Bühne:Der tägliche Wahnsinn

Bühne: Künstler Warren (Robert Gregor Kühn) steht voll auf Studentin Deb (Elisabeth Margraf).

Künstler Warren (Robert Gregor Kühn) steht voll auf Studentin Deb (Elisabeth Margraf).

(Foto: Birgit M.Lang)

Andreas Wiedermann findet, dass das Musical unterschätzt wird. Jetzt inszeniert er "Ordinary Days" in der Black Box

Von Petra Hallmayer

Eigentlich ist Andreas Wiedermann ja eher für schwierige Stoffe und ungewöhnliche Opernaufführungen bekannt. Er hat Ernst Jüngers Kriegstagebuch "In Stahlgewittern" auf die Bühne gebracht und Wagners Oper "Rienzi" in einem Hörsaal der Universität mit dem Diskurs über den neuen Rechtspopulismus verbunden. Das Genre Musical hat der 38-Jährige erst in den letzten Jahren für sich entdeckt. "In der Klassikszene", erklärt er, "wird es gern naserümpfend belächelt, dabei ist es eine sehr zeitgemäße Form des Musiktheaters. In London und New York laufen Musicals, die mit extrem interessanten Erzählstrategien aktuelle Sujets aufgreifen." Die aber seien in Deutschland meist nicht zu sehen. Solch ein "kleines Juwel" will der freie Regisseur nun mit seinem Ensemble Opera Incognita unter der musikalischen Leitung von Ernst Bartmann in der Black Box präsentieren.

In "Ordinary Days" erzählt Adam Gwon die Geschichte von vier jungen Menschen in New York, einem Paar, das sich streitet und einem, das sich findet, wobei es sich nicht um die übliche Lovestory handelt, sondern um den Beginn einer Freundschaft zwischen einem homosexuellen Künstler und einer chaotischen Literaturstudentin. In Momentaufnahmen lässt Gwon ein großes Bild aus alltäglichen Szenen entstehen, die bei Starbucks, im Metropolitan Museum, im Taxi und auf einer Party spielen. "Sein Stück", so Wiedermann, "ist eine Musical-Version von Woody Allen plus Tschechow". Mit temporeichem Dialogwitz und leiser Melancholie spiegele der Shooting Star der amerikanischen Musical-Szene das Lebensgefühl einer Generation wider, für die das Versprechen, dass alle Träume erfüllbar sind, zur Falle wird. "Uns wird medial suggeriert, dass immer alles sofort verfügbar sei, und wir uns mit nicht weniger als dem Optimalen zufrieden geben dürfen. Wir brauchen den perfekten Partner, den perfekten Job." Das Leben aber ist selten perfekt. "Ordinary Days" zeigt, dass, wer pausenlos "The Big Thing" nachjagt, häufig den Augenblick und das Glück verpasst. Der Puls der Großstadt, die permanente Rush-Hour, meint Wiedermann, ist auch in den Kompositionen zu hören. Eingewoben in die "wunderbar verspielte Musik, die sich zwischen 'La La Land' und Stephen Sondheim bewegt", sind Zitate aus der großen Ära des Musicals.

Opera Incognita ist eine von vier Gruppen, mit denen Wiedermann parallel arbeitet. Die erste, Theater Impuls, gründete er bereits als Abiturient. Einen Regienomaden nennt sich der Niederbayer, dessen "Basislager" sich in Straubing befindet. Zumeist aber ist er unterwegs - "My car is my castle." - in seinem Netzwerk aus Gruppen, das wie eine Art frei flottierendes Mehrspartenhaus funktioniert. Mit Theater Plan B, spezialisiert auf kleinformatige Arbeiten und zeitgenössische Autoren, präsentiert er im März eine weitere Inszenierung - erst in Straubing, dann im Münchner Teamtheater: Mark Ravenhills Mediensatire, "Das Produkt", in der ein Produzent einen Hollywood-Film frei nach dem Motto "Bridget Jones goes Dschihad" drehen will. "Die Medien", meint Wiedermann, "machen den Terror zum Event, sie dämonisieren ihn und verleihen ihm so eine unheimliche Faszination." Dem möchte er Ravenhills "bitterböse Komödie, die die Täter mit provokanten Banalisierungen entzaubert", entgegensetzen.

In der Performance-dominierten freien Szene ist Andreas Wiedermann eine Ausnahmeerscheinung. Branchentypische Labels und Kategorisierungen aber interessieren ihn nicht. "Bei manchen Themen sind postdramatische Formen genau richtig. Doch ich will mich nicht dem Zwang unterwerfen, originell sein zu müssen, um mein Image aufzupolieren. Ich versuche Gedanken auf der Bühne zu verlebendigen. Dafür muss ich einen Text nicht unbedingt dekonstruieren und mit überdrehten Kabarett-Effekten aufpeppen."

Natürlich erfordert das Überleben als freier Theatermacher ein Balanceakt zwischen finanziell riskanten und kommerzielleren Produktionen. Dennoch betont Wiedermann: "Ich nehme mir die Freiheit, nur Sachen zu machen, auf die ich wirklich Lust habe." Das kann ein hochpolitischer Stoff sein, eine Oper oder eben ein Off-Broadway-Musical. Mit "Ordinary Days" hofft Wiedermann, das Genre für skeptische Zuschauer spannend machen zu können. "Dieses Musical", glaubt er, "gefällt auch Menschen, die mit dem Kitsch und Pathos vieler Mainstream-Produktionen nichts anfangen können."

Ordinary Days, Samstag, 11., Freitag, 17., und Samstag, 18. März, 20 Uhr, Gasteig, Black Box, Rosenheimer Straße 5

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