Bücherverbrennung:Das Gespenst der Aufklärung

Wartburgfest, 1817

Mit Martin Luther gegen die Obrigkeit und alles Undeutsche: Die Bücherverbrennung beim Wartburgfest 1817.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Foto / Scherl)

Die Universität Potsdam erinnert an den jüdischen Publizisten Saul Ascher, dessen Streitschrift "Germanomanie" 1817 beim Wartburgfest verbrannt wurde.

Von Lothar Müller

Die Bücherverbrennungen, die am 10. Mai 1933, meist unter Federführung studentischer nationalsozialistischer Organisationen, in vielen deutschen Städten stattfanden, hatten ein erklärtes Vorbild. Sie kopierten und radikalisierten das Ritual, bei dem beim Wartburgfest der deutschen Burschenschaften im Oktober 1817 Makulaturballen ins Feuer geworfen wurden. Das Altpapier stand symbolisch für die Bücher, mit deren Titeln es beschriftet war. Im Nationalsozialismus wurden dann die Bücher selbst physisch vernichtet.

Bei der "Aktion wider den undeutschen Geist" des Jahres 1933 wie bei der symbolischen Bücherverbrennung beim Wartburgfest 1817 waren die Ausrufe, mit denen den Druckschriften ihr Urteil gesprochen oder ihre Fortexistenz im Höllenfeuer prophezeit wurde, ein Schlüsselelement. Der im Frühjahr 1815 erschienenen Streitschrift "Germanomanie" des jüdischen Publizisten Saul Ascher wurde nachgerufen: "Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum spotten und schmähen!"

Das Historische Institut und das Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft der Universität Potsdam hatten die gute Idee, einen Workshop zum Gedenken an Saul Ascher (1767-1822) anlässlich seines 250. Geburtstages mit Blick zugleich auf die Bücherverbrennung des Jahres 1817 und das aktuelle Luther-Jahr zu veranstalten, unter dem Titel "Ascher gegen Luther". Denn auch 1817 war ein Luther-Jahr, das Wartburgfest fand programmatisch an Luthers Zufluchtsort statt, und das Feuerritual nahm nicht minder programmatisch auf Luthers Verbrennung der päpstlichen Bulle Bezug. Aber nicht am Tag des Thesenanschlags, dem 31. Oktober, sondern am 18. Oktober, an dem vier Jahre zuvor nach der Völkerschlacht bei Leipzig und dem Sieg über Napoleon die Freudenfeuer gebrannt hatten.

Wer Saul Ascher heute kennt, ist ihm meist in der "Harzreise" Heinrich Heines begegnet

Gegen die Gleichsetzung von Christentum und Deutschtum, gegen die Propaganda für den Ausschluss der Juden aus der deutschen Nation, die in und nach den Befreiungskriegen mehr und mehr der antinapoleonischen, antifranzösischen Rhetorik an die Seite trat, hatte Saul Ascher in seiner "Germanomanie" protestiert. Marco Puschner erinnerte beim Workshop an die rhetorische Aufwertung des Hasses als affektive Quelle des "Nation Building" im frühen 19. Jahrhundert, an die Selbstdefinition der christlich-deutschen Nation durch Feindmarkierungen, an die Aufkündigung des Kosmopolitismus der Berliner Aufklärung und die Strategien der Exklusion, etwa in der "Christlich-deutschen Tischgesellschaft", in der wie die "Philister" weder Juden noch Frauen Mitglieder werden durften. "Weiter kann doch wahrlich die Reinheit nicht getrieben werden", schrieb Saul Ascher gegen die "Germanomanie", weil er um den in Preußen erreichten Stand der Judenemanzipation fürchtete.

Wer Saul Ascher heute noch kennt, wird ihm am ehesten in Heinrich Heines "Harzreise" begegnet sein. Er taucht dort in den Träumen des Reisenden auf, als Erinnerung an seine Studentenzeit in Berlin, als Doktor der Philosophie, der sich in ein Gespenst verwandelt hat. Ascher ist das Gespenst der Aufklärung, ein Gespenst, das Kants "Kritik der reinen Vernunft" gelesen hat und nun vom Träumer verlangt, er solle "die Bedingungen der Möglichkeit eines Gespenstes" in Rücksicht auf die Vernunft deduzieren.

Das klingt, bedenkt man die linealhafte Gestalt des Gespenstes und seine Neigung zu Abstraktion und Pedanterie, wie Spott und Hohn. Es steckt aber ein Bedauern in diesem Spott und eine historische Einsicht, die schon Saul Ascher selbst gehabt hatte: dass er, obwohl Jude, nicht zum Außenseiter geboren war, dass er, der Sohn eines Berliner Bankers und Brokers in eine Stadtgesellschaft hineinwuchs, in der wie in kaum einer anderen Europas die Juden am publizistischen Leben teilhaben konnten, dass aber diese Herkunftswelt zu seinen Lebzeiten unterging. Zu ihr hatte, von Moses Mendelssohn über den Arzt Markus Herz bis zum Ostjuden Salomon Maimon das Projekt gehört, für das er selber stand, die Selbstmodernisierung des Judentums, die jüdische Aufklärung, die Haskala.

Saul Ascher war als Anwalt dieser untergegangenen Einheit von Berliner Aufklärung und Judenemanzipation nicht nur Opfer der Bücherverbrennung, er war ihr schneidend scharfer Opponent. Nachdem seine "Germanomanie" symbolisch verbrannt worden war, reagierte er mit einer weiteren Streitschrift: "Die Wartburgs-Feier. Mit Hinsicht auf Deutschlands religiöse und politische Stimmung " (1818). Sie trug dazu bei, dass er weit über seinen Tod hinaus zum meistgehassten jüdischen Publizisten des 19.

Jahrhunderts avancierte. Aschers Replik auf die Bücherverbrennung ist, wie Christoph Schulte vom Potsdamer Institut für Jüdische Studien zeigte, die vehementeste Kritik der Inanspruchnahme Luthers für den christlich-deutschen Nationalismus im frühen 19. Jahrhundert. Sie ist dies nicht zuletzt deshalb, weil schon Ascher der Luther-Mythologie folgt, die Heinrich Heine in seiner Schrift "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" entfalten wird. Ascher integrierte Luther in seine intellektuelle Herkunftswelt. Mit Luther opponiert er gegen seinen Ausschluss aus der Nation im Zeichen des neuen, national gesinnten Protestantismus: "Der Zweck Luthers oder der durch ihn bewirkte Protestantismus ging dahin, das Christenthum mit der Vernunft zu versöhnen und die Wahrheit geltend zu machen: dass der Mensch nicht allein zum Glauben an die Unfehlbarkeit der Kirche und ihrer Stellvertreter gebunden sei, d.h. also zu erhärten, dass die Vernunft auch ein Wort beim Glauben mitzureden hat, und dass in dem vor Luther bestandenen Organismus des Glaubens nicht die einzig selig machende Religion begriffen sey, d.h. wieder, dass die Christusreligion eine verschiedene Form anzunehmen vermag."

Den neuen Protestantismus, der aus der antinapoleonischen Stimmung der Befreiungskriege hervorgeht und mit der Pluralisierung der Religion bricht, nennt Ascher "eine zum Katholizismus gesteigerte Form des Protestantismus" oder "protestantischen Papismus". Er greift damit ein Motiv auf, das schon in Lessings Skepsis gegen die lutherische Orthodoxie wirksam war. Aschers Einspruch gegen die Wandlung des Protestantismus zur deutschen Nationalreligion verband sich mit seinem Protest gegen die Feier des Ausländerhasses als erster Tugend der Deutschen und gegen den Anti-Judaismus, der die rechtliche Gleichstellung der Juden gefährdete.

An Aschers Misstrauen gegen den Protestantismus als Staatsreligion anknüpfend erhob der Religions- und Kultursoziologe Richard Faber von der FU Berlin unter dem Titel "Martin Luther - schwarz-rot-gold?" vehement Einspruch gegen die Verengung der Erinnerung an die Reformation von 1517 auf eine "Luther-Dekade", die den Zusammenhang von Reformation und Humanismus bagatellisiert, Erasmus und seine ebenfalls 1517 erschienene Friedensschrift in den Hintergrund rückt und die "polyphonen", internationalen Reformationen nur am Rande zur Kenntnis nimmt.

Die Aufklärung, so sagt man, habe den Gespenstern den Garaus gemacht. Das ist aber nicht wahr. Sie hat ihre eigenen Gespenster hervorgebracht, aufgeklärte Gespenster wie Saul Ascher, der in Deutschland immer dann wieder auftaucht, wenn die Germanomanie ausbricht.

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