warten-schon-Thriller seinen Lauf, in dem alle hektisch von "High Speed Trading" und "Algorithmen" reden, ohne eine erkennbare Vorstellung davon, was das sein könnte. Und wenn schon - der Rest funktioniert.

Und schon katapultiert einen das Festival wieder ein paar Welten weiter, nämlich hinein in eine Plattenbau-Wohnung mitten in Bukarest. Hier spielt "Sieranevada" von Christi Puiu, dessen Titel rein gar nichts bedeutet. Es geht darum, der rumänischen Zeit beim Verstreichen zuzusehen, wie das auch schon in Puius berühmtestem Film, "Der Tod des Herrn Lazarescu", der Fall war. Nur läuft hier nicht alles auf den Tod zu, der hat nämlich schon zugeschlagen, bevor es überhaupt losgeht.

Hohe Erwartungen an Alain Guiraudie

Vierzig Tage nach dem Abgang eines Verstorbenen, so will es eine rumänisch-orthodoxe Sitte, lädt man die ganze Familie ein, holt einen Priester, singt, gedenkt, präpariert Opfergaben und lässt einen Anzug segnen, den dann ein neuer Mann der Familie beim gemeinsamen Essen trägt. Puiu bleibt fast vollständig in dieser Wohnung, in der schon die Enge unweigerlich zu Konflikten führen muss, und inszeniert klaustrophobische Plansequenzen.

Erwartbar ist noch, dass alle Frauen harte Brocken sind, von der Straßengöre zum Muttermonster und alle Entwicklungsstufen dazwischen. Alle Männer sind Schwerenöter, die Alten noch offensichtlicher als die Jungen, die inzwischen immerhin gelernt haben, auch mal das Weichei zu spielen. Dann geht es aber so wild durcheinander, von Ceauşescu über faule Priester bis zu Ehegeheimnissen und 9/11-Verschwörungstheorien, dass man nach fast drei Stunden herrlichem Dauerstress weiß: Um in einer rumänischen Familie zu überleben, sollte man schon besser Rumäne sein.

Knorriger Schäfer mit schwulem Begehren

Am höchsten auf der Überraschungsskala schlägt dann ein Filmemacher aus, der zum ersten Mal im Wettbewerb dabei ist: der offen schwule Franzose Alain Guiraudie. Vor drei Jahren hat er in einer Cannes-Nebenreihe erstmals groß auf sich aufmerksam gemacht - mit "Der Fremde am See" und der ziemlich brillanten Idee, schwules Begehren an einem sonnendurchfluteten Sommersee mit Hardcore-Gebüschsex und einer Hitchcock-infizierten Mordgeschichte anzureichern. Was damals gewagt erschien, wirkt jetzt fast zahm angesichts seines neuen Werks "Rester Vertical".

Schwules Begehren und Hardcore-Szenen gibt es nach wie vor, sie sind aber nicht mehr auf ein geduldetes Sexareal und schöne junge Körper begrenzt - der knorrige Schäfer in den südfranzösischen Bergen kann genauso davon überfallen werden wie der alte, Obszönitäten spuckende Bauer am Straßenrand. Auch Frauen und deren Genitalien kommen vor, und der schwule Held zeugt zwischendrin ein Kind, um das er sich rührend kümmert.

Es klingt urwüchsig, wenn diese knorrigen Typen zum Beispiel auf die Wölfe schimpfen, die immer wieder ihre Schafe reißen, und sich dabei wütend die Schrotflinte überwerfen. Gerade dieses Milieu mit einem queeren Kino zu unterwandern, wäre schon verrückt genug, aber Guiraudie wirft dann auch noch Naturmystik, Drehbuchprobleme und soziale Verelendung in den Mix. Als schließlich wunderschöne Wölfe auftauchen - der Wolf, das Kinotier des Jahres? - streckt man alle analytischen Waffen und gibt sich dem Film einfach hin. Denn so muss das Festival sein. Draußen scheint dann wieder die Sonne, und Cannes ist ganz bei sich.

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