Bücher:Von Armstrong bis Zappa

Der Münchner Sieveking Verlag steht für opulente, teure Fotobücher. Jetzt brachte er zwei Bände über "Verve" und "Blue Note" heraus, die beiden wichtigsten Labels der Jazzgeschichte

Von Oliver Hochkeppel

Kennen Sie den: Wie nennt man einen Milliardär, der ein Jazzlabel gründet? Millionär. Zahllose Witze bedienen das Klischee, mit dem Jazz sei weniger Geld zu verdienen als in anderen Feldern der Musikbranche. Ein wahrer Kern steckt darin, und der erstreckt sich auf alles, was mit dem bis heute unfreiwillig elitären Begriff Jazz zu tun hat. Weswegen es auch keine Jazz-Bücher gibt, die es in irgendwelche Bestsellerlisten geschafft hätten. Umso verdienstvoller, dass der Münchner Sieveking Verlag zwei der schönsten Jazzbücher seit langem herausgebracht hat, opulente Monografien über die beiden berühmtesten und wichtigsten Labels der Jazzgeschichte: "Verve - The Sound of America" heißt das eine, schlicht "Blue Note" das andere.

Dieser Mut kommt wohl auch daher, dass es sich um einen ganz jungen Verlag handelt. Vor gerade mal zwei Jahren gründete die gebürtige Hamburgerin Caroline Sieveking, die Buchdesign studiert und in den frühen Achtzigern beim Prestel Verlag angefangen hat, zusätzlich zu ihrer seit 25 Jahren bestehenden Agentur für "Kommunikations- und Werbemittel für Museen, Galerien und mittelständische Unternehmen" einen "Verlag für Kunst und Kultur". Der verlegt großformatige, aufwendig gestaltete und üppig illustrierte Bücher mit den Schwerpunkten Bildende Kunst, Fotografie und Kulturgeschichte. Bislang sind gut 30 Titel erschienen, vom "Archiv der Träume - Meisterwerke aus dem "Musée D'Orsay" bis zum für den Deutschen Foto-Buchpreis nominierten "In Secret" mit Bildern von Friederike von Rauch.

Aber eben auch diese zwei 400-seitigen, schwergewichtigen Jazzbücher als Lizenzausgabe des Londoner Verlags Thames & Hudson. Autor ist der seit 1999 in Schottland lebende Amerikaner Richard Havers, der nach 20 Jahren als Airline-Angestellter seiner Musikleidenschaft nachgab , als Autor von Büchern zusammen mit dem Rolling Stone Bill Wyman oder über Frank Sinatra bis Gary Barlow. Zwar betreute er auch eine Reihe bei Universal, doch als Jazz-Fachmann war Havers bislang kaum bekannt - umso mehr Gewicht kam der Übersetzung zu. Und hier kommt nun der Münchner Reinhold Unger ins Spiel.

Wer in München Jazzkonzerte besucht, ist ihm unweigerlich schon begegnet. Unger ist ein ausgewiesener Jazz-Fachmann der in seiner Jugend auch musiziert hat und immer wieder etwa für das Jazzpodium oder die TZ geschrieben hat, sein Geld freilich als PR-Mann verdient. Übersetzt hatte er vorher noch nichts, wie er erzählt: "Aber meine langjährige Freundin Tracey Evans ist ja hauptberuflich Übersetzerin und hatte schon mehrfach für Sieveking gearbeitet. Nun wurden ihr auch diese beiden Bücher angeboten, wobei es hieß, dass man natürlich schon auch noch einen Fachlektor bräuchte. Da Tracey als native speaker beurteilen konnte, dass mein Englisch nicht das schlechteste ist, hat man dann mich gefragt. Ich habe natürlich gerne zugesagt, das zusammen mit ihr zu machen."

Die Arbeitsteilung ergab sich aus dem jeweiligen Konzept der Bücher: Evans übersetzte die chronologischen Labelgeschichten, Unger die Beschreibungen berühmter Alben, sowie die vielen Musikerbiografien, die ein Gestaltungselement des Verve-Buches sind. Worauf Unger am meisten Wert legte: "Dass man nicht sklavisch am Original klebt. Das Englische hat doch eine andere Diktion. Da muss man elegante Lösungen finden." Man kann Unger entlocken, dass ihm einige Fehler im Original auffielen. "Ich weiß ja aus Erfahrung, dass der Jazzfan eher humorlos reagiert, wenn Thelonious Monk falsch geschrieben ist."

Ein paar lassen sich natürlich immer noch finden, etwa bei der Verfemung des Jazz durch die Nationalsozialisten, wo wieder einmal das Schild "Swing tanzen verboten" als "von der Reichskulturkammer vorgeschrieben" vorgestellt wird. Es wurde in den Siebzigern von einem Hamburger Grafiker als Marketing-Gag erfunden wurde, mit durchschlagendem Erfolg. Doch geschenkt. Für den Leser ist bei beiden Büchern zunächst das Visuelle bezwingend. Beeindruckend sind die vielen, teilweise raren bis unbekannten Aufnahmen vieler Jazzlegenden, die Havers bei Universal und in zahllosen Archiven aufgestöbert hat. So ist es schlicht zauberhaft, die Kontaktabzüge der Fotosession im Schnee für "At Golden Circle Stockholm" des Ornette Coleman Trios im direkten Vergleich mit dem finalen Cover zu sehen.

Inhaltlich sind die Frühgeschichten der beiden Labels bis etwa 1970 überzeugend. Wie die beiden aus Berlin emigrierten Juden und Jazzfans Alfred Lion und Francis Wolff in einer genialen Symbiose - der eine kluger Geschäftsmann, der andere stilbildender Fotograf - von 1939 an mit ihrem "Blue Note"-Label den Jazz Amerikas populär machten, wird spannend und detailreich erzählt. Ebenso, wie Norman Granz aus seinem für Ella Fitzgerald und die Vermarktung seiner "Jazz at Philharmonic"-Konzerte gegründeten Verve-Label ein Sammelbecken der besten Jazzer und eine Institution gegen die Rassentrennung machte. So wird aus den Geschichten der Labels eine Rahmenhandlung des Jazz.

Weniger glücklich ist die Darstellung der jüngeren Geschichte der Labels. Arg kursorisch werden die teilweise unwürdigen Phasen der Traditionslabels abgehandelt. Was vielleicht daran liegt, dass der Gigant Universal, dem heute beide Labels gehören, als nicht unbedeutender Initiator und Sponsor der Bücher an mancher trauriger Wahrheit wohl kein Interesse hatte.

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