Bürgerbegehren:Von uns aus

In Deggendorf brachte man zwei Abstimmungen zu einem Hochhaus in Stellung. Beide verfehlten das Quorum. Man wählte das Nichtwählen.

Von Gerhard Matzig

Im Prinzip: eine Win-win-Situation. Es gab zwei Abstimmungen und jetzt auch irgendwie zwei Sieger - oder Leute, die sich dafür halten. Das gilt etwa für jene, die im niederbayerischen Städtchen Deggendorf gegen das geplante Projekt eines 36 Meter hohen Hochhäuschens ein Bürgerbegehren angestrengt haben. Sie weisen nun (am Sonntag wurde abgestimmt) darauf hin, dass ihr Begehren "mit fast 51 Prozent Ja-Stimmen die Mehrheit erreicht" habe. Tja, schon, aber eben in ihrer Abstimmung, wobei dieses "Ja" der Bauhöhenbegrenzung auf 22 Meter gilt. Auf der anderen Seite aber melden die Befürworter des 36 Meter-Bürobaus, die parallel zum Contra-Bürgerbegehren ein Pro-Ratsbegehren initiiert haben, "eine Mehrheit von rund 68 Prozent". In ihrer Abstimmung. Mehrheiten - wohin man auch schaut.

Und doch geht es in beiden Abstimmungen nur um Mindermeinungen, denn beide Begehren verfehlten das Quorum. Zu wenige Menschen interessierten sich insgesamt für den Streit um den Turmbau zu Deggendorf. Sie hatten die Wahl - und sie wählten das Nichtwählen. So gibt es nun eine Verliererin: die direkte Demokratie. Gescheitert ist das Bemühen, die Stadtentwicklung durch mehr Partizipation und Bürgerwillen zu untermauern. Das gilt auch abseits der Provinzposse und unabhängig davon, dass der Bau nun wie ursprünglich vorgesehen realisiert wird.

Überall in Deutschland werden derzeit Bürgerentscheide abgehalten. "Partizipation", "Bürgerwille" und "Transparenz": Spätestens seit Stuttgart 21 sind das die erklärten Ziele der Stadtentwicklung. Das alte Willy-Brandt-Diktum von der Demokratie, die man wagen wolle, schien endlich auch den Bau erreicht zu haben. Architektur und Städtebau - also die Sphären der "öffentlichsten aller Künste" (Lebbeus Woods) - schienen sich zu öffnen. Aber wie sich zeigt: Es fehlt die Öffentlichkeit.

Eine Forsa-Umfrage zur Wohnumfeldentwicklung kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Bundesbürger entgegen der überall anzutreffenden Beteiligungs-Euphorie "nur mäßig bei Planungsvorhaben" beteiligen. Das verfehlte Quorum in Deggendorf ist ein weiterer Beleg dafür. Den in vielen Kommunen anstehenden Begehren für und wider dieses oder jenes wird es ähnlich ergehen. Seit Stuttgart 21 haben sich die Bürger das Recht erstritten, früher und besser als bislang gehört zu werden. Jetzt, da man ihnen endlich zuhört, haben wenige etwas zu sagen.

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