Bühne:Brummende Wucht

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Anna Mateur mit bitterbösen Szenen im Lustspielhaus

Von Oliver Hochkeppel, München

Niemand im Kleinkunstgenre kann sich auf der Bühne so vollendet klein, hilflos und verkannt geben und im nächsten Moment so monströs auf den Putz hauen wie Anna Maria Scholz alias Anna Mateur (früher auch als Annamateur unterwegs). Auch in ihrem neuen Programm "Protokoll einer Disko" spielte die Dresdnerin im Lustspielhaus mit der ganzen Palette des darstellerischen Ausdrucks: von der bis zur Selbstentblößung reichenden Selbstironie bis zur krachenden Diven-Nummer für den "Pöbel" im Saal. Vom Slapstick bis zur gekonnten Show-Pose. Anna Mateur kann dabei spontan umschalten, was einige im Publikum bei ihren Ausflügen in den Saal hautnah abbekommen.

Wobei das Mimische noch von ihrer Stimme in den Schatten gestellt wird: Die ausgebildete Jazz-Sängerin hat musikalisch alles drauf, von der Schlager- und titelgemäßen Disko-Parodie (bei Boney M's "Daddy Cool" streut sie sogar tiefsten Bass ein) über Kunstlied und Opernkoloratur bis zum Blues (die Zugabe "Black Coffee" ist eine Paradenummer von ihr, in der alle Blues-Klischees samt schlürfender Kaffeemaschine vorkommen) oder dem Jazz-Scatten (das sie auch hinreißend zum Nörgeln nutzt). Selten hört man solche Qualität auf der Kleinkunstbühne - was auch für die ihres stillen, von ihr vorzugsweise geschmähten Begleiters Samuel Halscheidt gilt, der einer der profiliertesten Jazzgitarristen der Berliner Szene ist.

Als wäre das noch nicht genug, beherrscht Scholz auch die messerscharf geschliffene, zumeist ironische Rede. Und setzt sie in bitterböse Szenen und Songs um wie der C-Dur-Demonstration von kleinbürgerlichem Ordnungswahn, einem Call-Sex-Hip-Hop oder der völlig ins Absurde abdrehenden xenophoben Hetzrede einer Sächsin gegen die Zuwanderung aus dem Erzgebirge. Mit all dem wird Scholz wohl, wie sie am Schluss selbstironisch sagt, "auch die nächsten 15 Jahre als Geheimtipp unterwegs sein". Dabei müsste der Superprofi Scholz als Annamateur ein Star sein

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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