"Cäsar muss sterben" im Kino:Liebe, ein Geschenk der Freiheit

"Cäsar muss sterben" im Kino: Hinter Gittern: Insassen der Strafanstalt Rebibbia proben Shakespeare.

Hinter Gittern: Insassen der Strafanstalt Rebibbia proben Shakespeare.

(Foto: camino)

Shakespeare hinter Gefängnismauern: Für die Akteure in "Cäsar muss sterben", dem Berlinale-Gewinner der Taviani-Brüder, wird die Haft durchs Theaterspielen noch schmerzhafter - aber der Sinn ihres Lebens auch erfahrbarer.

Von Philipp Stadelmaier

Der Film beginnt und endet mit einem Triumph: Eine Aufführung von Shakespeares "Julius Cäsar" wird frenetisch beklatscht. Die Schauspieler verbeugen sich, bis sie ihrerseits in ungehemmten Jubel ausbrechen. Schließlich geht die Truppe ab, die Szene, eben noch in Farbe, wird schwarzweiß. Die Männer durchqueren Gänge, Schleusen, Korridore - bis sie schließlich einzeln in Zellen gesperrt werden: im Hochsicherheitstrakt von Rebibbia, einer Strafanstalt in der Nähe von Rom.

Die Schauspieler sind Gefangene, die hier einsitzen, verurteilt zu teils lebenslänglichen Haftstrafen. Männer mit vernarbten Gesichtern und Leben, Verbrecher, Mörder, einst Mitglieder von Mafia, Camorra und Ndrangheta.

In ihrem neuen Film "Cäsar muss sterben" begleiten Paolo und Vittorio Taviani diese Gruppe von Männern sechs Monate lang, von den Proben zu Shakespeares Stück bis zur Aufführung, angeleitet von dem Theatermacher Fabio Cavalli, der seit vielen Jahren mit den Insassen von Rebibbia erfolgreich Projekte realisiert.

Sollen hier etwa gemeine Bösewichter mit edler Hochkultur gebessert werden, transzendiert das Theater das monotone Gefangenenleben derer, die in ihren engen Fünfbettzellen Tag ein Tag aus nur an die Decke starren können? Der letzte Satz des Films, geäußert von Cosimo Rega, der den Cassius spielt, lässt an dieser These erheblichen Zweifel: "Seit ich der Kunst begegnet bin, ist diese Zelle ein Gefängnis geworden", meint er, während er, nach der Premiere wieder eingesperrt, sich einsam einen Espresso eingießt.

Die vierte Wand des Theaters isoliert die Welt der Gefangenen erst recht, exponiert sie frontal einer Außenwelt, um sich von ihr, für einen Abend, begaffen und bestaunen zu lassen. Das Theater macht sie erst recht zu Gefangenen.

Die Freiheit, die "Cäsar muss sterben" atmet, kommt also keineswegs aus einer Dokumentation über Theater im Knast. Sie entspringt allein der Fiktion dieses Films. Die Gefangenen sind echte Gefangene - aber sie spielen die ganze Zeit über: nicht nur Shakespeare, sondern in erster Linie sich selbst.

Wenn etwa Cäsar und Lucius eine Szene proben, dann gleitet der Dialog schon mal ab in einen alten Streit zwischen den Schauspielern Giovanni Arcuri und Vincenzo Gallo - ohne die Szene wirklich zu unterbrechen, gehen sie auf den Gang, um sich zu prügeln, dort wird das Stück dann fortgesetzt. Sie folgen dabei nicht nur dem Text Shakespeares, sondern auch dem Drehbuch der Tavianis. Sie bewegen sich für die Kamera - nicht umgekehrt.

Die Gegenwart verschmilzt mit dem Universum Shakespeares

Was nach einer weiteren Einengung der Gefangenen-Schauspieler aussieht, befreit sie allerdings vom Doku-Klischee des "Knastis" - bis sie die komplexen Charaktere Shakespeare ganz natürlich inkarnieren können. "Kennen wir nicht alle einen Cäsar?", fragt Brutus einmal. Er erinnert sich unter Tränen an einen früheren Freund, der ihm, einen Mordauftrag mit sich herumschleppend, dasselbe sagte wie Brutus seinen Mitverschwörern: "Könnte man ihm nur seinen Geist entreißen, ohne ihm die Brust aufzuschneiden."

Die Gegenwart verschmilzt mit dem Universum Shakespeares: Die Schauspieler, die zu Anfang in einer Galerie aus schwarz-weißen, auratischen Porträtaufnahmen vorgestellt werden - Untertitel geben Auskunft über Delikte und Strafmaß - erscheinen wie die Aktualisierungen zeitloser Archetypen. "Wie oft wird sich diese Szene noch wiederholen, in diesem Gefängnis, in noch nicht eroberten Imperien, in uneroberten Reichen?", heißt es, wenn Cäsar ermordet wird, zwischen den weißen, nackten Mauern eines engen Auslaufs.

Das Gefängnis wird da so weit wie die Welt. Seine Öffnung bleibt freilich rein symbolisch. Wenn Brutus den Tyrannen umbringt und sich am Schluss selbst "für die Freiheit opfert", ist das hier deswegen so rührend, weil die Insassen von Rebibbia davon nicht freier werden: Sie werden diesen Ort vielleicht niemals verlassen, die Tyrannei der Mauern ist unüberwindbar.

Umgeben von Mauern ruft Antonius bei seiner Grabrede dem hinter vergitternden Fenstern gedrängten Volk jedoch noch etwas anderes zu: Cäsar hat euch geliebt. Hatte sich der Tyrann etwa aus Liebe geopfert, damit seine wütenden, eingeschlossenen Kinder wenigstens symbolische Freiheit erlangen können? Und wenn die Kamera der Tavianis dann später von hinten Salvatore Striano alias Brutus auffährt, um ihn zusammen mit Cäsars Geist zu tyrannisieren - ist sie dabei nicht auch ebenso liebend und zärtlich?

Die ganze Schönheit des Films liegt in dieser komplizierten Liebe, die den Gefangenen gerade durch eine tyrannische Inszenierung zuteil wird, durch die Gabe einer nur symbolischen, bald wieder verlorenen Freiheit. Denn es ging hier nie darum, die Mauern niederzureißen und ihre Rehabilitation durch eine befreiende Begegnung mit der Kunst zu bejubeln, sondern zu zeigen, dass jeder von ihnen - die sie alle den Shakespearschen Text im eigenen Dialekt sprechen dürfen - noch immer auf seine Art geliebt wird.

Cesare deve morire, IT 2012. Regie: Paolo und Vittorio Taviani. Buch: Tavianis, Fabio Cavalli. Kamera: Simone Zampagni. Mit Cosimo Rega, Salvatore Striano, Giovanni Arcuri. Camino Film, 77 Minuten.

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