Bürgerkrieg in Syrien:Braucht der Nahe Osten einen Westfälischen Frieden?

Plünderung der Stadt Magdeburg, 1631

Einnahme und Plünderung der Stadt Magdeburg durch das kaiserliche Heer unter dem Grafen Tilly, 1631

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Außenminister Steinmeier vergleicht bei der Eröffnung des Historikertags den Krieg in Syrien und den Dreißigjährigen Krieg.

Analyse von Gustav Seibt

"Wir brauchen einen Westfälischen Frieden für unsere Region!" Der Stoßseufzer des jungen arabischen Intellektuellen, den Außenminister Frank-Walter Steinmeier in seinem Grußwort an den in Hamburg versammelten Historikertag zitierte, dürfte auf die in vielen Weltsprachen mit dem Wort "westfälisch" verbundenen Leistungen des Friedensschlusses von 1648 anspielen: Er stiftete einen Religionsfrieden, indem er ein Staatsgrundgesetz etablierte, das international garantiert wurde. "Westfälisch" heißt, dass die Religion sich mit ihren verschiedenen Konfessionen den einzelstaatlichen Souveränitäten und einer internationalen Rechtsordnung unterordnen musste.

Der Westfälische Friede beruhigte das religiöse Problem zwischen Katholiken und Protestanten

Damit wurde die Gemengelage von religiösem Bürgerkrieg und internationalem Staatenkrieg entzerrt, die dazu beigetragen hatte, dass der Dreißigjährige Krieg in Deutschland so lange gedauert hatte. Man versteht, warum der deutsche Außenminister, dessen drängendstes Problem derzeit der Syrienkrieg ist, sich an die deutschen Historiker mit Bemerkungen zu ihrem diplomatiegeschichtlichen Gegenstand wendet. Denn das ist die Aushandlung und Umsetzung der Friedensverträge von Münster und Osnabrück um 1648 ganz ohne Frage - noch vor der Juli-Krise von 1914, die in den Ersten Weltkrieg mündete.

Steinmeier darf in einem zulässigen Vergleich annehmen, dass er an einer ähnlich schwierigen Aufgabe mitwirkt. Nun sind Vergleiche in den historischen Wissenschaften, die grundsätzlich von Einzelfällen handeln, ein ebenso unverzichtbares wie gefährliches Denkinstrument. Ohne Vergleiche geht es nicht, doch wenn Vergleiche zu Analogien, zum Postulat von simplen Parallelen in Ereignisketten und Strukturen werden, wird die Einzelfallwissenschaft zu einem trügerischen Ratgeber. Vergleichen muss man also, um gleichermaßen Ähnlichkeiten wie Unterschiede zu finden, dann wird der Einzelfall als besonderer Fall einer Reihe erkennbar, ob man diese nun als "Idealtypus" oder schlicht als Erfahrungswissen kennzeichnet.

Der Westfälische Friede beruhigte das religiöse Problem zwischen Katholiken und Protestanten, indem er ein Normaljahr fixierte (1624), dessen konfessionelle Landkarte nicht mehr verändert werden durfte. Zweitens wurde allgemeines Vergessen und Vergeben von Gräueltaten angeordnet. Entschädigt wurden Kriegskosten, mehr nicht.

Entscheidend für die Befriedung wurde darüberhinaus die Festigung der innerdeutschen Landesherrschaften, die nun den Deckel auf den Konflikten halten konnten. Die Landesherren sicherten den Frieden, gleichzeitig bedeutete ein persönlicher Religionswechsel des Fürsten nicht mehr, dass auch seine Untertanen ihre Konfession ändern mussten. Zwangsbekehrungen waren damit ausgeschlossen - ein unschätzbares Moment von Sicherheit.

Ebenso wichtig waren die internationalen Friedensschlüsse zwischen dem habsburgischen Kaiser und Frankreich, sowie zwischen Kaiser und Reich mit dem König von Schweden. Schweden hatte, mit französischer Unterstützung, die protestantische Kriegspartei gerettet. Nun wurde der König von Schweden in Pommern deutscher Landesherr und einer der Garanten des Friedensschlusses. Ähnliche Rechte erhielt der König von Frankreich, auch wenn er nicht formell zu einem Reichsstand wurde. Da die Verträge vom Reichstag in den Rang von Verfassungstexten erhoben wurden, konnte der Westfälische Friede rechtlich so abgesichert werden wie noch kein Friedensvertrag vor ihm. In wesentlichen Teilen hielt er bis 1806.

Erstmals wurde das europäische Gleichgewicht der Großmächte fixiert

Voraussetzung dafür war auch, dass eine "Dritte Partei" von Reichsständen, darunter Bayern, dem Kaiser die Trennung von Spanien abrang. Die Beendigung des Kriegs von Spanien und Frankreich wurde ausgegliedert und gelang erst 1659 im Pyrenäenfrieden. Damit spielt Steinmeier auf ein derzeit besonders ergiebiges Feld in den Forschungen zum Westfälischen Frieden an, denn diese "Dritte Partei" ist bisher noch nicht sehr gut bekannt. Bei den Tausenden Juristen und Diplomaten, die in den langen Jahren der Verhandlungen beteiligt waren, sind neue Erkenntnisse aus den Akten nicht verwunderlich. Was war der Beitrag von Sachsen-Altenburg? Darüber wird derzeit in Jena promoviert.

Entscheidend war, dass 1648 erstmals das europäische Gleichgewicht der Großmächte fixiert wurde, um elementaren Sicherheitsbedürfnissen, vor allem Frankreichs, entgegenzukommen, das sich von den Habsburgern eingekreist sah. Von vielen anderen Fragen, die gelöst werden mussten, darunter die Selbständigkeit der Schweiz und der Niederlande (damals schon eine Großmacht) ist dabei noch nicht die Rede. Tausende Einzelbestimmungen, bis hin zu alternierenden Besetzungen von Fürstbistümern, die einmal katholisch, dann wieder evangelisch wurden, konnten gefunden und bei Streitfällen in raschen Prozessen bereinigt werden: eine ungeheure Leistung des damaligen deutschen Juristenstandes, dessen Penibilität manchen französischen Unterhändler zur Weißglut trieb.

Der Friede von 1648 hielt bis 1806, und seine Details wurden noch beim Wiener Kongress konsultiert

Was ist also vergleichbar? Ganz gewiss die Mehrstufigkeit der Konflikte, das Modell Stellvertreterkrieg. Das katholische Frankreich half aus Furcht vor dem katholischen Kaiser den deutschen Protestanten. Spanier agierten von Oberitalien bis zum Rhein. Die Schweden verwüsteten Oberbayern, bezahlt von Frankreich. Auch Syrien und der Nahe Osten kennen Religionskriegsparteien, die von starken Regionalmächten - Iran, Saudi-Arabien, Türkei - unterstützt werden. Hinter ihnen stehen wieder Weltmächte wie Amerika, Russland, die Europäer, die auch für einen unablässigen Strom von Waffen in die Region sorgen, vergleichbar den Geldflüssen, mit denen im Dreißigjährigen Krieg die Söldnerheere unterhalten wurden.

Ist Amerika das Frankreich Syriens und Russland sein Schweden? Das wäre Analogiedenken, wie es in den Seminaren Hans-Ulrich Wehlers streng verboten wurde. So dürften Historiker auch länger über die Frage nachdenken, ob die Europäer eine "dritte Partei" in diesem Konflikt aufbauen könnten. Der Vorschlag, sich auf ein Normaljahr zu beziehen und im Übrigen Amnesie und Amnestie walten zu lassen, ist bedenkenswert, auch wenn er allen Konventionen heutiger Erinnerungskultur und der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen diametral zuwiderläuft.

Ein anderer Vergleich führt auf einen Unterschied, der wenig hoffnungsfroh stimmt. Die 140 Reichsstände, 38 Stände und 16 außerdeutschen Mächte, die in Münster und Osnabrück verhandelten, waren allesamt einer Rechtskultur verpflichtet, in der Verträge nicht nur formuliert, sondern auch eingehalten und juristisch überprüft werden konnten. Mehr als 10 000 Verfahren wurden rund um den Westfälischen Frieden geführt. Die Detailbestimmungen lagen für alle Zukunft in den lokalen Staatsarchiven, wo sie regelmäßig herangezogen werden konnten, bis ins Zeitalter Goethes und sogar noch beim Wiener Kongress.

Sind der IS, die Al-Nusra-Front, die Rebellengruppen der Assad-Gegner solche Verhandlungspartner? Auf welche Zusagen von Assad oder Erdoğan kann man sich verlassen? Hier müssten Historiker und heutige Diplomaten wohl erst ins Gespräch kommen. Selbst die böhmischen Stände, die 1618 mit ihrem Aufstand gegen den Kaiser den Krieg ausgelöst hatten, waren ja keine Terrorgruppen oder Rebellen, sie beriefen sich auf verbriefte alte Rechte.

Dazu kommt: 1648 lagen die älteren Religionsfriedensverträge, vor allem der von Augsburg 1555, schon vor, und die Kirchenspaltung lag erst 130 Jahre zurück. Sunniten und Schiiten sind seit vielen Jahrhunderten gespalten, wie immer sonst der Vergleich mit den christlichen Konfessionen ausfällt. Unterschiede über Unterschiede! Nachdem Steinmeier in New York zum Frühstück gegangen war, konnten die Historiker in Hamburg noch manches Glas bei ihren Gesprächen leeren.

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