Büchner-Preis für F. C. Delius:Guter Mann, falsche Wahl

Einer Akademie sollte bewusst sein, dass Auszeichnungen ihren Träger auch beschädigen können. Was an der Wahl von Friedrich Christian Delius zum Georg-Büchner-Preisträger 2011 falsch ist.

Thomas Steinfeld

Vielleicht hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ja eine neue und genaue Vorstellung von ihren Aufgaben. Vielleicht sagt sie sich, dass nicht das Außergewöhnliche, das Gewagte und Herausfordernde ihr Metier sei, sondern das Musterhafte, das, woran sich möglichst viele Menschen sollen halten können, im festen Vertrauen, dass ihnen immer nur das Solide, Beständige und Unanstößige zugemutet wird. Das wäre keine geringe Aufgabe für eine Akademie.

Friedrich Christian Delius erhaelt Georg-Buechner-Preis 2011

Ein Autor, den man nur als angenehmen Menschen kennenlernen kann: Friedrich Christian Delius erhält in diesem Jahr den Georg-Büchner-Preis. Zu recht?

(Foto: dapd)

In Frankreich wird es etwa so gehalten, und deswegen sind die Nachschlagewerke für den "bon usage", den guten Gebrauch der Muttersprache, und die Mittelmäßigkeit der meisten ihrer Mitglieder bei dieser Akademie in guten Händen.

In Deutschland war es bislang anders, was an der föderalen Struktur der deutschen Akademien, aber auch am innigen Verhältnis der deutschen Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg zur ästhetischen Avantgarde lag. Das führte dazu, dass der Büchner-Preis, (immer noch oder vielleicht nicht mehr) als die höchste Auszeichnung für einen Schriftsteller deutscher Sprache gilt - eben weil hier der "bon usage" bislang keine entscheidende Rolle spielte.

Dieses Mal ist das offenbar anders: Den Büchner-Preis des Jahres 2011 wird F.C. Delius erhalten, ein Autor von knapp dreißig Büchern, die meisten davon Romane, die den Gang der deutschen Geschichte von der Studentenrevolte bis in die Gegenwart begleiten wie die Nivea-Milch oder das Damenrad von Kettler.

Nichts davon ist verächtlich. Es sind gute Bücher darunter, so der "Spaziergang von Rostock nach Syrakus" (1995), in dem der Autor einen ostdeutschen Kellner auf eine Reise schickt, wie sie Johann Gottfried Seume im Jahr 1802 unternommen hatte. Oder die Erzählung "Bildnis der Mutter als junge Frau" (2006), in der sich eine junge, schwangere Deutsche (die Mutter des Schriftstellers) im Januar 1943 auf einen langen Weg durch Rom begibt.

Und irgendwann werden vielleicht sogar die frühen Schriften des Autors, die nur notdürftig zu Literatur verkleideten sozialkritischen Traktate der sechziger und siebziger Jahre, von historischem Interesse sein. Nein, das alles sind Bücher, die (meist als dokumentarische Fiktion) gut erfunden, sorgfältig gebaut, klar geschrieben, immer (mit der notwendigen kleinen bürokratischen Verschiebung) auf der Höhe der Zeit und meistens lesenswert sind. Mehr aber sind sie nicht.

Es ist eine Zumutung

Es hat etwas Unziemliches und Rücksichtsloses, wenn die Deutsche Akademie die Literaturkritik dazu zwingt, Vorbehalte gegen eine Autorschaft anzumelden, über die man anderenfalls nie ein herabsetzendes Wort verloren hätte - und gegen einen Autor, den man nur als angenehmen Menschen kennenlernen kann.

Es ist eine Zumutung, angesichts so vieler Verdienste sagen zu müssen, woran dieses Werk leidet: an einem Übermaß an starken, bekannten und allzu bekannten Motiven sowie, entsprechend, an einem Mangel an sprachlicher Gestaltung (und am Willen zur literarischen Gestaltung - beides ist deutlich zu erkennen in dem Roman "Die Frau, für die ich den Computer erfand" (2009), in der sich der Erfinder Konrad Zuse in einen modernen Doktor Faustus verwandelt (oder umgekehrt).

Vielleicht ist durch eine mittelmäßige Entscheidung etwas Schlimmeres, Schlechteres verhindert worden - man weiß nicht. Es tut auch nichts zur Sache. Aber eine Akademie sollte sich der Möglichkeit bewusst sein, dass Auszeichnungen ihre Träger auch beschädigen können. Und auch, dass mittlere Entscheidungen für mittlere Werke auch der auszeichnenden Institution nichts Gutes tun, und zwar um so weniger, als sie als Ausdruck einer rundum saturierten und im wesentlichen bürokratisch agierenden Jury verstanden werden.

Martin Mosebach, der den Büchner-Preis im Jahr 2007 erhielt, war der bislang letzte Ausgezeichnete, den man sich (falls er es noch nicht ist) als großen Schriftsteller, als herausgehobenen Autor für viele Leser vorstellen kann. In den Jahren darauf folgten Josef Winkler, Walter Kappacher und Reinhard Jirgl, höchst verdienstvolle Dichter, gewiss, aber ein jeder doch ein arger Spezialist auf eher kleinem Feld.

Wenn die Entscheidung in diesem Jahr für den "bon usage" fällt - muss da nicht der Verdacht naheliegen, eine "bedeutendste Auszeichnung der deutschsprachigen Literatur" pro Jahr sei vielleicht doch etwas zu viel, weil es so viele hervorragende Schriftsteller in dieser Sprache gegenwärtig gar nicht gibt? Sollte man da nicht annehmen, mit einem Preis alle zwei Jahre seien alle Kandidaten besser bedient?

Aber warum hat Siegfried Lenz den Preis dann nie bekommen, oder Günter de Bruyn? Wieso wurden Walter Kempowski und Robert Gernhardt übergangen, und zwar entschlossen und über viele Jahre hinweg? Und was ist mit Rainald Goetz, Georg Klein (die beide nicht einmal Mitglieder der Akademie sind) und Sibylle Lewitscharoff, alles Autoren von hellster Geistigkeit und feinem Sprachvermögen - und jeder ein Autor, dem man unter keinen Umständen Sätze wie "nun gut, warum auch nicht?" oder "offenbar ist jeder mal dran" zurufen würde, die dem Preisträger dieses Jahres jetzt entgegenschlagen.

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