Cannes:Bessere Tage

Die neuen Wettbewerbsfilme in Cannes handeln von überflüssigen Menschen in einer Überflussgesellschaft. Ist das jetzt die Spitze des Weltkinos?

Susan Vahabzadeh

Man hat ja immer die Befürchtung, dass die Finanzkrise das Filmfestival in Cannes, diese Blase des zur Schau gestellten Schein-Wohlstands, irgendwann in den Abgrund reißt und zermalmt.

cannes film tournee

Lauter schöne Einfälle auf der Suche nach einer Geschichte: Mathieu Amalrics Film "Tournee".

(Foto: Foto: Filmfestival Cannes)

Wird die Frau, die in aller Herrgottsfrüh im Abendkleid vor dem Festivalpalast für ihre Freundin posiert, es je in den Palast hineinschaffen? Haben die Schaulustigen, die sich in Scharen auf der Croisette drängeln, wirklich nichts besseres zu tun, als stundenlang zu Warten, damit sie einen Blick erhaschen auf eine voluminöse amerikanische Burlesque-Tänzerin, von der sie noch nie gehört haben?

Es kommt einem so vor, als wären die geborgten Smokings und die gemieteten Luxuslimousinen Vorboten des Untergangs. Draußen wird der Schein gewahrt, aber die Krise hat das Kino erreicht: Die Filmmesse, die das Festival begleitet, ist deutlich kleiner geworden, weil überall auf der Welt weniger gedreht wird; und auch das Wettbewerbsprogramm ist sehr überschaubar - und bislang nicht sehr überzeugend.

Den Filmen selbst ist aber anzusehen, dass das Wettbewerbsprogramm die Unruhe spiegeln soll, die sich breit macht, die Angst davor, dass die Welt aus den Fugen gerät.

Im Eröffnungsfilm, "Robin Hood" von Sir Ridley Scott, ging es letztlich um Anarchie, um eine Absage an jede Form von Herrschaft. Und weiter ging es mit zerrissenen Familien, ökonomischen Unwägbarkeiten, generationsübergreifender Orientierungslosigkeit.

In "Tournee" schlägt sich der französische Schauspieler Mathieu Amalric - hier auch Autor und Regisseur - irgendwie durch: Er ist mit einer Truppe abgehalfterter amerikanischer Burlesque-Stripperinnen auf Tour in Frankreich, als ihr Produzent, und er selbst hat auch schon bessere Tage gesehen. Er war mal eine große Nummer beim Fernsehen, hat aber offensichtlich jede berufliche und private Beziehung an die Wand gefahren. Jetzt tingelt er mit den späten Mädchen durch die Provinz, steigt in schlechten Hotels ab, und alle wollen nach Paris und sie werden dort nie hinkommen.

Am ehesten könnte man diesen Film definieren als lauter sehr schöne Einfälle auf der Suche nach einer Geschichte. Einmal, da hat er seine beiden kleinen Söhne übers Wochenende dabei, singen die Stripperinnen in einer Hotelhalle die Kinder in den Schlaf - ein magischer Moment. Und es gibt eine wunderschöne Szene in einem verlassenen Hotel auf einer Insel - das Haus ist wie die Truppe, der Putz blättert ein wenig, aber man sieht noch die verblasste Pracht, die keiner mehr will.

Daraus, dass diese Frauen zwar Selbstbestimmung vorspiegeln, aber eben doch Arbeiterinnen des Sexgewerbes sind: Daraus macht Amalric leider nichts. Man hat mit diesen Leuten, in diesen Räumen, am Ende trotzdem gern zwei Stunden verbracht - aber es gibt keinerlei Entwicklung: Weder kommen die Figuren weiter noch die Handlung um sie herum. Es dämmert einem schon, dass Amalric sich mit Absicht über jeden Grundbegriff von Dramaturgie hinwegsetzt, einfach nur von gestrandeten Menschen erzählen wollte - wenn das aber reicht, um zur Spitze des Weltkinos zu gehören, wirft das auf den zu erwartenden restlichen Wettbewerb kein gutes Licht.

Der chinesische Filmemacher Wang Xiaoshuai, mit "Chongqing Blues" im Wettbewerb, ist jedenfalls nicht dazu geeignet, etwas mehr Enthusiasmus in die Sache hineinzubringen. Das asiatische Kino bildet auf allen großen Festivals einen eigenen Schwerpunkt, weil es eine eigene Filmsprache hat, andere Gesellschaftsformen und eine fremde Kultur darin sehr gut sichtbar werden.

"Chongqing Blues" aber ist ein westlicher Film mit chinesischen Schauspielern. Ein Melodram, ein Vater macht sich auf die Suche nach seinem toten Sohn, fragt alle, die den Jungen kannten, den er als Kind bei seiner Mutter zurückließ, was sie über ihn wissen. Der Junge hat eine Ärztin als Geisel in einem Kaufhaus genommen und ist dabei erschossen worden; und die Freunde, die Rückblenden, die endlos wiederholte Aufnahme der Überwachungskamera, geben immer die selbe Antwort: Er hatte nichts zu verlieren.

Es geht da um überflüssige Menschen in einer Überflussgesellschaft - ein globales Thema, vielleicht hat sich Wang Yiaoshuai deswegen für die Form eines westlichen Krimis entschieden. Aber manche Szenen sind einfach viel zu pathetisch und plakativ und banal. Da erklärt die Exfreundin beispielsweise, warum es kein einziges Foto gibt von dem Jungen: "Er dachte, Fotografien sind ein billiger Versuch, den Tod zu überlisten." Solche Sätze bleiben besser ungesagt.

Ein fulminanter Auftakt sieht wahrlich anders aus. Aber dem Sturm, der in der vergangenen Woche die südfranzösische Küste heimgesucht hat, hat sich das Festival mit aller Macht entgegengestemmt - zur Eröffnung waren sämtliche Spuren der Überschwemmung auf der Croisette und alle Trümmer beseitigt. Ein solcher organisatorischer Coup ist ja auch eine Leistung - wer so was kann, übersteht auch andere Stürme.

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