Bühne:Stolpersteine ins Mittelreich

MittelreichMünchner Kammerspiele

Auch die Inszenierung "Mittelreich" der Münchner Kammerspiele ist zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

(Foto: Judith Buss)

In Berlin wurde die Auswahl zum diesjährigen Theatertreffen bekannt gegeben.

Von Christine Dössel

Die Jurorentätigkeit für das Berliner Theatertreffen ist kein Zuckerschlecken. Da reist man ein Jahr lang die deutschsprachige Theaterlandschaft ab, immer auf der Suche nach dem tollen Coup, der ganz besonderen Aufführung - und am Ende hagelt es wieder nur Kritik. Weil es die Juroren nie allen recht machen können und es eine Herkulesaufgabe ist, aus Hunderten Inszenierungen die zehn "bemerkenswertesten" eines Jahres herauszupicken. Dies sei fairerweise vorausgeschickt, bevor man einen Blick auf die ziemlich enttäuschende diesjährige Auswahl wirft.

Dass "Mittelreich" eingeladen ist, die musiktheatralische Adaption des Romans von Josef Bierbichler an den Münchner Kammerspielen, ist eines der größten Rätsel dieser auf den ersten Blick wenig prickelnden Best-of-Liste. Die Jury, so hat es den Anschein, wollte die Kammerspiele unter der neuen Intendanz von Matthias Lilienthal unbedingt vertreten wissen, da scheint mangels vorzeigbarer Erfolge die prätentiöse "Mittelreich"-Version von Anna-Sophie Mahler noch das geringste Übel gewesen zu sein. Dabei lässt sich in dieser spröde artifiziellen, um nicht zu sagen artifiziösen Inszenierung durchaus das erkennen, was Lilienthal früher gerne als Stadttheater-"Kunstkacke" verunglimpfte.

Das Münchner Residenztheater ist nicht dabei (trotz "Balkan macht frei", trotz "König Ödipus"), dafür gleich zweimal das Schauspielhaus Hamburg: mit Karin Beiers auf die Flüchtlingskrise bezogener Fellini-Adaption "Schiff der Träume" (die der SZ-Kritiker Till Briegleb, selber Jurymitglied, jüngst verrissen hat) sowie mit der Fontane-Entertainmentshow "Effi Briest - allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie" von Clemens Sienknecht und Barbara Bürk.

In die Abteilung Amüsement fällt auch Simon Stones triviale Umschreibung von Ibsens "John Gabriel Borkman" zur Boulevard-Sause im Banaljargon (Wiener Burgtheater/ Theater Basel). Sehr viel angemessener wäre es gewesen, Stones so geglückte wie beglückende Inszenierung von Tony Kushners "Engel in Amerika" aus Basel einzuladen. Vom Schauspielhaus Zürich kommt der Poptheaterveteran Stefan Pucher, ebenfalls mit Ibsen: "Ein Volksfeind".

Zu den Erwählten zählt auch die Berliner Volksbühne, aber nicht etwa mit einer Arbeit des Noch-Hausherrn Frank Castorf, sondern mit Herbert Fritschs knallbunter Hirnwindungs-Achterbahnfahrt "der die mann" mit Texten von Konrad Bayer - passend zum Dada-Jahr. Aus Berlin, vom Deutschen Theater, kommt außerdem Daniela Löffners viel gelobte Inszenierung "Väter und Söhne" nach Iwan Turgenjew, großes Schauspieler- und Erzähltheater. Auch das Maxim Gorki Theater hat es in die Top Ten geschafft: mit "The Situation" von Yael Ronen & Ensemble, einer Stückentwicklung zur politischen Lage im Nahen Osten. Thomas Ostermeier und seine Schaubühne gehen indes wieder mal leer aus.

In Wien hätte es eine interessante neue Arbeit von Andrea Breth gegeben, in Frankfurt Ulrich Rasches imposanten "Danton" auf riesigen Walzen - nichts davon im Jury-Warenkorb. Die Überraschungskandidaten sind Ersan Mondtag mit seiner Familienhorror-Installation "Tyrannis" (Staatstheater Kassel) und Hans-Werner Kroesinger mit "Stolpersteine Staatstheater", einer Recherche über Nazi-Opfer am Staatstheater Karlsruhe. Das wäre früher freie Szene gewesen, jetzt gibt's so etwas in der Provinz. Immerhin.

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