"Callgirl" im Kino:Service und Tabu

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Aleksandra jongliert im Film "Callgirl" zwei Leben. In einem ist sie brave Tochter und Studentin, im anderen bietet sie sich als Gelegenheitsprostituierte an. Als einer ihrer Kunden nach einer Überdosis Viagra einen Herzinfarkt erleidet, wird die Balance gestört.

Anke Sterneborg

Wenn Aleksandra, die von ihrem Vater Sasha genannt wird, durch das Einkaufszentrum schlendert, sieht man auf den ersten Blick, dass sie keine glückliche, unbeschwerte junge Frau ist. Scheu und abwesend wirkt sie mit ihren langen schwarzen Haaren, die ihr schmales, blasses Gesicht umrahmen, und wenn sie sich immer wieder vorsichtig umdreht, merkt man, dass sie etwas zu verbergen hat.

Slovenka (Foto: © Vertigo / Emotionfilm, 2009. All Rights Reserved.)

Tatsächlich jongliert sie zwei Leben, in einem ist sie die brave Tochter, die ihren arbeitslosen Vater regelmäßig in der Heimatstadt Krsko besucht und in Ljubljana Englisch studiert, im anderen bietet sie als Gelegenheitsprostituierte "Service ohne Tabu". Als einer ihrer Kunden nach einer Überdosis Viagra im Hotelzimmer einen Herzinfarkt erleidet, wird die Balance gestört. Sie wird von der Polizei als Zeugin gesucht, von zwei Zuhältern unter Druck gesetzt, der Uni-Professor will ihre Nachlässigkeiten nicht mehr durchgehen lassen, ihr Wohnungskredit wackelt, dazu noch ein nerviger Ex-Liebhaber und ein schmachtender Verehrer.

Was in der Aufzählung der Kalamitäten konstruiert klingen mag, entfaltet Damjan Kozole, (der 2003 mit "Spare Parts" schon im Wettbewerb der Berlinale war) mit einer unaufdringlichen Beiläufigkeit, die der Haltung seiner Heldin entspricht. Nina Ivanisin, die wie eine moderne Version von Godards Nana S. anmutet, lässt sie auf berührend leise und zurückhaltende Weise zwischen der Sehnsucht nach einem besseren Leben und der Melancholie über dessen Preis oszillieren. In der Existenz dieser jungen Frau verdichtet sich die Lage der osteuropäischen Länder, die sich nach Anschluss an den westlichen Wohlstand sehnen, aber auch mit den Folgen des Umbruchs hadern.

Allgegenwärtig sind die Nachrichtenmeldungen von der gerade in Ljubljana stattfindenden EU-Konferenz, die Sirenen, mit denen die ausländischen Delegationen durch die Stadt geleitet werden, der Unmut der Taxifahrer in der ständig verstopften Stadt. Wenn Aleksandra durch das große Fenster ihrer so teuer erkauften und nur provisorisch eingerichteten Wohnung auf die mehrspurige Straße unten schaut, dann sind das auch die vielen Richtungen, die ihr Leben nehmen könnte: "Ich will doch nur leben", sagt sie am Ende, und man hat das Gefühl, dass sie ihren Weg machen wird.

SLOVENKA, Slowenien/D 2009 - Regie: Damjan Kozole. Buch: D . Kozole, Matevz Luzar, Ognjen Svilicic. Mit: Nina Ivanisin, Peter Musevski, Primos Pirnat. Verleih: farbfilm, 90 Minuten.

© SZ vom 23.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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